Fernüberwachung von Herzpatienten leistet noch nicht, was man sich davon erhofft

Manuela Arand

Interessenkonflikte

17. April 2018

Mannheim – Eine Supermarkt-Kette bietet Arztkonsultationen per App. Ein Sportartikel-Hersteller veranstaltet Cloud-basierte Fitness-Challenges. Ein kanadisches Start-up lässt verschreibungspflichtige Medikamente per Fernrezept verordnen und liefert sie in entlegene Gebiete des Landes. Science Fiction? Nein, Realität.

Telemedizin erfasst viele Bereiche der Gesellschaft, und Ärzte werden sich dem stellen müssen. „Das betrifft nicht nur technische Aspekte, sondern soziale ökonomische und politische Faktoren“, betonte Prof. Dr. Johannes Brachmann, Chef der Kardiologie am Klinikum Coburg, bei der Kardiologentagung in Mannheim [1]. Außerdem bietet Telemedizin vielfältige Chancen.So könnten regionale Versorgungsunterschiede ausgeglichen und Doppeluntersuchungen durch zentrale Datenspeicherung vermieden werden. Telemonitoring könnte helfen, die Betreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Herzinsuffizienz zu verbessern und die Kosten dafür zu senken. Die Frage ist allerdings: Hält die Wirklichkeit mit dem Wunschdenken Schritt?

Telemonitoring per Smartphones?

Die tragbaren Fitnesstracker und Smartphones werden künftig nicht nur Aktivität messen, sondern auch EKGs schreiben und vieles mehr. „Wir müssen aufpassen, dass Maß und Ziel gewahrt werden und es nicht zu unvernünftigen Reaktionen bei Patienten und weniger erfahrenen Kollegen kommt“, warnte Brachmann.

Am Beispiel der chronischen Herzinsuffizienz illustrierte er, dass überschießende Begeisterung zurzeit noch nicht angebracht ist. Dieses Krankheitsbild scheint besonders geeignet für telemedizinische Ansätze, weil es häufig ist – 1,2 Millionen Patienten gibt es hierzulande, Tendenz steigend –, weil es hohe Kosten verursacht und weil die Patienten einer regelmäßigen Überwachung bedürfen.

 
Wir müssen aufpassen, dass … es nicht zu unvernünftigen Reaktionen bei Patienten und weniger erfahrenen Kollegen kommt. Prof. Dr. Johannes Brachmann
 

Wenn es gelänge, die Patienten vor stationären Einweisungen zu bewahren, könnte das nicht nur Kosten senken, sondern möglicherweise auch die Lebenserwartung erhöhen. Denn mit jeder Hospitalisierung steigt das Sterberisiko. Da viele Patienten bereits implantierte elektronische Devices tragen, bietet es sich an, diese zur Fernüberwachung zu nutzen, statt die Parameter in Praxis oder Klinik auszulesen.

Die European Society for Cardiology ist 2013 schon einmal vorgeprescht und rät in ihrer Schrittmacher-Leitlinie mit Empfehlungsstärke IIA, das Telemonitoring zumindest zu erwägen, um klinische Probleme wie Arrhythmien und technische Störungen früher zu erfassen. Die Heart Rhythm Society (HRS) hat das sogar zu einer IA-Empfehlung aufgewertet.

Datenlage noch nicht solide genug für den breiten Einsatz

„Wir müssen uns also fragen, warum wir das nicht flächendeckend einsetzen“, meinte Brachmann. „Der Grund ist einfach: Die Datenlage ist leider nicht so positiv, wie wir uns das wünschen würden.“ Von den randomisierten Studien zur Telemedizin sind nur 2 positiv ausgegangen, weitere 8, darunter auch 3 aus Deutschland, brachten ein neutrales Ergebnis.

 
Die Datenlage ist leider nicht so positiv, wie wir uns das wünschen würden. Prof. Dr. Johannes Brachmann
 

Auch das Institut für Qualitätssicherung im Gesundheitswesen (IQWiG) bescheinigte dem Telemonitoring kürzlich, dass ein Nutzen bei Herzerkrankungen nicht belegt sei.

Ohne tägliche Datenübertragung geht es nicht

Anhand der OptLink HF-Studie, an der er selbst beteiligt war, demonstrierte Brachmann, wo Probleme liegen. Bei den überwachten Patienten wurden ICD-Daten fernausgelesen und außerdem die Ergebnisse von Impedanz-Messungen dokumentiert, mit denen der Flüssigkeitshaushalt überwacht wurde. Beim primären Endpunkt gab es keinen Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe (wie Medscape berichtete). Dies hat vermutlich daran gelegen, dass 30% der von den Devices übertragenen Ereignisse keine Reaktion seitens der Ärzte auslösten.

 
Die Autonomie der Patienten wird durch die Telemedizin gestärkt. Prof. Dr. Johannes Brachmann
 

In anderen Studien spielten Patienten nicht mit. Sie luden die Daten nicht herunter oder jedenfalls nicht so oft wie vereinbart. Teilweise war auch nur ein Download pro Woche vorgesehen – viel zu wenig für eine adäquate Überwachung.

Es gibt aber auch Positives zu melden. In einer Metaanalyse von 3 Studien mit täglicher Datenübertragung konnte tatsächlich ein Rückgang der Sterblichkeit gezeigt werden.

Außerdem sind viele Patienten von der Technologie begeistert, weil sie das Gefühl haben, die Kontrolle über ihre Krankheit und Behandlung zurückzugewinnen, erzählte Brachmann: „Die Autonomie der Patienten wird durch die Telemedizin gestärkt.“

Wesentlich ist wohl tatsächlich, dass die Daten engmaschig übertragen und kontrolliert werden. Außerdem werden gute Sensoren gebraucht, und die „Signal to Noise“-Ratio muss verbessert werden – sprich: die Ärzte brauchen Sicherheit, dass das, was ihnen die Sensoren melden, auch wirklich der Realität entspricht. Dann könnte die Telemedizin tatsächlich dazu beitragen, die medizinische Versorgung zu optimieren.

 

REFERENZEN:

1. 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 5. bis 7. April 2018, Mannheim

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....