Was bringt ein Plus an Protein für ältere Männer? Studie weckt Zweifel an aktuellen Ernährungsempfehlungen

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

17. April 2018

In vielen Leitlinien wird für ältere Menschen eine erhöhte Proteinzufuhr empfohlen. Dies soll dem altersbedingten Abbau der Muskulatur und letztlich funktionellen Einschränkungen vorbeugen. Eine kleine Studie aus den USA deutet aber nun darauf hin, dass ältere Männer überhaupt nicht von einem Plus an Protein profitieren [1].

Probanden, die täglich 1,3 g Protein pro kg Körpergewicht zu sich nahmen, unterschieden sich weder hinsichtlich der fettfreien Masse – die überwiegend aus Muskulatur besteht – noch der körperlichen Funktion von Männern, die sich an die Empfehlung für die Allgemeinbevölkerung in Höhe von 0,8 g/kg/Tag hielten.

„Allein durch eine erhöhte Proteinzufuhr, selbst in Kombination mit Training, kommt es im Alter selten zu einer Verbesserung der Muskelmasse“, bestätigt Prof. Dr. Rainer Wirth im Gespräch mit Medscape. Wirth ist der Direktor der Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation am Marien Hospital Herne – Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum und leitet bei der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie die Arbeitsgruppe für Ernährung und Stoffwechsel. Überraschend findet der Geriater aber das Ausbleiben anderer Effekte: „In vielen Studien wurde nachgewiesen, dass sich funktionelle Parameter durch eine erhöhte Proteinaufnahme durchaus verbessern.“

Funktionelle Einschränkungen und suboptimale Proteinzufuhr

In den Optimizing Protein Intake in Older Men(OPTIMen) Trial wurden Männer aufgenommen, die im Schnitt 73 Jahre alt waren und bereits funktionelle Einschränkungen aufwiesen. Vor Studienbeginn war die Proteinversorgung der Studienteilnehmer suboptimal, „sie lag üblicherweise bei 0,83 g/kg/Tag Protein oder weniger“, wie Erstautor Dr. Shalender Bhasin und seine Kollegen berichten. Bhasin ist Direktor des Research Program in Men's Health der Division of Aging and Metabolism am Brigham and Women’s Hospital in Boston, USA.

 
Allein durch eine erhöhte Proteinzufuhr, selbst in Kombination mit Training, kommt es im Alter selten zu einer Verbesserung der Muskelmasse. Prof. Dr. Rainer Wirth
 

Die Männer wurden randomisiert einer von 4 Gruppen zugeteilt:

  • 0,8 g/kg/Tag Protein plus Placeboinjektion,

  • 1,3 g/kg/Tag Protein plus Placeboinjektion,

  • 0,8 g/kg/Tag Protein plus wöchentlich eine Testosteron-Injektion und

  • 1,3 g/kg/Tag Protein plus wöchentlich eine Testosteron-Injektion.

Alle Studienteilnehmer erhielten Fertigmahlzeiten mit individuellem Protein- und Energiegehalt sowie Supplemente. Von 92 randomisierten Männern schlossen 78 die 6-monatige Studie ab.

Die erhöhte Proteinzufuhr führte nicht zu einer Erhöhung der fettfreien Masse – dem primären Endpunkt der Studie – oder der Muskelkraft, der körperlichen Funktion oder Parametern wie Lebensqualität, Müdigkeit, Gleichgewicht und allgemeinem Wohlbefinden. Von Studienbeginn bis zum Studienende nach 6 Monaten nahm die fettfreie Masse der Studienteilnehmer im Schnitt um 0,31 kg zu – und dies galt unabhängig von der Proteinzufuhr und ob sie Testosteron erhielten oder nicht.

Empfehlungen überdenken?

Bhasin und sein Team schlussfolgern aus ihren Ergebnissen: „Die für die Allgemeinbevölkerung empfohlene Proteinzufuhr von 0,8 g/kg/Tag reicht aus, um die fettfreie Masse, die Muskelkraft und die körperliche Funktion bei funktionell eingeschränkten älteren Männern zu erhalten. Eine darüber hinausgehende Zufuhr fördert weder den Zuwachs an fettfreier Masse noch verbessert es die anabole Reaktion auf Testosteron. Die Empfehlung für eine erhöhte Proteinzufuhr bei älteren Menschen sollte noch einmal überdacht werden.“

 
Die Empfehlung für eine erhöhte Proteinzufuhr bei älteren Menschen sollte noch einmal überdacht werden. Dr. Shalender Bhasin
 

„Es ist schon lange bekannt, dass die Gabe von Testosteron die Muskelmasse und Muskelkraft steigert, aber auch Nebenwirkungen haben kann. Die Studie sollte zeigen, ob es den anabolen Effekt von  Testosteron steigert, wenn man zusätzlich mehr Protein aufnimmt – das war nicht der Fall“, so Wirth. Dass man älteren Menschen nicht länger zu einer höheren Proteinaufnahme raten sollte, dem stimmt er aber nicht zu.

Andere Studien belegten eindeutig, dass durch eine erhöhte Proteinzufuhr in der Situation der Mangelernährung, besonders aber auch bei Sarkopenie, eine Verbesserung der Funktionalität zu erreichen sei, so Wirth. „Leider machen die Autoren keine genaueren Angaben, weshalb die Männer funktionell eingeschränkt waren“, bedauert Wirth. Doch „bei einem Durchschnittsalter von 73 Jahren sind funktionelle Einschränkungen meist krankheitsbedingt, etwa durch eine schwere Arthrose oder einen Schlaganfall, und nicht die Folge von Mangelernährung oder altersbedingtem Muskelverlust.“

Alte und neue Leitlinien bleiben bei erhöhter Zufuhr

An den Empfehlungen für eine erhöhte Proteinzufuhr bei älteren Menschen wird die Studie von Bhasin und seinen Kollegen voraussichtlich nichts ändern. Die Leitlinie Klinische Ernährung in der Geriatrie empfiehlt schon seit mehreren Jahren eine Proteinzufuhr von 1 g/kg/Tag für Menschen über 65 Jahren. Und erst vor wenigen Monaten hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ihre Zufuhrempfehlung für ältere Menschen nach oben korrigiert und rät mittlerweile ebenfalls zu 1 g/kg/Tag Protein.

„Auch eine neue europäische Leitlinie, die noch in diesem Jahr erscheinen soll, wird eine entsprechend erhöhte Proteinzufuhr für ältere Menschen empfehlen“, berichtet Wirth, der selbst an der Aktualisierung der ESPEN-Leitlinie „Clinical Nutrition in Geriatrics“ beteiligt ist.

 

REFERENZEN:

1. Bhasin S, et al: JAMA Intern Med. 2018;178(4):530-541

 

Kommentar

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