Ein Tag, eine Woche oder einen Monat? Wie lange lohnt es, nach Schlaganfall ein Vorhofflimmern im Langzeit-EKG zu suchen?

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

12. April 2018

Mannheim – Wird bei einem Patienten nach ischämischem Schlaganfall erstmalig Vorhofflimmern (VHF) entdeckt, stellt sich die Frage, ob dieses kardiogen und somit Ursache des Schlaganfalls oder aber neurogen und damit Folge des Schlaganfalls ist, etwa nach Schädigung von Hirnstrukturen. Die Rolle der supraventrikulären Herzrhythmusstörung VHF wurde bei der 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung (DGK) in Mannheim diskutiert [1].

Ei oder Henne?

Die Frage, ob das Vorhofflimmern bei einem Schlaganfall „Ei oder Henne“ ist, hat weitreichende Konsequenzen: „Wäre das Vorhofflimmern eine Komplikation des Schlaganfalls, so müsste es spätestens nach einigen Wochen wieder abklingen“, erläuterte Prof. Dr. Rolf Wachter, Oberarzt in der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig, im Gespräch mit Medscape. Wüsste man dies mit Sicherheit, so wäre eine orale Antikoagulation vielleicht unnötig.

 
Wäre das Vorhofflimmern eine Komplikation des Schlaganfalls, so müsste es spätestens nach einigen Wochen wieder abklingen. Prof. Dr. Rolf Wachter
 

Hat der Patient jedoch über längere Zeit zumindest ein paroxysmales Vorhofflimmern, dann liegen möglicherweise strukturelle kardiale Ursachen zugrunde und eine orale Antikoagulation mit dem Ziel, Schlaganfallrezidive zu verhindern, ist angezeigt. Denn wegen des gerade erlebten Schlaganfalls liegt bei dem Patienten/der Patientin bereits der CHA2DS2-VASc-Score bei 2 oder höher (Männer) bzw. 3 oder höher (Frauen). Ein Schlaganfall aus kardiogener Ursache, noch dazu ein Rezidiv, ist oftmals besonders schwer im Verlauf, erinnerte Wachter. Daher hat die Prävention einen hohen Stellenwert.

Wie oft kommt das denn vor?

Jedoch: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein einmal entdecktes Vorhofflimmern nach Schlaganfall bestehen bleibt, ist hoch. Dies zeigen bislang vorliegende Daten. So war in einer randomisierten Studie von P. Higgins Vorhofflimmern, das kurz nach dem Schlaganfall bestand, bei allen Patienten auch 3 Monate später noch nachweisbar.

Wachter und seine Kollegen untersuchten das Problem in einer noch unpublizierten Fall-Kontroll-Studie im Rahmen der prospektiv-randomisierten FIND-AF-Studie. Sie verfolgten jeweils 28 Schlaganfallpatienten mit bzw. ohne Vorhofflimmern über 3 Jahre. Von den 28 Patienten mit VHF waren nach dieser Zeit bereits 10 gestorben und 4 aus anderen Gründen ausgeschieden. Von den verbleibenden 14 hatten 10 Patienten (71%) nach 3 Jahren noch immer Vorhofflimmern. In der Kontrollgruppe waren die Daten von 22 der 28 Patienten auswertbar (4 Patienten waren gestorben); keiner von ihnen hatte in den 3 Jahren ein Vorhofflimmern entwickelt.

Klinische Charakteristika bei permanentem und neu entdecktem paroxysmalem Vorhofflimmern ähnlich

In einer weiteren Auswertung des FIND-AF-Kollektivs teilten Wachter und seine Kollegen die Schlaganfall-Patienten nach ihrem Befund im 7-Tage-Monitoring in 4 Gruppen. Sie unterschieden Personen,

  • die bereits bei der Aufnahme – also vermutlich auch zuvor schon permanent – Vorhofflimmern hatten,

  • bei denen sich erst im Monitoring im Rahmen eines 7-Tage-Langzeit-EKGs erstmalig ein paroxysmales Vorhofflimmern zeigte,

  • die im Verlauf des Monitorings allenfalls kurze „atrial runs“ von mehr als 5 Schlägen, aber weniger als 30 Sekunden Dauer, entwickelten und

  • die im Monitoring keinerlei atriale Rhythmusstörungen aufwiesen.

Klinisch gab es zwischen den ersten beiden Gruppen nur geringe Unterschiede: Die Beeinträchtigung durch den Schlaganfall, gemessen mittels National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS), war in beiden Kollektiven ähnlich schwer.

Die Patienten der ersten Gruppe hatten im Durchschnitt einen deutlich erweiterten linken Vorhof, aber auch in der zweiten Gruppe war der linke Vorhof vergrößert. Außerdem fanden sich bei den Patienten der ersten beiden Gruppen höhere mittlere NT-pro-BNP-Werte und ein höheres mittleres Lebensalter als bei den im EKG unauffälligen Patienten der letzten beiden Gruppen.

Wie lange beobachten?

Ob ein Patient im Monitoring nach einem Schlaganfall Vorhofflimmern zeigt, hängt vor allem von seinem Lebensalter ab – und von der Dauer der Beobachtung. Erwartungsgemäß ist die Chance auf Entdeckung eines paroxysmalen Vorhofflimmerns umso höher, je länger die EKG-Überwachung fortgesetzt wird.

Ein 24-Stunden-EKG genügt nach kryptogenem Schlaganfall nicht mehr: Es ist einfach zu kurz. So wird im gemeinsamen „Positionspapier zur Detektion von Vorhofflimmern nach ischämischem Schlaganfall“ der AG Herz und Hirn der DGK sowie der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) von 2017 empfohlen, „dass ein Basis-EKG-Monitoring nach ischämischem Schlaganfall idealerweise für zumindest 72 Stunden erfolgen sollte, um die Wahrscheinlichkeit für den erstmaligen Nachweis von Vorhofflimmern zu erhöhen.“ Dies entspreche auch den ESC-Empfehlungen, so das Positionspapier, „auch wenn dies bisher noch nicht als klinische Routine in der Versorgung von Schlaganfallpatienten anzusehen ist.“

Dabei sollte kein Unterschied zwischen Patienten mit Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke (TIA) gemacht werden. Reicht die Verweildauer auf der Stroke Unit nicht aus, so kann die EKG-Überwachung auf der Normalstation oder ggf. auch ambulant fortgesetzt werden, um kumulativ mindestens 72 Stunden EKG-Monitoring zu erreichen.

Sind 72 Stunden noch zu wenig?

Eine möglichst lange Beobachtungsdauer ist laut Wachter erstrebenswert, um intensiv nach dem Risikofaktor Vorhofflimmern zu fahnden. Sinnvoll könnten sogar mehr als 72 Stunden sein. Allerdings sollte die kumulative Dauer des Vorhofflimmerns dann ins Verhältnis zur Beobachtungsdauer gesetzt werden, regte er an: Vorhofflimmern mit einer Dauer von einigen Minuten innerhalb eines Tages oder einer Woche hat möglicherweise eine größere Bedeutung als ein Vorhofflimmern gleicher Länge, das nur einmalig während einer permanenten Überwachung in einem Jahr festgestellt wird.

Die Forschergruppe um Wachter strebt eine randomisierte Folgestudie unter dem Namen FIND-AF 2 zum Stellenwert einer 10-Tage-Überwachung an; dazu wurden Fördermittel bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragt. Die Studie soll, falls sie zustande kommt, 3.800 Patienten ab 60 Jahren aus 38 bis 50 Zentren umfassen. Einschlusskriterium ist unter anderem ein ischämischer Schlaganfall (nachgewiesen über Symptome von mindestens 24 Stunden Dauer oder Nachweis eines Schlaganfalles in der zerebralen Bildgebung, nicht „nur“ eine TIA) sowie Sinusrhythmus im EKG bei Aufnahme.

Die Patienten sollen randomisiert werden auf ein Standardmonitoring vs. 10-Tage-Langzeit-EKG. Die interventionelle Gruppe soll anschließend im Einjahresintervall weiterhin jeweils 10 Tage monitoriert werden. Für Patienten mit sehr hohem Risiko für Vorhofflimmern ist zusätzlich die Nutzung von implantierbaren Ereignisrekordern vorgesehen.

Findet sich eine relevante VHF-Episode, sollte die Therapie den Leitlinien folgen, die aktuell eine orale Antikoagulation empfehlen. Patienten mit Kontraindikationen gegen eine solche Behandlung, aber auch Patienten, die sie von vornherein benötigen, sind von der Studie ausgeschlossen.

Die Wissenschaftler möchten herausfinden, ob eine personalisierte Medizin, bei der nur Patienten mit (anderweitig unentdecktem) Vorhofflimmern eine orale Gerinnungshemmung anstelle einer Antiplättchen-Therapie erhalten, die Schlaganfall-Rezidivrate senken kann. Trifft dies zu, könnten sich die Empfehlungen für das Langzeit-EKG nach Schlaganfall nochmals ändern.

Schrittmacher- und Defi-Patienten: Funktion zum Auslesen aktivieren

Noch längere Beobachtungszeiten als 10 Tage sind laut Wachter in der täglichen Praxis schwer umzusetzen. So ist nach seinen Worten die US-amerikanische Empfehlung, die bis zu 30 Tage „Holtern“ beinhaltet, eher unrealistisch. „Über eine so lange Zeit schwindet die Adhärenz der Patienten.“ Ein weiteres Problem sei, dass ein verlängertes ambulantes Monitoring in Deutschland nicht adäquat vergütet wird, was die Verbreitung dieser einfachen Maßnahme verhindere.

Schlaganfallpatienten, die bereits einen implantierbaren Herzschrittmacher oder implantierbaren Kardioverter-Defibrillator (ICD) mit atrialer Sonde tragen, bieten indes noch eine andere Möglichkeit des Langzeitmonitorings: Bei ihnen kann das Gerät ausgelesen und gezielt nach „atrialen Runs“ (atrial high rate episodes) gesucht werden. Achtung: Die dafür erforderliche Monitoring-Funktion muss in der Regel erst gezielt aktiviert werden.

Diese Empfehlung ist nicht neu: „Im Einzelfall kann bei Patienten mit ‚kryptogenem‘ Schlaganfall und der klinischen Vermutung einer kardiogen-embolischen Genese schon heute eine Langzeit-EKG-Überwachung mit implantierten Geräten erwogen werden“, ist bereits in der Vorversion des Konsensuspapiers (2010) sowie in der S3-Leitlinie zur Sekundärprophylaxe des ischämischen Schlaganfalls von 2015 zu lesen. Im Rahmen der Möglichkeiten gilt demnach: „Je länger, desto besser.“

 

REFERENZEN:

1. 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 5. bis 7. April 2018, Mannheim

 

Kommentar

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