Düsseldorf – Die Myom-Patientin, die gefährlich viel Blut verliert, jede operative Therapie jedoch ablehnt … Die Wöchnerin, die so gravierend psychisch erkrankt ist, dass sie ihr Baby gefährden könnte … Wie erkennen Gynäkologinnen und Gynäkologen solche Situationen möglichst zuverlässig?
„Viele gynäkologische Patientinnen leben mit einer unerkannten psychischen Störung“, berichtete Prof. Dr. Anke Rohde, beim FBA-Fortbildungskongress FOKO 2018 in Düsseldorf [1]. Rund um Schwangerschaft und Entbindung, aber auch in den Wechseljahren ist die Prävalenz zusätzlich erhöht, erinnerte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und ehemalige Leiterin der Gynäkologischen Psychosomatik des Universitätsfrauenklinikums Bonn. „Die Patientinnen fühlen sich noch immer stigmatisiert und trauen sich oft nicht, sich zu outen.“ Doch könnte vielen effektiv geholfen werden, z.B. mit kognitiven Verhaltenstherapien und/oder Antidepressiva.
Laut DEGS-Studie des Robert Koch-Instituts hatten im Jahr 2012 über ein Drittel der befragten Frauen Symptome einer psychischen Störung. Am verbreitetsten waren Symptome einer Angststörung, sie fanden sich bei jeder Fünften; 11,4% berichteten von Symptomen einer unipolaren Depression.Essentiell sei, so Rohde, die eigenen Patientinnen genau zu beobachten und dabei den individuellen Verlauf zu betrachten, um Veränderungen festzustellen. Dabei helfen Fragen wie: „Berichtet die Patientin, dass sie in letzter Zeit ihren Antrieb verloren hat? Ist die vorhandene Ängstlichkeit plötzlich aufgetreten oder war sie schon immer Teil der Persönlichkeit?“
Kollaps in der Praxis – was tun?
Rohde schilderte das Beispiel einer Frau mit Uterus myomatosus und Anämie. Sie hatte so viel Blut verloren, dass sie in der Praxis kollabierte. Hinter ihrer Weigerung, ins Krankenhaus zu gehen und sich chirurgisch helfen zu lassen, können unterschiedlichste Phobien stehen, verdeutlichte Rohde: Werden Operationen abgelehnt, kann zum Beispiel das Klinik-Setting an sich die Phobie auslösen. Manche fürchten eher die dort mögliche Diagnose einer unerkannten schweren Erkrankung. Auch ein einzelner Behandlungsschritt, z.B. Spritzen, kann die Phobie triggern.
Den Phobien kann auch eine Panikstörung zugrunde liegen. „Es ist empfehlenswert, Frauen mit entsprechenden Symptomen auf ihre Ängste anzusprechen.“ Zudem empfahl sie bei Verdacht auf eine Panikstörung Schilddrüse und Herz der Patientin zu untersuchen, um organische Ursachen auszuschließen. Auch sollte auf Hinweise für weitere psychische Erkrankungen wie Depressionen geachtet werden, die mit behandelt werden müssen.
Bei isoliert auftretenden Phobien und Panikstörungen ist z.B. eine Verhaltenstherapie, eventuell kombiniert mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI), oft wirksam. Benzodiazepine sollten nur im absoluten Ausnahmefall angewendet werden, z.B. direkt vor der gefürchteten Operation.
Zwangsstörungen und Psychosen – ab der Empfängnis höheres Risiko
Verhaltenstherapien und SSRI helfen auch oft Patientinnen mit Zwangsstörungen, ergänzte Rohde. „Die schlimmsten Zwangspatientinnen, die ich gesehen habe, waren Schwangere“, berichtete sie. Zwangsgedanken und -handlungen könnten bisweilen ausschließlich in der Schwangerschaft auftreten und nach der Entbindung von selbst wieder verschwinden.
Ursache seien in solchen Fällen die hormonellen Umstellungen – schon das zu wissen, könne Patientinnen beruhigen. Die Symptome unterschieden sich stark: Manche Frauen werden von Furcht oder Ekel auslösenden Bildern gequält, andere haben den Drang, ständig zu putzen oder zu desinfizieren. Manche fürchten auch eine schwere Erkrankung des Ungeborenen – so sehr, dass sie ständig gynäkologischen Rat suchen.
Schließlich gibt es auch Patientinnen, die von Zwangsgedanken berichten, ihrem Baby etwas anzutun. In der Praxis seien diese Kinder jedoch nicht in Gefahr, so Rohde. Gefahr fürs Kind bestehe eher dann, wenn die Patientinnen Stimmen hörten, also an akustischen Halluzinationen litten.
„Ein Promille aller Frauen entwickeln nach einer Entbindung eine Psychose“, berichtete sie. Ein Hinweis könne sein, wenn eine Wöchnerin so wirke als lausche sie jemandem – obwohl niemand im Raum ist. Aber auch übertriebenes Desinteresse am Kind und am ganzen Umfeld kann auf eine Psychose hinweisen.
Wenn eine junge Mutter dagegen auffällige Euphorie zeigt, die mit einem unangemessenen Umgang mit dem Baby einhergeht – „als sei es eine Puppe“ – sei eher an eine Manie oder Hypomanie zu denken. Sie riet gynäkologisch tätigen Kollegen dazu, bei Verdacht auf Psychose unmittelbar weitere, auch psychiatrische Untersuchungen einzuleiten.
Schwangere lieber rasch behandeln
Nach Abwägung von Chancen und Risiken komme eine Psychopharmako-Therapie auch in der Schwangerschaft infrage, sagte Rohde. Dies gelte auch für eine Verhaltenstherapie und z.B. die Konfrontation mit Angstauslösern. „Manche Ärzte sagen, in der Schwangerschaft bedeute eine Konfrontationstherapie zu viel Stress. Ich sehe das anders – unbehandelt leiden die Frauen ihre gesamte Schwangerschaft hindurch und nach der Entbindung wird alles nur noch schlimmer.“ Ihr Tipp: Schwangere früh, aber behutsam behandeln.
Bei Verdacht auf Depressionen in Schwangerschaft und Wochenbett empfiehlt Rohde die DIA-Fragen. Sie beziehen sich auf die Hauptsymptome einer depressiven Episode:
Depressive Stimmung,
Interessensverlust und
Antriebslosigkeit.
Mögliche Fragen sind: „Haben Sie sich im vergangenen Monat oft niedergeschlagen bzw. hoffnungslos gefühlt? Hatten Sie im vergangenen Monat deutlich weniger Interesse an Dingen, die Sie sonst gerne tun? Brauchen Sie dafür Hilfe?“
Auch das Screening mit der Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) eigne sich für viele Patientinnen. Rohde empfahl nachzuforschen, ob Suizidgedanken vorliegen. „Wenn es konkrete Hinweise darauf gibt, dass die Patientin sich bereits fragt: ‚Soll ich oder soll ich nicht?‘ – dann ziehen Sie bitte sofort einen Psychiater hinzu!“
Sonderfälle: Missbrauchserfahrungen und schweres PMS
Auch posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind bei Schwangeren möglich, ergänzte Rohde. 1 bis 2% aller Frauen entwickelten nach einer Entbindung eine PTBS. Auch aus anderen Ursachen entstandene PTBS in der Vorgeschichte können die Schwangerschaft prägen.
Rohde berichtete von einer jungen Patientin, die sich während einer Ultraschalluntersuchung plötzlich versteifte und nicht mehr ansprechbar war. Auf Nachfrage bestätigte die Frau Missbrauchserfahrungen. „Fragen Sie bei Verdacht auf körperliche oder sexuelle Gewalt in der Vorgeschichte Ihre Patientin: Haben Sie Erfahrung mit Gewalt? Gibt es Dinge, auf die ich bei der Untersuchung Rücksicht nehmen sollte?“, empfahl sie. „Und erklären Sie jeden Arbeitsschritt, den Sie machen.”
Rohde wies noch auf eine weitere größere Gruppe von verhaltensauffälligen Frauen im gebärfähigen Alter hin: solche mit Prämenstruellem Syndrom (PMS). Etwa 3 bis 5% aller Frauen, hätten solch ausgeprägte psychische und körperliche Beschwerden vor der Menstruation, dass ein erheblicher Krankheitswert vorliege.
Zur Abgrenzung von milderen Fällen von PMS empfahl Rohde die Bezeichnung „Prämenstruelle Dysphorische Störung“ (PMDS), die im amerikanischen Diagnosesystem mittlerweile eine offizielle Diagnosekategorie ist. PMDS gehe mit Ängstlichkeit, Anspannung, depressiven Verstimmungen, Affektlabilität, Wut, Reizbarkeit, aber auch Schlaf- und Konzentrationsstörungen einher.
Therapeutisch bewährt habe sich die Einnahme einer Pille im Langzyklus, aber auch von Antidepressiva, die das Serotoninsystem ansprechen, z.B. SSRI. Mit diesen könne die Behandlung durchgehend oder aber nur in der zweiten Zyklushälfte erfolgen.
REFERENZEN:
1. Fortbildungskongress der Frauenärztlichen BundesAkademie FOKO 2018, 1. bis 3. März 2018, Düsseldorf
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Unerkannte psychische Störungen bei gynäkologischen Patientinnen: Tipps zu Diagnose und Therapie - Medscape - 12. Apr 2018.
Kommentar