Nach neuen Ergebnissen lässt sich die Gesamtsymptomatik beim Fibromyalgie-Syndrom durch Tai Chi (Schattenboxen) ebenso gut oder sogar noch besser lindern als durch aerobes Training. Zu diesem Ergebnis kam eine verblindete 52-wöchige Studie. Zudem besserten sich auch Faktoren wie Depression, Angstzustände, Selbstvertrauen und das psychische Wohlbefinden in der Kurz-Form des (SF-36) Gesundheitsfragebogens über die Lebensqualität.
„Im Vergleich zum aeroben Training, das der am häufigsten verordnete nicht medikamentöse Behandlungsansatz bei der Fibromyalgie ist, erscheint Tai Chi genauso effektiv oder sogar besser“, schreiben die Untersucher unter der Leitung von Dr. Chenchen Wang von der Tufts University School of Medicine in Boston, USA. „Dieser ganzheitliche Ansatz kann bei der multidisziplinären Behandlung der Fibromyalgie als therapeutische Option angesehen werden.“ Die Studie wurde online im BMJ veröffentlicht [1].
Große Studie sollte erste Hinweise auf Nutzen bestätigen
Die Fibromyalgie ist eine komplexe Erkrankung, die durch chronische und ausgedehnte muskuloskelettale Schmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen und ausgeprägte körperliche und psychische Beeinträchtigungen gekennzeichnet ist, wie die Autoren ausführen. Schätzungen leiden 2 bis 4% der Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 65 Jahren daran.
Das aerobe Training wird bei der Fibromyalgie als Standardtherapie empfohlen, doch fällt es vielen Patienten aufgrund der schwankenden Symptomatik schwer, regelmäßig zu trainieren. Einige Studien lieferten bereits Hinweise darauf, dass Tai Chi die Schmerzen lindern und die körperliche und geistige Gesundheit bei Patienten mit Fibromyalgie verbessern kann, doch kam man stets zu dem Schluss, dass größere und präzisere Studien notwendig seien, um die Ergebnisse zu bestätigen. Darüber hinaus war unklar, was die optimale Dauer und Häufigkeit von Tai-Chi-Anwendungen ist, um den größtmöglichen Nutzen zu erzielen.
Um zu mehr Klarheit zu gelangen, unternahmen die Forscher eine randomisierte, verblindete und vergleichende Wirksamkeitsstudie. Sie umfasste 226 Fibromyalgie-Patienten, die nach dem Zufallsprinzip für 24 Wochen entweder 2-mal wöchentlich (n = 75) einem geführten aeroben Training oder einer von 4 geleiteten Tai-Chi-Interventionen im verbreiteten Yang-Stil über 12 oder 24 Wochen ein- oder 2-mal wöchentlich (n = 151) zugewiesen wurden. Die Teilnehmer wurden 52 Wochen lang beobachtet. Die Untersucher berichteten, dass die Einhaltung der Verabredungen im direkten Kontakt und telefonisch streng eingefordert worden war.
Das Hauptzielkriterium der Studie war eine Veränderung bei den Punktwerten im modifizierten Fibromyalgie-Impact-Fragebogen (FIQR) nach 24 Wochen gegenüber den Ausgangswerten. Zu den Nebenzielkriterien gehörten Veränderungen bei den Parametern Allgemeinzustand des Patienten, Ängste, Depression, Selbstvertrauen, Coping, körperliche Leistungsfähigkeit, funktionelle Einschränkungen, Schlaf und gesundheitsbezogene Lebensqualität, welche mithilfe des SF-36 bestimmt wurde.
Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 52 Jahren, 92% waren Frauen, die ethnische Zusammensetzung war heterogen (61% weiß). Der Body-Mass-Index (BMI) betrug im Mittel 30 kg/m2. Die Schmerzen in verschiedenen Körperregionen dauerten durchschnittliche bereits 9 Jahre an.
Die Teilnehmer befanden sich zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Studie in einem schlechten Gesundheitszustand, was durch einen durchschnittlichen SF-36-Score belegt wurde, der etwa 2 Standardabweichungen unter dem allgemeinen Durchschnitt in der US-Bevölkerung lag.
Jede geführte Übungseinheit dauerte 1 Stunde, und alle Teilnehmer wurden aufgefordert, während der Interventionszeit mindestens 30 Minuten Tai Chi oder aerobes Training in ihren Tagesablauf einzubauen. Die Untersucher forderten die Teilnehmer zudem auf, ihre Trainingsroutinen während des gesamten 52-wöchigen Follow-up fortzusetzen.
Mitarbeiter der Studie, die für die Gruppenzuweisung verblindet wurden, bestimmten den BMI, stellten die Behandlungserwartungen, die Einhaltung der Vorgaben, die Sicherheit und das körperliche Leistungsvermögen beim 6-Minuten-Gehtest fest.
Einmal pro Woche Tai Chi könnte ausreichen
In den Tai-Chi-Gruppen besuchten 62% die Kurse gegenüber 40% in den Gruppen mit aerobem Training. „Die Teilnehmer, die der ganzheitlichen Therapie zugeordnet waren, nahmen häufiger und regelmäßiger an den Kursen teil als die Teilnehmer der aeroben Trainingsgruppe. Das Tai Chi, das aus einer sanfteren, meditativen Bewegungsabfolge mit minimalen Nebenwirkungen besteht, wird von Patienten mit Fibromyalgie langfristig besser angenommen“, so die Autoren.
Die FIQR-Resultate verbesserten sich für die Teilnehmer aller Gruppen im Vergleich zum Ausgangswert bei den Bewertungen nach 12, 24 und 52 Wochen. Auch war in allen Gruppen im Laufe der Zeit ein ähnlicher Rückgang im Verbrauch von Analgetika, Antidepressiva, Muskelrelaxantien und Antiepileptika zu verzeichnen.
Insgesamt erreichten 183 Teilnehmer (81%) die Evaluationsstufe nach 24 Wochen. Zu diesem Zeitpunkt war die Verbesserung der FIQR-Werte in den Tai-Chi-Gruppen signifikant höher als in der aeroben Trainingsgruppe (p = 0,03). Die Dauer des Tai Chi spielte dabei eine Rolle, da die Menschen nach 24 Wochen größere Verbesserungen bei den FIQR-Ergebnissen meldeten als nach 12 Wochen. Die Differenz war statisch signifikant (p = 0,007).
Hinsichtlich der Häufigkeit der Tai-Chi-Anwendungen stellten die Untersucher keinen signifikanten Unterschied in der Wirksamkeit nach 24 Wochen zwischen denen, die einmal und 2-mal pro Woche dabei gewesen waren, fest. Eine einmal wöchentliche Anwendung könnte demnach ausreichend sein, um die beobachteten Verbesserungen zu erzielen.
Bei den Nebenzielkriterien waren ebenfalls die Tai-Chi-Gruppen hinsichtlich des Allgemeinzustandes des Patienten (p = 0,005), bei den Werten auf der HADS (Hospital Anxiety and Depression Scale; p = 0,006), beim Selbstvertrauen (p = 0,004) und beim Coping (p = 0,005) signifikant im Vorteil.
Insgesamt wurden während der Studie 154 unerwünschte Ereignisse (UEs) gemeldet. Davon traten 117 bei den 115 Tai-Chi-Teilnehmern auf und 37 unter den 75 Teilnehmern der aeroben Trainingsgruppe. In den meisten Fällen handelte es sich laut der Autoren um kleine muskuloskelettale Ereignisse, aber 8 Ereignisse in der Tai-Chi-Gruppe und 4 in der aeroben Übungsgruppe wurden mit den Interventionen in Zusammenhang gebracht.
Das Standard-Vorgehen überdenken
„Wir müssen vielleicht darüber nachdenken, welche Art von Bewegung für Patienten mit Fibromyalgie am effektivsten ist“, schreibt Wang in einer Stellungnahme zu der Studie.
„Trotz der bekannten Vorzüge eines aeroben Trainings als Standardtherapie bei der Fibromyalgie hatten die Patienten in unserer Studie Schwierigkeiten, sich an das Übungsprogramm zu halten, was nicht überraschend war.“ Für viele Patienten mit Fibromyalgie ist die Aufnahme und regelmäßige Fortführung von Übungsprogrammen hart. Übliche Beschwerden waren etwa „Der Boden ist zu hart“, „Ich kann das nicht ertragen“, „Ich bin zu müde“ oder „Ich habe zu starke Schmerzen“.
3 Tai-Chi-Lehrer unterrichteten die Probanden in der Studie. Die Ergebnisse waren bei allen Dreien konsistent, was darauf hindeutet, dass das „klassische Tai Chi im Yang-Stil in standardisierter Form in anderen Settings bei Fibromyalgie eingesetzt werden kann“, schreiben die Autoren.
Amy Price, Redakteurin des Patientenboards beim BMJ, die nach einem Trauma unter chronischen Schmerzen leidet und selbst frühere neurokognitive Reha-Beraterin war, äußerte zu den Ergebnissen, dass ihr „Gleichgewicht aufgrund der Hirn- und Wirbelsäulen-Schädigungen beeinträchtigt gewesen war. Ich sah für mich nur noch eine deprimierende Zukunft als Patientin mit chronischen Schmerzen. Ich hatte nicht erwartet, dass Tai Chi funktioniert, aber ich wollte ihm eine Chance geben. Zunächst vermochte ich nur 3-mal wöchentlich für 10 Minuten zu trainieren und wegen meiner Gedächtnis- und Gleichgewichtsprobleme unter ständiger Überwachung. Allmählich, nach etwa 6 Wochen, verbesserte sich mein Gleichgewicht. Dadurch ging meine Angst zurück und die Kraft kehrte in meinem geschundenen Körper zurück.“
Sie würde generell Tai Chi auch anderen Personen bei Fibromyalgie empfehlen, doch sollten infrage kommende Patienten dies mit ihrem Arzt besprechen, bei auftretenden Schmerzen stoppen und Rücksprache halten sowie auf die Qualität der Ausbilder achten.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Wang C, et al: BMJ (online) 21. März 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Schattenboxen gegen Muskelschmerz: Bei Fibromyalgie erweist sich Tai Chi dem aerobem Training mindestens ebenbürtig - Medscape - 11. Apr 2018.
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