Mannheim – Die Suche nach Möglichkeiten, das kardiovaskuläre Risiko mit Strategien jenseits der etablierten Risikofaktoren zu senken, läuft auf vollen Touren. Fehlgeschlagen sind Versuche mit dem „Wundervitamin“ D, auch HDL scheint kein lohnendes Therapieziel zu sein. Dafür könnten bestimmte Antidiabetika auch kardiovaskulären Risikopatienten ohne Diabetes helfen.
Vitamin D ist eigentlich mehr Hormon als Vitamin, erklärte Prof. Dr. Wilhelm Krone, Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin, Universität Köln, bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie 2018 [1]. Denn zum einen stellt der Körper es zum größten Teil selbst her – nur etwa 20% der täglichen Zufuhr stammen aus der Nahrung, 80% werden unter UV-Einstrahlung in der Haut gebildet. Zum anderen beeinflusst Vitamin D die Transkription vieler Gene. Vitamin-D-Rezeptoren finden sich auf fast allen Zellen des Körpers. Entsprechend vielfältig sind Wirkungen auf Gewebe und Organfunktionen.
Deutschland ist Vitamin-D-Mangelland. Je nach Breitengrad und Jahreszeit finden sich bei bis zu 65% der Menschen Spiegel, die unterhalb des Grenzwerts von 20 ng/l liegen, der die Schwelle zum Mangel definiert. International gebräuchlicher ist die Angabe in nmol/l. Der Umrechnungsfaktor beträgt 2,5. 50 nmol/l entsprechen also 20 ng/l.
Vitamin D und kardiovaskuläre Komplikationen
Erst kürzlich ergab eine Metaanalyse von 8 europäischen epidemiologischen Studien mit fast 30.000 Teilnehmern, dass nicht nur die Gesamtmortalität bei Individuen steil ansteigt, die zu wenig Vitamin D im Blut haben. Auch die kardiovaskuläre Mortalität zeigt eine inverse Korrelation mit dem Vitamin-D-Spiegel. Eine weitere aktuelle Studie belegt ähnliche Zusammenhänge für Patienten mit Diabetes mellitus.
Natürlich beweisen solche Daten keinen Kausalzusammenhang, betonte der Endokrinologe: „Denkbar wäre auch, dass ihr schlechter Gesundheitszustand Menschen davon abhält, sich zu bewegen und das Haus zu verlassen.“ Der niedrige Vitamin-D-Spiegel wäre dann Folge (von zu wenig UV-Einstrahlung) und nicht Ursache der Gesundheitsprobleme.
Klarheit können nur randomisierte prospektive Interventionsstudien bringen. Die erste und bislang einzige Interventionsstudie stammt aus Neuseeland. Wissenschaftler von der Universität Auckland haben 5.108 unselektierten Probanden, die zwischen 50 und 84 Jahre alt waren, jeden Monat hohe Dosen Vitamin D verabreicht: Die Initialdosis betrug 200.000 IE, dann gab es jeden Monat weitere 100.000 IE per os.
Über die gesamte Laufzeit von 3,3 Jahren wurden kardiovaskuläre Komplikationen und Todesfälle erfasst. Das Ergebnis ist enttäuschend: Die Vitamin-Supplementation brachte absolut nichts fürs kardiovaskuläre Risiko. Die Ereignisrate in der Vitamin-D-Gruppe betrug 11,8%, in der Placebo-Gruppe 11,5%.
Selbst als nur die Patienten mit manifestem Vitaminmangel betrachtet wurden – etwa ein Viertel der Gesamtpopulation –, ergab sich noch nicht einmal ein Trend zugunsten der Vitamingabe. Mit Spiegelmessungen war sichergestellt worden, dass das Vitamin auch tatsächlich im Patienten angekommen war: Die Spiegel lagen unter Substitution um 20 ng/l höher als in der Kontrollgruppe.
Auf die Frage, ob es ein anderes Vitamin gibt, das die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität senkt, antwortete Krone lapidar: „Ich kenne keins.“
Davon unberührt bleibt natürlich der Benefit von Vitamin D für die Knochengesundheit, die Evidenz dafür steht auf sehr soliden Füßen. „Ich messe routinemäßig 25-Hydroxy-Vitamin D bei meinen Patienten und finde gefühlt bei 80 Prozent eine Unterversorgung oder einen manifesten Mangel“, so Krone. Wenn ein Patient einen erniedrigten Vitamin-D-Spiegel hat, vielleicht noch einen Hyperparathyreoidismus, und absehbar ist, dass er nicht in die Sonne gehen wird – „dann würde ich versuchen, ihn von der Substitution zu überzeugen“.
HDL: Risikomarker, aber kein Therapieziel
Enttäuschend verliefen auch Versuche, die kardiovaskuläre Sterblichkeit mit Pharmaka zu senken, die das „gute“ HDL erhöhen wie Niacin oder CETP-Inhibitoren. Bei Niacin verschwanden die Effekte, die sich in Monotherapiestudien angedeutet hatten, sobald es mit Statinen kombiniert wurde, berichtete Prof. Dr. Klaus Parhofer, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Ein Kausalzusammenhang zwischen HDL und kardiovaskulärem Risiko ist – anders als bei Triglyzeriden und Lp(a) – ohnehin nicht bewiesen. „Die Studienlage ist inzwischen sehr klar: HDL ist ganz sicher kein Target für die Therapie“, betonte Parhofer. „Aber es ist ein Risikomarker, was vor allem in der Primärprävention relevant ist.“
Ein HDL von 50 mg/dl ist sicher besser als eines von 30 oder 40 mg/dl, aber der Zusammenhang ist nicht linear. Jenseits von 60 mg/dl flacht die Kurve ab, und ein HDL von 80 mg/dl macht die Prognose nicht mehr besser. Sobald eine Arteriosklerose vorliegt, verliert HDL gänzlich an Bedeutung.
Antidiabetika auch kardioprotektiv?
Positives gibt es dagegen aus einer Ecke zu vermelden, die Kardiologen lange kaum mehr auf dem Schirm hatten: von den Blutzuckersenkern. Wie PD Dr. Michael Lehrke, RWTH Aachen erläuterte, hat diese positive Entwicklung ihren Ursprung in den Sicherheitsstudien, welche die Arzneimittelzulassungsbehörden FDA und EMA für jedes neue Antidiabetikum fordern.
Für Acarbose, lang wirksame Insulinanaloga und DPP4-Inhibitoren waren diese Studien noch neutral ausgegangen. GLP1-Analoga und SGLT2-Inhibitoren dagegen können offenbar kardiovaskuläre Komplikationen und Todesfälle mindestens so effektiv verhindern wie Antihypertensiva. Das gilt allerdings nicht für alle Wirkstoffe gleichermaßen, so Lehrke.
Bei den SGLT2-Hemmern scheint der kardioprotektive Effekt ein Klasseneffekt zu sein, auch wenn sie sich in der Effektstärke möglicherweise unterscheiden. Auch eine präventive Wirkung gegen Herz- und Niereninsuffizienz dürfte den Wirkstoffen gemein sein. Doch gibt es Unterschiede im Sicherheitsprofil: Erhöhte Raten an Amputationen und Bagatelltrauma-Frakturen wurden unter Canagliflozin beobachtet, nicht aber unter Empagliflozin.
Die Situation bei den GP1-Analoga stellt sich etwas unübersichtlicher dar. Zwei Wirkstoffe, Liraglutid und Semaglutid, haben vergleichbar gute kardioprotektive Wirkung wie die SGLT2-Inhibitoren demonstriert. Zwei andere, Exenatid (in retardierter Form) und Lixisenatid, gelang das nicht. Die Gründe dafür sind noch weitgehend unklar.
Wie auch immer: Der Benefit, den SGLT2-Inhibitoren und die beiden GLP1-Analoga gezeigt haben, war weitgehend blutzuckerunabhängig, wie Lehrke betonte. Das könnte bedeuten, dass sie sich auch zur kardiovaskulären Risikoabwehr bei Patienten eignen, die keinen Diabetes haben – das wird zurzeit in Studien geprüft.
Noch eines war dem Diabetologen wichtig: Auch bei den mikrovaskulären Endpunkten, vor allem dem Schutz vor Nephropathie, „hat keine andere Substanz so gute Daten vorzuweisen wie die neuen Antidiabetika“.
Tab. 1: Kardiovaskuläre Sicherheit von Antidiabetika
Wirkstoff (geprüfte Substanzen) |
Sicherheit versus Placebo |
Sulfonylharnstoffe |
unklar |
Metformin |
überlegen |
Acarbose |
gleichwertig |
DPP4-Inhibitoren (Sitagliptin, Saxagliptin, Alogliptin) |
gleichwertig |
Lang wirksame Insulinanaloga (Glargin, Degludec) |
gleichwertig |
SGLT2-Inhibitoren (Empagliflozin, Canagliflozin) |
überlegen |
GLP1-Analoga (Lixisenatid, Exenatid LAR) |
gleichwertig |
GLP1-Analoga (Liraglutid, Semaglutid) |
überlegen |
REFERENZEN:
1. 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 5. bis 7. April 2018, Mannheim
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Jenseits von Statinen und Antihypertensiva – wie lassen sich kardiovaskuläre Risikopatienten schützen? - Medscape - 10. Apr 2018.
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