DGK launcht Leitlinien-basierte App für 6 kardiologische Notfälle: „Neue Dimension, Leitlinien umzusetzen“

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

9. April 2018

Mannheim – Kommt ein Patient mit Brustschmerz in die Chest Pain Unit (CPU), zückt der behandelnde Arzt von jetzt an kurz sein Smartphone. Denn den nächsten leitliniengerechten Behandlungsschritt findet er in einer neuen App, die die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) nach 10-jähriger Entwicklung auf ihrer Jahrestagung in Mannheim präsentiert hat [1].

Prof. Dr. Peter Radke

Die interaktiven Leitlinien sollen Ärzte bei der Behandlung von zunächst 6 kardiologischen Notfällen unterstützen. In sogenannten „Clinical Decision Support (CDS)-Tools“ werden „leitlinienbasierte Behandlungspfade für die wichtigsten akuten kardiologischen Erkrankungen dargestellt“, erklärte Prof. Dr. Peter Radke, Chefarzt an der Schön Klinik in Neustadt und Mitglied der Task Force „Medical Apps in der Kardiologie“, auf einer Pressekonferenz der Jahrestagung.

Radke bezeichnete die Tools bei der Vorstellung der neuen Applikation, die vor allem für Ärzte in Chest Pain Units entwickelt wurde, als „neue Dimension, die Leitlinien umzusetzen“. Die App besteht nämlich nicht nur aus abrufbaren Infos, sondern „leitet den Arzt Schritt für Schritt durch den Behandlungsprozess.“ Das sei besonders für jüngere Kollegen mit weniger Erfahrung hilfreich.

 
Heute existieren deutschlandweit zwar Leitlinien von 177 medizinischen Fachgesellschaften, davon sind aber gerade erst 15 in interaktiver Form verfügbar. Prof. Dr. Peter Radke
 

Trotz der Vielzahl auf dem Markt befindlicher medizinischer Apps und mehrerer 100.000 mobiler Gesundheitsanwendungen, stellten digitale Orientierungshilfen im Medizinbetrieb noch immer eine Ausnahme dar, sagte Radke. „Der skeptische Umgang mit modernen Kommunikationsmöglichkeiten hat dazu geführt, dass heute deutschlandweit zwar Leitlinien von 177 medizinischen Fachgesellschaften existieren, davon aber gerade erst 15 in interaktiver Form verfügbar sind.“Dieses Manko sollte zumindest in der Kardiologie jetzt eindeutig der Vergangenheit angehören, weshalb die DGK eine Task Force hierzu eingerichtet hat, betonte Radke.

Checklisten erinnern an Leitlinienvorgaben

Das erste digitale Produkt der Task Force bildet 6 kardiologische Notfälle ab:

  • Leitsymptom akuter Brustschmerz,

  • ST-Hebungsinfarkt,

  • akutes Nicht-Hebungs-Koronarsyndrom,

  • infarktbedingter kardiogener Schock,

  • akutes Aortensyndrom und

  • Lungenarterienembolie.

Prof. Dr. Martin Möckel

„Die Checklisten zeigen, wie wir das im Flugverkehr schon lange kennen, mit wenigen Abfragen rasch und übersichtlich, welche Patienten akut besonders gefährdet sind und welche Prozesse wann eingeleitet werden müssen“, erklärte Prof. Dr. Martin Möckel, Ärztlicher Leiter Notfallmedizin/Rettungsstellen und Chest Pain Units CVK/CCM an der Charité Universitätsmedizin Berlin und ebenfalls Mitglied der Medical-Apps-Task-Force.

Ganz konkret: Die App erinnert beispielsweise daran, dass gemäß der Leitlinien bei Thoraxschmerzen innerhalb von 10 Minuten ein EKG geschrieben oder ein Infarktpatient binnen einer Stunde im Katheterlabor behandelt werden sollte.

 
Die Checklisten zeigen … mit wenigen Abfragen rasch und übersichtlich, welche Patienten akut besonders gefährdet sind und welche Prozesse wann eingeleitet werden müssen. Prof. Dr. Martin Möckel
 

Eine leitliniengetreue Behandlung führt zu besserer Qualität der Versorgung und somit auch zu besseren klinischen Ergebnissen – das zeigen zahlreiche Studien, argumentierte Möckel. In einer 2015 in Circulation veröffentlichten Studie mit 40.000 Patienten mit akutem Koronarsyndrom etwa ging hohe Leitlinien-Adhärenz einher mit einem geringeren Sterberisiko und weiniger Blutungskomplikationen.

Leitlinien-Adhärenz an vielen Stellen „verbesserungswürdig“

„Es ist jedoch leider auch bekannt, dass die Leitlinien-Adhärenz in Krankenhäusern sehr unterschiedlich sein kann und an vielen Stellen zumindest verbesserungswürdig ist“, sagte Möckel. Durch den Einsatz der App hofft die Task Force auf eine Verbesserung der Leitlinien-Treue und somit auch der kardiologischen Versorgung. Ob diese Hypothese tatsächlich zutrifft, müssten klinische Versorgungsstudien im nächsten Schritte zeigen, erklärte Radke.

Zur Konzeption der App wurden die Leitlinien zunächst in Prozesse umgewandelt und aus diesen wiederum eine „anwenderfreundliche“ interaktive Anwendung entwickelt, erklärte Möckel. Den Prototyp stellte die bereits auf dem DGK-Kongress 2014 gelaunchte und von der Deutschen Herzstiftung vorgestellte App „Antithrombotische Therapie beim STEMI“ dar.

Finanziert wurde die Anwendung durch die Fachgesellschaft. Sie ist zunächst kostenfrei im App Store oder bei Google Play unter „DGK Pocket-Leitlinien“ downloadbar. Neben den digitalen Pocket-Leitlinien zu einer Reihe von Krankheitsbildern, etwa Synkope, Diabetes mellitus oder Herzinsuffizienz, finden Ärzte darunter auch die „Clinical Decision Support Tools“.

„Es ist klar, dass das Angebot nicht auf Dauer kostenfrei bleiben kann“, räumte Radke ein. Jedoch sollte zunächst eine möglichst große Zahl von Kardiologen die App erproben und bewerten, ob sie „sinnvoll und nützlich ist“. Ob die Anwendung überhaupt auf Interesse stößt, ließe sich schnell anhand der Downloadzahlen ablesen. Ob sie sich als hilfreich erweist, würde in persönlichen Feedbackgesprächen eruiert, erklärte Radke.

Patientendokumentation in Planung

Das Rückgrat der Anwendung bilden publizierte Ereignis-Prozessketten, erklärte Möckel. „Jede davon beruht auf gültigen Leitlinien, die in der bisherigen Form leider oft schwer auf die konkrete Arbeitssituation umsetzbar war.“ Denn in einer Behandlungssituation sei das Auffinden einer bestimmten Stelle in einer 100-seitigen Leitlinie beinahe unmöglich.

Die Anwendung dagegen führe den Arzt auf der Basis eines Krankheitsbilds, etwa einer Lungenembolie, und den Daten des Patienten gemäß der jeweiligen Leitlinie durch das Assessment und schließlich zur Therapie. „Unser Interesse ist es, die Leitlinie ans Patientenbett zu bringen und nutzbar zu machen“, sagte Möckel. So starten die CDS-Tools zur Lungenembolie mit dem Check des Zustands eines Patienten mit Verdacht auf Lungenembolie.

„Anfangs dachte jeder, dass eine Kompakt-Version der Leitlinien, die man in die Kitteltasche stecken kann, ausreicht“, erklärte Dr. Eckard Fleck, Pressesprecher der DGK auf der Pressekonferenz zur Präsentation der App. In einer Behandlungssituation orientierte sich der Arzt jedoch nicht an Diagnosen, wie sie in den Leitlinien vorgegeben sind, sondern an Leitsymptomen, die zu einer Verdachtsdiagnose führen. Somit stellen die CDS-Tools mit dem schrittweisen Vorgehen vom Symptom zur Diagnose und Therapie eine Erweiterung der Leitlinien dar, sagte Fleck.

 
Perspektivisch sollen die Anwendungen mit dem Krankenhaus-Informationssystem interagieren und die Dokumentationspflicht unterstützen. Prof. Dr. Martin Möckel
 

Die App beinhaltet auch bei Bedarf abrufbare unterstützende Tools wie Risiko-Scores und Kriterienlisten, etwa für kardiogenen Schock. Es wäre die erste App, „die auf klaren, allgemein akzeptierten und vor allem publizierten Regeln beruht, auf individueller Patientenbasis arbeitet, auch parallel ablaufende Prozesse berücksichtigt und perspektivisch den gesamten Entscheidungsprozess zur Patientendokumentation hinzufügen kann“, betonte Radke.

„Perspektivisch sollen die Anwendungen mit dem Krankenhaus-Informationssystem interagieren und die Dokumentationspflicht unterstützen“, so Möckel. „Das bedeutet erhebliche Vorteile für die Ärzte.“ Etwa könnte anhand der Prozessschritte in der App exakt nachvollzogen und dokumentiert werden, warum ein Röntgenbild in einer bestimmten Situation nicht gemacht wurde, erklärte Möckel. Dieser Schritt wäre allerdings momentan noch Zukunftsmusik.

 

REFERENZEN:

1. 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 5. bis 7. April 2018, Mannheim

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....