Einem australischen Krankenpfleger ist es gelungen, seinen eigenen ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) mit telemetrischer Assistenz zu behandeln, berichtet Felicity Lee vom Sir Charles Gairdner Hospital im australischen Nedlands [1]. Der Patient begann eine Lyse-Therapie und traf weitere Notfallmaßnahmen. Seine Intervention verlief erfolgreich.
„Entscheidend ist, dass der Patient mit einem Hebungsinfarkt aufgrund seines Aufenthaltsorts nicht kathetert werden konnte“, kommentiert Prof. Dr. Dirk Westermann im Gespräch mit Medscape. Er ist stellvertretender Klinikdirektor am Universitären Herzzentrum Hamburg, Klinik und Poliklinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologie, des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.
Die PCI ist bekanntlich in Deutschland Infarkt-Therapie der Wahl. „Ist die Entfernung zu einem Zentrum mit perkutaner koronarer Intervention zu weit, bleibt gemäß Leitlinien nur die Lysetherapie“, so der Experte. „Wir würden die Behandlung in Deutschland aber nie so durchführen, weil bei uns immer ein Herzkatheter-Zentrum erreichbar ist.“ Das gelte zu jeder Tageszeit, aber auch für entlegene Regionen wie Nordseeinseln. Westermann: „Wir glauben, dass die PCI per se besser als die Lyse ist, falls verfügbar.“
Diagnostik per E-Mail
Was war passiert? Ein 44-jähriger Krankenpfleger litt an Schmerzen in der Brust und Schwindel als Symptome eines möglichen Herzinfarkts. Unglücklicherweise lebte er in Coral Bay an der Westküste Australiens. Der nächste Arzt befand sich im knapp 150 km entfernten Exmouth. Deshalb suchte der Patient seine eigene Krankenstation auf, um Diagnostik und Therapie einzuleiten. Weitere Personen waren nicht vor Ort.
Im ersten Schritt schickte er mehrere Elektokardiogramme an den Western Australia Emergency Telehealth Service (WAETS). Diese Regierungseinrichtung bietet entlegenen Krankenhäusern oder Notfallstationen zeitnahem Kontakt zu erfahrenen Notfallmedizinern. Seit ihrer Gründung im Jahr 2012 haben WAETS -Ärzte die Behandlung von 50.000 Patienten per Telemetrie unterstützt. 74% aller Erkrankten konnten vor Ort, also ohne aufwendige Transporte, versorgt werden. Teil der Strategie sind gut ausgestattete Krankenstationen in entlegenen Regionen.
Im aktuellen Fall fanden die WAETS-Experten einen kompletten Herzblock, einen kompletten Rechtsschenkelblock, eine ST-Strecken-Senkung in antero-lateralen Ableitungen und hyperakute T-Wellen in inferioren Ableitungen.
50 Minuten später folgten weitere Daten. Das zweite Elektrokardiogramm zeigte eine Sinustachykardie mit ST-Strecken-Hebung in inferioren Ableitungen und ST-Strecken-Senkung in anterolateralen Ableitungen. Damit stand ein ST-Hebungsinfarkt (STEMI) als Diagnose fest. Biomarker wie Troponin oder CK-MB konnten vor Ort nicht gemessen werden.
Therapie in Eigenregie
Aufgrund aller Ergebnisse legte sich der Krankenpfleger selbst einen Zugang. Er applizierte Acetylsalicylsäure, Clopidogrel, Opiate und Heparin intravenös. Zudem verabreichte er sichsublingual Nitroglycerin ein. Unter professioneller Anleitung per Videokonferenz führte er bei sich selbst eine Thrombolyse mit Tenecteplase durch. Sicherheitshalter legte er Defibrillator-Pads an und stellte Adrenalin, Atropin und Amiodaron bereit. Die Notfallmaßnahmen waren jedoch unnötig. Nach der Thrombolyse verschwanden ST-Strecken-Hebungen im EKG und alle klinischen Symptome.
Per Royal Flying Doctor Service (RFDS) ging es schließlich nach Perth in die Kardiologie und ins Herzkatheterlabor. Der RFDS hat zwar mehr als 60 Flugzeuge im Einsatz, um entlegene Gegenden Australiens zu versorgen. Es gelingt aber nicht immer, Patienten innerhalb von 60 bis 90 Minuten einer Lysetherapie oder einer perkutanen Koronarintervention (PCI) zuzuführen.
Im Krankenhaus erhielt der bereits vorbehandelte Krankenpfleger einen Stent und wurde 48 Stunden später nach Hause entlassen. Die weitere Behandlung war ambulant möglich.
Behandlung den Profis überlassen
Dr. Satjit Bhusri, ein Kardiologe am Lenox Hill Hospital in New York City, USA, fasst die Ergebnisse zusammen: „Der Mann nutzte sein Erste-Hilfe-Material, das er vor Ort hatte und behandelte sich im Wesentlichen mit der gleichen medizinischen Strategie, die wir auch im Krankenhaus anwenden würden.“ Als Einschränkung erwähnt er, dass es sich um einen „bislang einzigartigen Fall“ handele. Laien sollten die Behandlung von Herzinfarkten Profis überlassen.
„In solchen Situationen ist es unerlässlich, immer Hilfe mit allen notwendigen Mitteln zu bekommen", sagt Bhusri. „Es ist auch wichtig, Anzeichen und Symptome eines Herzinfarkts zu kennen und die Grundlagen der Lebenserhaltung zu kennen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere."
Gegenüber Medscape ergänzt Dr. Nick Genes, Notfallmediziner am Mount Sinai Health System in New York City: „Wesentlich war, dass er rechtzeitig Heparin und Thrombolytika einsetzte, bevor das Herz stark geschädigt wurde.“
Vielleicht hätte auch ASS ausgereicht. Genes weiter: „Wir sind besessen von den Thrombolytika und Stents, aber ASS ist eine sehr effektive Therapie, sogar für einen STEMI. Es ist nicht die einzige Therapie, aber es ist ein guter erster Schritt.“
Genes sagte, er sei überrascht, dass der Pfleger ein Opiat, wahrscheinlich Morphin, verwendet habe. „Morphin gehört seit langem zu den Behandlungsstandards für Brustschmerzen, wurde aber kürzlich in Frage gestellt, weil sich gezeigt hat, dass es die Wirksamkeit von Clopidogrel und einigen anderen Thrombozyten-Aggregationshemmern verringert.“
Westermann sind diese Hinweise ebenfalls bekannt; sie hätten sich seiner Meinung nach aber nicht wirklich bestätigt. „Die Frage ist für mich eher: Welche Dosis verträgt ein Patient und schläft er vielleicht ein?“, gibt der Experte zu bedenken. „Ich hätte ihm geraten, kein Opiat einzusetzen.“
REFERENZEN:
1. Lee F, et al: NEJM (online) 8. März 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Einzigartige Eigentherapie: Pfleger behandelt eigenen STEMI per Lyse – nur mit telemedizinischer Unterstützung - Medscape - 9. Apr 2018.
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