Jede Menge Mikroplastik in Wasserflaschen: Kann es im Körper Schaden anrichten?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

6. April 2018

In Mineralwasser aus Plastik- und Glasflaschen oder Getränkekartons wimmelt es von Mikrokunststoffen – winzigen Kunststoffpartikeln, die oft zu klein sind, um sie zu sehen. Zu diesem Ergebnis kommt ein von Orb Media in Auftrag gegebener Bericht, den auch das US-Magazin Live Science vorgestellt hat.

Orb Media, eine gemeinnützige Organisation, hatte von Wissenschaftlern über 250 Flaschen von 11 Marken (darunter auch welche aus Deutschland) testen lassen. Das Ergebnis: 93% der Proben enthielten bis zu 10.000 Partikel Mikrokunststoffe pro Liter (durchschnittlich 325 Partikel/Liter).

Partikel sind kleiner als rote Blutkörperchen

Prof. Dr. Sherri Mason, Vorsitzende der Abteilung Geologie und Umweltwissenschaften an der State University of New York in Fredonia, eine der führenden Mikrokunststoff-Forscherinnen, und ihr Team haben für ihre Studie insgesamt 259 Plastikflaschen von 11 Herstellern an 19 verschiedenen Orten der Welt gekauft. Unter den getesteten Marken befanden sich die deutsche Firma Gerolsteiner, Evian, Nestlé Pure Life und San Pellegrino.

In 93% der Proben wurden Plastikteilchen gefunden, deren Größe teilweise der Dicke eines menschlichen Haares entsprach. Durch eine Laseranalyse konnten die Forscher sichergehen, dass es sich dabei tatsächlich um Kunststoffe handelte.

Den Forschern half der Farbstoff Nilrot die Mikrokunststoffe zu finden: Erstmals 1985 verwendet, haftet Nilrot an Kunststoff und fluoresziert durch einen orangefarbenen Filter, wenn es unter einer Lampe mit blau-grüner Wellenlänge betrachtet wird.

Die Studienautoren filtrierten das Wasser auf 1,5 Mikrometer (0,0015 Millimeter) – eine Größe „kleiner als ein menschliches rotes Blutkörperchen“ – und zählten die im Filter eingeschlossenen fluoreszierenden Partikel. Die molekulare Analyse identifizierte Partikel wie Poly-Ethylen-Terephthalat (PET), Nylon und Polypropylen, so der Bericht.

Hersteller zweifeln Ergebnisse an

Orb Media kontaktierte daraufhin die Hersteller der Mineralwässer, die die Ergebnisse anzweifelten. Nestlé präsentierte eigene Testergebnisse von 6 Flaschen, die „zwischen 0 und 5 Kunststoffpartikel pro Liter“ enthielten, so der Bericht.

Nestlé erklärte, ebenfalls seit 2 Jahren auf Mikroplastik zu testen. Dabei hätten sich nur wenige Spuren im abgefüllten Wasser gefunden. Ein Sprecher des Unternehmens kritisierte zudem die Methodik der Studie und bot einen Vergleich mit den Untersuchungsmethoden von Nestlé an.

 
Doch einige dieser Partikel sind so unglaublich klein, dass sie tatsächlich ihren Weg über den Magen-Darm-Trakt, über die Schleimhaut und durch den ganzen Körper nehmen können … Prof. Dr. Sherri Mason
 

Gerolsteiner erklärte auf Anfrage der BBC , die Firma führe seit Jahren interne Tests auf Mikropartikel im Wasser durch. Dabei hätten sie einen wesentlich geringeren Anteil an Plastikpartikeln in ihren Flaschen festgestellt. Daher könne man die Ergebnisse der Studie nicht nachvollziehen.

Partikel könnten in Immunzellen der Darmschleimhaut gelangen

„Wir wissen, dass einige dieser Partikel groß genug sind, um nach der Einnahme wahrscheinlich ausgeschieden werden. Aber auf ihrem Weg können sie gesundheitsschädliche Stoffe freisetzen“, erklärt Mason. Und fährt fort: „Doch einige dieser Partikel sind so unglaublich klein, dass sie tatsächlich ihren Weg über den Magen-Darm-Trakt, über die Schleimhaut und durch den ganzen Körper nehmen können und wir wissen nicht, was das für die verschiedenen Organe und Gewebe bedeutet.“

 
Wir wissen einfach noch nicht, wie viele dieser Teilchen es tatsächlich in den Blutkreislauf des Menschen schaffen. Rolf Halden
 

Für Dr. Stephanie Wright vom King's College Centre for Environment and Health in London geht es vor allem darum zu verstehen, wie viel Mikroplastik wir ausgesetzt sind und was dieses im Organismus anrichtet: „Die Partikel können in einer Immunzelle in der Darmschleimhaut bleiben oder ins Lymphsystem und die Lymphknoten gelangen. Es gibt auch die – geringe – Möglichkeit, dass sie in den Blutkreislauf gelangen und eventuell in der Leber akkumulieren.“

Die Partikel seien harte Fremdkörper „die unser Körper natürlich loswerden will, aber nicht kann, weil Kunststoff nicht abbaubar ist, so dass das lokale Gewebe geschädigt wird. Aber im Moment wissen wir nicht, was genau passiert“, erklärt Wright.

Wie gesundheitsschädlich die Partikel tatsächlich für Menschen sind, ist damit noch lange nicht geklärt. „Wir wissen einfach noch nicht, wie viele dieser Teilchen es tatsächlich in den Blutkreislauf des Menschen schaffen“, sagt auch der Leiter des Center for Environmental Health Engineering an der Arizona State University, Rolf Halden. „Viele werden zu groß sein.“ Doch es gebe „sehr wohl Sorge über das Eindringen solcher Teilchen ins Gewebe“, sagt Halden.

Mikropartikel sind auch in Glasflaschen und Getränkekartons

Dass sich Mikropartikel nicht nur in Plastikflaschen, sondern offenbar auch in Wasser aus Mehrweg-PET-Flaschen, Getränkekartons und Glasflaschen finden, haben Münsteraner Forscher um Darena Schymanski vom Chemischen und Veterinärversorgungsamt Münsterland Emscher Lippe jetzt herausgefunden. Sie untersuchten Mineralwässer aus 22 verschiedenen PET-Mehrweg- und PET-Einwegflaschen, 3 Getränkekartons und 9 verschiedenen Glasflaschen. In allen Verpackungsarten fanden sie kleines (50-500 µm) und sehr kleines (1-50 µm) Mikroplastik.

Bei den meisten der in den PET-Mehrwegflaschen gefundenen Partikel handelte es sich auch um PET (84%), bei 7% um Polypropylen. Sowohl die Flaschen selbst als auch deren Deckel bestehen aus PET.

Dagegen wurden im Wasser der Einwegflaschen nur sehr wenige PET Partikel gefunden. Im Wasser der Getränkekartons und Glasflaschen fanden sich weitere Polymere wie Polyethylene und Polyolefine. Getränkekartons sind mit Polyethylenfolien beschichtet und die Polypropylen-Deckel mit Lubrikanzien behandelt. All dies deutet darauf hin, dass die Verpackungen selbst die Quelle der Polymer-Partikel sind.

„Knapp 80 Prozent der nachgewiesenen Plastikpartikel lagen im unteren Messbereich zwischen 5 und 20 Mikrometern, sind also besonders klein“, berichtet Arbeitsgruppenleiter Christophe Goldbeck. Das sei die Stärke der in Münster verfeinerten Messmethode: Sie erfasse zum ersten Mal auch sehr kleine Teilchen.

Goldbecks Team möchte das Verfahren weiter verfeinern und demnächst auch Nanoplastik analysieren – also Teilchen, die noch kleiner sind und noch tiefer in Körpergewebe eindringen können. Wichtig sei auch herauszufinden, wo und bei welchen Prozessschritten genau sich PET-Partikel aus den Mehrwegflaschen lösen. Dem Verband Deutscher Mineralbrunnen sind die Messergebnisse bekannt, wie er auf Anfrage mitteilte. Derzeit finde eine Einschätzung statt.

Albert Braeuning, der als Toxikologe beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) arbeitet, hat mit seinem Forschungsteam Plastik an Nagetiere verfüttert. Nun werten die Wissenschaftler aus, wie sich die Kunststoffe auf das Gewebe der Versuchstiere ausgewirkt haben. „Soweit wir das anhand der Proben bislang bewerten können, haben wir keine negativen Effekte festgestellt“, so Braeuning. Trotzdem, sagt er, sei weitere Forschung notwendig, um den „menschlichen Aspekt“ beurteilen zu können.

Anreicherung im Darmgewebe – die WHO plant nun einen Review

Schon im Juni 2016 hatten Wissenschaftler im European Food Safety Authority Journal dokumentiert, weshalb die Aufnahme von Mikrokunststoffen bedenklich ist. Die nämlich ergibt sich aus der Fähigkeit der Mikrokunststoffe, hohe Konzentrationen von Schadstoffen wie polychlorierte Biphenyle (PCBs) und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs) anzureichern, die dann in das Darmgewebe aufgenommen werden können. BBC – einer der Medienpartner von Orb Media – gab jetzt bekannt, dass die WHO aufgrund der Studienergebnisse nun plant, einen Review über Mikrokunststoffe und ihre Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit vorzunehmen.

Es wären viel mehr Daten über die Auswirkungen von Mikrokunststoffen auf die menschliche Gesundheit erforderlich, damit die Gesundheitsorganisation Maßnahmen ergreifen könne, so der WHO-Vertreter Fadéla Chaib in einer E-Mail an Live Science.

Aber im Moment seien die Informationen über Mikrokunststoffe im Trinkwasser „sehr begrenzt“, und es gebe keine Informationen, die darauf hindeuteten, dass ihre Anwesenheit für die Menschen gefährlich sei, sagt Chaib.

Bruce Gordon, Koordinator der WHO im Bereich Wasser und Hygiene, sagt gegenüber BBC News, dass die Schlüsselfrage sei, wie sich lebenslanges Essen oder Trinken von Plastikpartikeln auswirke. Normalerweise, so Gordon, „haben wir eine ‚sichere‘ Grenze, aber um eine sichere Grenze zu definieren, müssen wir verstehen, ob diese Dinge gefährlich sind und ob sie in Wasser in gefährlichen Konzentrationen vorkommen.“

 
Soweit wir das anhand der Proben bislang bewerten können, haben wir keine negativen Effekte festgestellt. Albert Braeuning
 

„Betrachtet man die wachsenden Müllberge und die Prognosen für die nächsten Jahrzehnte, dann überkommt uns ein Ohnmachtsgefühl“, schreibt Schymanski. Dass aber das Thema Vermüllung und Klimaschutz inzwischen auch in der breiten Öffentlichkeit angekommen sei, wecke jedoch Hoffnung.

Forschungseinrichtungen, NGOs und Umweltverbände beschäftigten sich mit der Problematik des großen und unsichtbaren „sehr kleinen“ Plastikmülls. Schalteten sich auch der Verbraucherschutz, die Politik und die breite Öffentlichkeit ein, könne eine Umdenken und ein besseres Bewusstsein für den Umgang mit Plastik(-müll) geschaffen werden, schließt sie.

 

Kommentar

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