
Prof. Dr. Thomas Münzel
Mannheim – „Lärm und Luftverschmutzung wirken unmittelbar auf den Menschen ein. Beidem kann man sich kaum entziehen“, erklärte Prof. Dr. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie 1 am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, im Gespräch mit Medscape. Beim Kardiologenkongress in Mannheim präsentierte er klinische und präklinische Studien der letzten Jahre, welche deutlich machen: Ein Übermaß dieser Umwelteinflüsse schädigt Herz und Gefäße, besonders bei vorbelasteten Personen [1].
Der Pathomechanismus ist offenbar für Lärm und für Luftverschmutzung der gleiche. Derzeit wird intensiv erforscht, ob sich die Auswirkungen von Umweltstress durch Medikamente – etwa Statine oder ACE-Hemmer – oder durch körperliche Aktivität eindämmen lassen.
Lärm stört insbesondere nachts – auch wenn man nicht aufwacht
„Die Augen kann man nachts schließen, die Ohren nicht“, beschreibt Münzel einen Teil des Problems. Lärm erzeugt Stress und lässt die Kortisonwerte steigen. Das gilt nicht nur, wenn wir ihn tagsüber bewusst wahrnehmen oder nachts davon aufwachen, sondern sogar dann, wenn wir weiterschlafen. So steigt nach Daten der HYENA-Studie der Blutdruck um etwa 6 bis 8 mmHg und bleibt etwa 15 min lang erhöht, wenn wir im Schlaf den Lärm eines Überflugs hören – jedes Mal.
Dabei wird der Lärm des Straßen- oder Schienenverkehrs bei gleicher Lautstärke besser toleriert; die „Ärger-Reaktion“ fällt hier deutlich geringer aus. Interessanterweise hat die Lärmbelästigung auf Fluglärm in den letzten Jahre deutlich zugenommen, während das Ausmaß der Lärmbelästigung z.B. durch Straßenlärm nahezu konstant geblieben ist.
„Die Gründe für die deutlich unterschiedlichen Belästigungsreaktionen bei unterschiedlichen Lärmquellen kennen wir noch nicht“, so Münzel. „Womöglich sind wir durch die öffentliche Diskussion einfach stärker sensibilisiert für Fluglärm.“
In einer aktuellen Studie, die auf dem DGK-Kongress präsentiert worden ist, konnte die Mainzer Arbeitsgruppe zudem nachweisen, dass mit Zunahme der Lärmbelästigung auch mit mehr Vorhofflimmern zu rechnen ist.
Feinstaub dringt in die Blutgefäße ein und fördert Atherosklerose
Auch Feinstaub findet ganz unmittelbar den Weg in den Körper: „Man geht davon aus, dass er inhaliert und über die Lunge aufgenommen wird, ins Blut geht, ins Gefäß einwandert, dort eine Entzündung verursacht und den Prozess der Atherosklerose stimuliert“, erläutert Münzel auf Nachfrage.
Er verweist auf Studien schottischer und niederländischer Forscher mit Hilfe von Goldstaub. Die Wissenschaftler ließen Mäuse, gesunde menschliche Probanden sowie Patienten mit geplanter Endarterektomie jeweils Goldpartikel inhalieren. Die Größe war in den Versuchsanordnungen unterschiedlich – von etwa 2 bis 200 Nanometer.
Bei Mensch und Tier wurde schon nach Minuten oder Stunden Gold im Blut und Urin gefunden. Ein Teil der Mäuse hatte eine fettreiche Ernährung erhalten und dienten als Atherosklerose-Modell. Bei ihnen fanden sich viele Goldpartikel in den Gefäßplaques. Die Endarterektomie-Patienten erhielten ihren Eingriff einen Tag nach der Inhalation – auch in ihren OP-Präparaten fand sich reichlich Goldstaub.
„Je kleiner die Goldpartikel waren, desto länger waren sie bei Mensch und Maus nachweisbar, insbesondere die Größen unter 10 Nanometer“, so Münzel beim Kongress. „Zum Teil war noch nach 3 Monaten Gold zu finden.“
Diese Beobachtungen lassen sich vermutlich auf gewöhnlichen Ruß und Straßenstaub übertragen, folgert er im Gespräch mit Medscape: „Es ist durchaus anzunehmen, dass Feinstaub, der einmal in eine atherosklerotische Läsion in der Gefäßwand gelangt ist, dort sehr lange verbleibt, Entzündungsreaktionen triggert und damit den Prozess der Atherosklerose unterhält.“
Die schottische Arbeitsgruppe untersuchte weiterhin, inwieweit Dieselabgase die Gefäßfunktion von gesunden Probanden und von Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung negativ beeinflussen können und welche Komponenten hierfür verantwortlich sind.
Dieselabgase führten zu einer deutlichen Zunahme der ST-Strecken-Senkungen im Rahmen eines Belastungs-EKGs und führten bei Gesunden zu einer endothelialen Dysfunktion, die nicht nachzuweisen war, wenn der Feinstaub mit speziellen Filtern herausgefiltert wurde. Dies wurde als Beweis dafür genommen, dass eher Feinstaub als Stickstoffdioxid (NO2) für die Gefäßschäden verantwortlich ist. Allerdings hatte diese Studie nur 16 Teilnehmer. Die Gewichtung der einzelnen Luftschadstoffe ist also noch nicht abschließend möglich.
Gemeinsamer Pathomechanismus von Lärm und Luftverschmutzung
Stress durch Lärm und Stress durch Nanopartikel führen offenbar auf dem gleichen Wege zur Schädigung von Herz und Gefäßen. Münzel beschreibt, dass beide „eine endotheliale Dysfunktion“ erzeugen, eine subklinische Form der Atherosklerose, die über ähnliche Mechanismen vonstattengeht. In beiden Fällen kann man durch die Gabe von Vitamin C zumindest kurzfristig die endotheliale Dysfunktion korrigieren – ein Beweis, dass durch beide Umweltnoxen der oxidative Stress in den Gefäßen gesteigert wird.
Verantwortlich für die vermehrte Bildung freier Radikale sind hierbei die NADPH-Oxidase und eine entkoppelte endotheliale NO-Synthase (eNOS). Das bedeutet, dass aus einem anti-atherosklerotischen Enzym, das Stickstoffmonoxid (NO) bildet, ein Enzym wird, das freie Radikale (etwa Superoxid-Anionen) bildet und die Bildung von NO drosselt. Zudem reagiert das NO mit dem Superoxid-Anion zu Peroxynitrit, einem hochreaktiven Zwischenprodukt, das die Gefäßfunktion negativ beeinflusst und den Prozess der Atherosklerose stimuliert.
Neue kardiovaskuläre Risikofaktoren
„Lärm und Luftverschmutzung sind meiner Meinung nach neue, wichtige kardiovaskuläre Risikofaktoren, die weder wir Ärzte noch unsere Patienten ohne weiteres beeinflussen können. Aber wir müssen sie berücksichtigen – in unserer täglichen Praxis und auch in den künftigen Versionen der kardiologischen und angiologischen Leitlinien“, forderte der Experte.
Umweltbedingter Stress, der das kardiovaskuläre Risiko erhöht, ist in Deutschland weit verbreitet. Neben Kindern und älteren Menschen sind vor allem Personen mit vorgeschädigtem Herz-Kreislauf-System für solche Störeinflüsse anfällig. So ist die Verschlechterung der Endothelfunktion durch Fluglärm bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit besonders ausgeprägt. Dies ist einer von mehreren wichtigen Befunden eines aktuellen Reviews von Münzel und Kollegen (wie Medscape berichtete).
Forschergruppen suchen derzeit mit Hochdruck nach Substanzen, die in der Lage sind, die Patienten vor den Auswirkungen der Umweltbelastungen zu schützen. Einfache orale Antioxidanzien – etwa Vitamin C – genügen dafür nicht, da ihre Wirkung immer nur kurze Zeit anhält. „Im Moment werden vor allem Statine und ACE-Hemmer in Studien untersucht, da sie grundsätzlich anti-atherogen wirken“, berichtet Münzel. „Erste experimentelle Untersuchungen weisen ebenfalls darauf hin, dass körperliche Aktivität in der Lage ist, die endotheliale Dysfunktion nach Lärmexposition positiv zu beeinflussen.“
Der Kardiologe sieht aber vorrangig die Politik in der Pflicht: „Es müssen endlich Gesetze erlassen werden, die unsere Patienten vor den substanziellen Auswirkungen von Lärm und Luftverschmutzung schützen“, fordert der Experte. Denn längst nicht jeder Herzpatient sei in der Lage, einfach den Wohnort zu wechseln.
REFERENZEN:
1. 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung (DGK), 4. bis 7. April 2018, Mannheim
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Diesen Artikel so zitieren: Kein Entkommen: Lärm, Feinstaub und Co als neue kardiovaskuläre Risikofaktoren - Medscape - 6. Apr 2018.
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