Bei onkologischen Patienten führen Infektionen oft zu schweren Komplikationen. Aber: „Mit Breitband-Antibiotika schießen Ärzte teilweise über das Ziel hinaus“, schreibt Dr. J. Luis Espinoza in einem Übersichtsbeitrag im Journal of Internal Medicine [1].
Er forscht an der Abteilung für Hämatologie und Rheumatologie der Fakultät für Medizin an der Kindai Universität in Osaka, Japan. Nicht immer seien Pharmakotherapien erforderlich, meint er. Resistenzen drohten, und das körpereigene Mikrobiom werde beeinflusst.Espinoza hofft, per Genomsequenzierung und maschinellem Lernen in Zukunft die Selektion der bestmöglichen Behandlungsstrategie optimieren zu können.
Antibiotika lösen nicht alle Probleme
„Trotz bahnbrechender Erfolge in der Onkologie stehen Krebserkrankungen immer noch weit oben auf der Todesursachen-Statistik“, so Espinoza. Als wichtige Komplikation gelten Infektionen, vor allem bei malignen hämatologischen Erkrankungen oder bei hämatopoetischen Stammzell-Transplantationen. Sie erhöhen die Morbidität, die Mortalität und führen zu hohen Kosten für das Gesundheitssystem.
An den Ursachen lässt sich Espinoza zufolge kaum etwas ändern. Chemotherapien beeinträchtigen das Immunsystem. Außerdem beschädigen sie anatomische Barrieren wie die Haut oder die Schleimhäute. Pathogene gelangen in den Körper und werden über den Blutstrom verteilt. An erster Stelle sind hier Bakterien zu nennen, gefolgt von Pilzen.
Kommt es zu Fieber beziehungsweise zu Neutropenien, setzen Ärzte seit den 1960er-Jahren Antibiotika aufgrund empirischer Erfahrungswerte ein. „Die Strategie erweist sich als erfolgreich gegen den Infekt, verändert jedoch das Darmmikrobiom von Krebspatienten“, gibt Espinoza zu bedenken. Es komme zu Sekundärinfektionen mit Clostridium difficile, Candida albicans, Pseudomonas aeruginosa und anderen Pathogenen. Gleichzeitig steige die Zahl multiresistenter Erreger weiter an.
Espinoza nennt hier vorrangig Escherichia coli mit Extended-Spectrum-Betalaktamase (ESBL)-Aktivität, aber auch Methicillin-resistente (MRSA) bzw. Vancomycin-resistente (VRSA) Staphylococcus aureus-Stämme. Hinzu kommen Pseudomonas aeruginosa mit Widerstandsfähigkeit gegen mehrere Wirkstoffe (Multidrug-Resistant Pseudomonas aeruginosa, MDR).
„Neue Wirkstoffe allein werden das Problem nicht lösen“, so Espinoza weiter. „Entscheidungshilfen auf Basis künstlicher Intelligenz gewinnen deshalb als mögliche Strategie an Bedeutung.“
Der Computer sucht nach Alternativen
Zum Hintergrund: Leistungsfähige Technologien führen auch in der Diagnostik zu neuen Perspektiven. „Whole Genome Sequencing, also die Sequenzierung des gesamten Genoms eines Erregers, ist heute im Routinebetrieb möglich“, schreibt der Autor. Der Sequenzierung von 16S-ribosomaler RNA (16S-rRNA) komme eine besondere Bedeutung zu, weil Rückschlüsse auf bakterielle Taxa möglich seien.
Dabei entstehen große, schwer handhabbare Datenmengen („Big Data“). Klinisch tätige Ärzte benötigen deshalb effiziente Analyse-Tools aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Eine Anwendung aus diesem Bereich ist das maschinelle Lernen. Selbstlernende Algorithmen optimieren sich anhand ihrer eigenen Ergebnisse.
In seinem Artikel berichtet Espinoza von Erfolgen des maschinellen Lernens bei der Auswertung von Bilddaten in der Radiologie, der Pathologie sowie in der Dermatologie. „Mit erstaunlicher Präzision ist es etwa gelungen, anhand von Thorax-Röntgenaufnahmen Tuberkulose zu diagnostizieren“, so Espinoza. „Außerdem haben Forscher pathogene und nicht-pathogene Pseudomonas-Arten per maschinellem Lernen unterschieden.“ Im Rahmen einer In-silico-Studie verglichen Wissenschaftler die Effizienz verschiedener Therapien von C.-difficile-Infektionen mit der Gabe von Breitband-Antibiotika:
neutralisierende Antikörper (Antitoxin),
Aktivierung des LanC-like Proteins 2, einer Zielstruktur zur Behandlung inflammatorischer Erkrankungen,
Stuhltransplantationen.
Alle 3 Ansätze erwiesen sich von der Theorie her als wirksamer, verglichen mit der Gabe von Antibiotika. „Im Mausmodell wurde zumindest die Aktivierung des LanC-like-2-Wegs für C.-difficile-Infektion erfolgreich evaluiert“, berichtet Espinoza.
Werkzeuge des maschinellen Lernens wurden außerdem verwendet, um Pathogen-spezifische Entzündungsreaktionen an der Infektionsstelle während einer akuten Peritonitis zu untersuchen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass verschiedene infektiöse Bakterien im Zusammenspiel die lokale Immunantwort induzieren.
Nutzen für die Praxis?
Espinozas Fazit: „Die Anwendung von Technologien des maschinellen Lernens auf große Mikrobiom-Daten kann der Grundstein für neue Methoden zur Datenanalyse sein, um Kliniker bei komplexen Entscheidungsfindungen zu unterstützen.“
Je nach mikrobieller Gemeinschaft sei eine antimikrobielle Therapie etwa bei Krebspatienten nicht immer erforderlich, manchmal sogar schädlich. Der Experte hofft, per Next Generation Sequencing und maschinellem Lernen Patienten mit Hochrisiko-Pathogenen zu identifizieren. Gleichzeitig könnten Therapieerfolge evaluiert werden.
Dennoch gibt es Einschränkungen: „Systeme des maschinellen Lernens sind nur so gut wie die zugrunde liegenden Daten. Deshalb brauchen wir gute Mikrobiom-Daten in Kombination mit elektronischen Patientenakten“, fordert Espinoza.
„Da eine bestimmte mikrobielle Spezies bei gesunden Personen positive Wirkungen und bei Krebspatienten negative oder sogar toxische Wirkungen haben kann, muss die Entwicklung von Algorithmen für maschinelles Lernen dies berücksichtigen.“ Um den Nutzen von Tools abzuätzen, seien umfangreiche klinische Evaluierungen erforderlich.
Ethische Fragen thematisiert der Experte ebenfalls: Welche Patienten sollten für die erweiterte Mikrobiom-Diagnostik ausgewählt werden? Wer hat später Zugriff auf die Daten haben, wie ist es um den Schutz der Privatsphäre bestellt? Und wer haftet bei eventuellen Fehlern im System?
REFERENZEN:
1. Espinoza L: JIM (online) 20. März 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Mikrobiom-Analyse per maschinellem Lernen: Eine Möglichkeit, Infektionen bei Krebspatienten besser zu beherrschen? - Medscape - 5. Apr 2018.
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