In der Diagnostik des Prostatakarzinoms steht möglicherweise ein Paradigmenwechsel an: weg von der systematischen Stanzbiopsie hin zur alleinigen MRT-geführten Fusionsbiopsie. Das zeigen die Ergebnisse der PRECISION-Studie, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden sind [1].
Die Kombination aus MRT-Untersuchung mit anschließender gezielter Fusionsbiopsie entdeckt nicht nur mehr klinisch signifikante Prostatakarzinome als die Ultraschall-gesteuerte systematische Stanzbiopsie (TRUS), sie kann Männer auch vor unnötigen Biopsien bewahren.
An der multizentrischen Studie PRECISION unter der Federführung des University College London (UCL) war auch die Urologie der Universitätsmedizin Essen beteiligt. 500 Männer mit Verdacht auf Prostatakarzinom wurden auf MRT-Triage oder systematische Stanzbiopsie randomisiert.
Klinisch signifikante Karzinome wurden bei 95 Männern (38%) in der MRT-Gruppe festgestellt, verglichen mit 64 von 248 (26%) in der Standard-Biopsie-Gruppe (95% KI: 4 bis 20, p=0,005).
Dabei konnte die MRT-Triage 71 von 252 Männern (28%) eine Biopsie ersparen: Denn obwohl ein erhöhtes PSA und/oder ein verdächtiger Tastbefund ein Prostatakarzinom vermuten ließen, ergab sich in der MRT-Untersuchung ein PI-RADS-Score von ≤2. Das bedeutet: Das Vorliegen eines klinisch signifikanten Karzinoms war unwahrscheinlich und es konnte auf eine Biopsie verzichtet werden.
„Die Ergebnisse der Studie zeigen beeindruckend, dass die Risikobewertung eines Prostatakrebs-Verdachts per MRT und einer auf deren Ergebnisse basierenden Biopsie deutlich präziser ist als die bislang praktizierte ultraschallgesteuerte Biopsie mit 10 bis 12 Untersuchungspunkten“, kommentiert Prof. Dr. Boris Hadaschik, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie, Kinderurologie und Uroonkologie am Universitätsklinikum Essen und Co-Autor der Studie die PRECISION-Ergebnisse in einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums.
„Diese Studie war die erste, die es Männern ermöglicht hat, eine Biopsie zu vermeiden. Wenn eine qualitativ hochwertige MRT in ganz Europa möglich ist, dann könnte mehr als ein Viertel der eine Million Männer, die sich derzeit einer Biopsie unterziehen, diese sicher vermeiden“, sagt Prof. Dr. Mark Emberton von der Division of Surgery & Interventional Science am UCL laut einer Pressemitteilung des UCL.

Prof. Dr. Manuel Ritter
„Grundsätzlich war das Ergebnis so zu erwarten. Auch die vorherigen Single-Center-Studien haben zumindest die Nicht-Unterlegenheit der Target-Biopsie im Vergleich zur Standard-Biopsie bei der Detektion von klinisch signifikanten Prostatakarzinomen nachgewiesen“, kommentiert Prof. Dr. Manuel Ritter, geschäftsführender Oberarzt der Urologischen Klinik der Universität Mannheim, die PRECISION-Studie.
„Die Studie zeigt aber darüber hinaus, dass die untersuchte Technik der reinen Target-Biopsie – selbst wenn unterschiedliche MRT-und Biopsie-Standards verwendet werden – der systematischen Mehrfach-Biopsie überlegen zu sein scheint“, fügt Ritter hinzu. Allerdings dürfe man dabei nicht vergessen, dass der Großteil der Studienteilnehmer an Zentren untersucht wurde, die in der Diagnostik des Prostatakarzinoms sehr erfahren sind „Ob sich diese Ergebnisse deshalb in der Fläche und auf alle teilnehmenden Länder übertragen lassen, bleibt abzuwarten“, so Ritter.
Überdiagnostik vermeiden
„Wir verglichen die Standard-Biopsie mit der MRT und boten nur den Männern, die ein verdächtiges MRT aufwiesen, gezielte Biopsien an. Durch die MRT plus gezielte Biopsie wurden mehr behandlungsbedürftige Karzinome entdeckt, und wir konnten die Überdiagnose verringern – und das obwohl weniger Männer im MRT-Arm eine Biopsie erhielten“, erklärt auch Dr. Caroline Moore, die leitende internationale Studienautorin in einer Pressemitteilung des University College London.
In einem Statement der European Associaton of Urology betont zudem Emberton das Potenzial der MRT-Triage, Überdiagnostik zu verringern: „Durch die Strategie der MRT-geführten Biopsie gelingt es auch, die Rate der Diagnosen von klinisch nicht signifikanten Prostatakarzinomen zu reduzieren, und sie weist – verglichen mit der TRUS-Gruppe – ein etwas günstigeres Komplikationsprofil über 30 Tage auf.“
Die MRT-Triage ersparte aber nicht nur 28% der Männer eine Biopsie, sie ermöglichte auch eine technisch bessere Biopsie: Die Gewebeproben waren in der Regel länger und lieferten damit besseres Untersuchungsmaterial: 7,8 vs. 6,5 mm. Entsprechend war die Trefferchance bei der gezielten Biopsie höher: In 422 von 967 Stanzen (44%) wurden Tumorzellen nachgewiesen, in der TRUS-Gruppe war dies nur bei 515 von 2.788 Stanzen (18%) der Fall.
Die Target-Biopsie hat ein günstigeres Nebenwirkungsprofil …
Die Autoren weisen darauf hin, dass die MRT-Triage auch die Komplikationsraten gesenkt hat: Hämaturie war seltener (30,2 vs. 62,6%), ebenso wie Hämatospermie (32,1 vs. 59,7%) und Schmerzen (12,7 vs. 23,3%). Ritter rückt das etwas zurecht: „Die berichteten Nebenwirkungen der Prostata-Biopsie sind vermutlich mehr mit der angewandten Biopsietechnik als mit der tatsächlichen Anzahl der entnommenen Stanzzylinder assoziiert“, erklärt er. Allerdings finde sich weder in der Arbeit noch im Appendix eine Subgruppenanalyse dazu.
„Die Rate an relevanten Komplikationen und schweren Nebenwirkungen liegt in beiden Gruppen bei 2 Prozent und ist praktisch identisch“, so Ritter. Auch bei den Fragebögen zur Lebensqualität zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.
„Die Entwicklung hin zur alleinigen Target-Biopsie und Reduktion der insgesamt entnommenen Stanzzylinder zeichnet sich seit Jahren ab, und die Ergebnisse von PRECISION verstärken das noch“, sagt Ritter.
… aber entdeckt bis zu 10 Prozent klinisch signifikante Prostatakarzinome nicht
Doch bis es so weit ist, muss ein Problem gelöst werden: „Auch von Radiologen, die mit der multiparametrischen MRT der Prostata erfahrenen sind, und mit Urologen, die in der Fusionsbiopsie geübt sind, werden bei der alleinigen Target-Biopsie bis zu 10 Prozent klinisch signifikante Tumore nicht entdeckt“, erklärt Ritter. Diese würden bei einer systematischen Biopsie hingegen entdeckt. Bevor die alleinige Target-Biopsie flächendeckend eingesetzt werden könnte, müssten diese 10% weiter gesenkt werden, betont er.
Auch die Autoren greifen diesen Aspekt auf: „Frühere gut konzipierte Studien haben gezeigt, dass der Prozentsatz der Fälle von klinisch signifikantem Krebs, die durch eine alleinige Target- Biopsie nicht entdeckt, aber durch systematische-Biopsie erkannt werden, gering ist. Er liegt zwischen 0 und 10 Prozent“, schreiben sie. „Für den Patienten ist das aber durchaus sehr relevant“, betont Ritter.
Um diesen Prozentsatz weiter zu senken, müssen Radiologen in der Durchführung und Interpretation multiparametrischer MRT der Prostata systematisch fortgebildet werden und die Urologen, die die Biopsie durchführen, trainiert werden, so der Experte.
Auch die Übereinstimmung in der Befundung müsse verbessert werden: Zwischen 2 Radiologen in der PRECISION-Studie lag sie bei 78%. Auf nationaler und europäischer Ebene haben die wissenschaftlichen Fachgruppen für Bildgebung in der Urologie in den letzten Jahren verstärkt Fortbildungskurse dazu angeboten, die gut angenommen worden seien, berichtet Ritter. Er ergänzt, dass das Kursangebot weiter intensiviert werden soll, so dass „die Target-Biopsie in 5, spätestens 10 Jahren als Standard etabliert sein könnte“.
REFERENZEN:
1. Kasivisvanathan V, et al: NEJM (online) 19. März 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: PRECISION: Die einzelne gezielte Biopsie ist bei Verdacht auf Prostatakarzinom präziser – aber auch schonender - Medscape - 5. Apr 2018.
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