Die Einnahme von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) könnte bei Menschen mittleren Alters das Risiko für Vorhofflimmern erhöhen. Dies haben zumindest Forscher für eine Population in Taiwan festgestellt [1]. Daher empfehlen sie den Ärzten, diese Entzündungshemmer zurückhaltend zu verschreiben, besonders wenn die Patienten sowieso schon für Rhythmusstörungen gefährdet sind.
Als Anregung, weiter zu forschen, und als Mosaikstein in einem bislang lückenhaften Gesamtbild – so sieht der Kardiologe Prof. Dr. Dietrich Andresen den Wert der Studie: „Unbestritten ist es ratsam, Vorhofflimmern als Folge einer NSAR-Therapie im Blick zu haben. Trotzdem: Die Erhöhung des Risikos mag statistisch signifikant sein, aber ob sie klinisch relevant ist, steht noch auf einem anderen Blatt“, so der Spezialist für Rhythmusstörungen von der Herzmedizin Berlin im Gespräch mit Medscape.
Mit ihren Ergebnissen haben Dr. Shao-Yuan Chuang von den National Health Research Institutes in der taiwanesischen Stadt Miaoli und seine Mitarbeiter im Wesentlichen frühere Studien bestätigt. Jedoch war darin meist die Allgemeinbevölkerung europäischer Länder untersucht worden, weshalb die Wissenschaftler sich dafür interessierten, ob Menschen ab der Lebensmitte und asiatischer Herkunft in ähnlichem Ausmaß mit solchen unerwünschten Wirkungen der NSAR rechnen müssen.
Fall-Kontroll-Studie mit insgesamt rund 57.000 Teilnehmern ab 45 Jahre
Deshalb stellten sie für eine Fall-Kontroll-Studie aus einer landesweiten Kohorte 2 gleich große Gruppen mit insgesamt rund 57.000 Teilnehmern zusammen, die zu Studienbeginn im Jahr 2001 das 45. Lebensjahr überschritten hatten.
Und tatsächlich fanden sie heraus: Insgesamt hatten die Patienten mit einem NSAR-Rezept ein um 18% erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern. Andresen stellt dazu fest: „Ohne diese Rate verharmlosen zu wollen, so ist sie doch eigentlich recht gering, besonders für eine retrospektive Erhebung, die von ihrer Konzeption her sowieso mit Unsicherheitsfaktoren behaftet ist.“
Eine größere Gefährdung ergab sich allerdings bei Betrachtung der Zeitachse: Wer die Medikamente erstmals im Monat vor der Diagnose genommen hatte, dessen Risiko lag mit einem adjustierten Quotenverhältnis (AOR) von 2,18 deutlich höher als bei Vergleichspersonen ohne NSAR. Lag die Medikation dagegen länger als 30 Tage zurück, war das Risiko mit 5% bloß noch geringfügig erhöht – für die Autoren ein Hinweis darauf, dass die unerwünschten Effekte gerade in der Anfangsphase am stärksten sind, sich aber im Lauf der Zeit verflüchtigen.
Überraschend: Kein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern bei selektiven Coxiben
Weiterhin stellte sich heraus, dass Teilnehmer, denen nicht-selektive Inhibitoren verordnet worden waren, ein signifikant erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern hatten, und zwar ebenfalls um 18%. Bei Personen, die einen Mix aus nicht-selektiven Wirkstoffen und selektiven Coxiben eingenommen hatten, war das Risiko sogar um 30% erhöht. Dagegen fand sich für die Medikation mit den selektiven NSAR allein keine Differenz zwischen den beiden Gruppen.
Die sieht Andresen ebenfalls als Indiz dafür, dass die Ergebnisse nicht so ganz hieb- und stichfest sind: „Gerade bei selektiven Wirkstoffen sind ja kardiovaskuläre Nebenwirkungen bekannt. Dass dieser Effekt nun ausgerechnet hier fehlt, ist wenig schlüssig.“
Als Einnahme von NSAR hatten die Autoren gewertet, wenn diese Medikamente bei einem Patienten wenigstens einmal in jenem Jahr, bevor der Eintrag ,Vorhofflimmern‘ zum ersten Mal in seinen Krankenakten auftauchte, verordnet worden waren. Zu den nicht-selektiven COX-2/COX-1-Inhibitoren zählten sie u.a. Ibuprofen, Flurbiprofen, Naproxen, Indomethacin, Diclofenac, Piroxicam, Tenoxicam oder Flufenaminsäure, zu den selektiven COX-2-Hemmern z.B. Celecoxib oder Etoricoxib.
Für die Fallgruppe hatten sie Patienten ausgewählt, die wegen Vorhofflimmern innerhalb eines Jahres entweder mindestens einmal stationär oder zweimal ambulant behandelt worden waren. Verglichen wurden sie mit Teilnehmern ohne Vorhofflimmern, die mit ihnen in Geburtsdatum, Geschlecht und diversen Komorbiditäten wie Typ-2-Diabetes, Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Osteoarthritis übereinstimmten.
„Diese Methode ist ein großer Hypothesen-Generator“
Alle Angaben, etwa zu demographischen Merkmalen, Krankheitsdiagnosen und Rezepten einschließlich Dosierung, Beginn und Dauer der Medikation, entstammten 3 separaten Datensätzen aus den Jahren 2000, 2005 und 2010. Gespeichert waren sie in der Datenbank der nationalen Krankenversicherung Taiwans, die fast 99% der insgesamt rund 23 Millionen Einwohner versorgt.
Bei einem solchen statistischen Matching, das Beobachtungen aus einem Datensatz ähnlichen Beobachtungen aus einem anderen Datensatz zuordnet, sei immer Vorsicht angebracht, erläutert Andresen: „Diese Methode ist ein großer Hypothesen-Generator.“ Als Beispiel nennt er die Auswertung einer großen schwedischen Datenbank: Demnach würden Diabetespatienten, arme Menschen und Flüchtlinge gehäuft an Vorhofflimmern erkranken. Doch ob das verifiziert werden könne, sei fraglich.
Die taiwanesischen Wissenschaftler hatten auch eine Reihe von Kriterien auf mögliche Verfälschungen analysiert, darunter Komorbiditäten wie Anämie, Bluthochdruck, Koronare Herzkrankheit (KHK), Chronische obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Morbus Parkinson, Rheuma oder Herzinfarkt sowie Arzneien wie Antidepressiva, Anxiolytika, Blutdruckmittel oder Glukokortikoide. Doch an den ermittelten Zahlen für das Vorhofflimmerm-Risiko änderte sich nichts.
„Es können nicht alle Zufälligkeiten ausgeschaltet werden“
„Es wäre aufschlussreich gewesen, beim Abgleich nach Medikamenten zusätzlich sowohl Antiarrhythmika als auch Betablocker zu erfassen“, merkt Andresen an. Und beim Abgleich nach Krankheiten hätte es sich womöglich gelohnt, auch die Adipositas zu berücksichtigen, da Übergewicht bekanntlich mit einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmern einhergehe. Durch die Variable ,Hypertonie‘ werde diese Einflussgröße nur ungenügend abgedeckt.
Bei retrospektiven Studien müsse man zwangsläufig in Kauf nehmen, dass es beinahe ausgeschlossen sei, sämtliche Verzerrungseffekte zu überprüfen. „Es können nicht alle Zufälligkeiten ausgeschaltet werden“, ergänzt Andresen.
Chuang und seine Kollegen wiederum sehen eine Stärke der Studie darin, dass sie 3 voneinander unabhängige Datensätze verwendet haben. Die Tatsache, dass sich die Resultate in allen 3 Gruppierungen ähnelten, werten sie als Beleg dafür, dass NSAR tatsächlich die Auslöser der Herzrhythmusstörung sind.
Forscher raten zur Vorsicht, sind Elektrolytstörungen die Ursache?
Gestützt auf die entdeckte Assoziation zwischen der Einnahme von nicht-steroidalen Antirheumatika und Vorhofflimmern appellieren die Autoren an Ärzte, nach einer NSAR-Verordnung sorgfältig auf diese Störung zu achten, besonders bei Patienten, die schon vorab mit einem hohen Risiko belastet sind.
Andresen dagegen hält die Therapiedauer für entscheidend: „Patienten mit Schmerzen oder degenerativen Gelenkerkrankungen kurzfristig mit NSAR zu behandeln, hätte ich keine Bedenken. Eine Langzeittherapie würde ich vermeiden.“
Wie die taiwanischen Forscher erläutern, haben rund 0,5% der Bevölkerung Vorhofflimmern, aber mehr als 6% der älteren Menschen, wobei die Prävalenz während der letzten Jahrzehnte zugenommen habe. NSAR wiederum werden in großem Umfang zur symptomatischen Behandlung von akuten Schmerzen, chronischen Entzündungen und degenerativen Gelenkerkrankungen verordnet.
Über welche Mechanismen diese Wirkstoffe Herzrhythmusstörungen begünstigen, ist zwar nicht im Detail bekannt, jedoch stellen die Autoren Vermutungen an: Indem NSAR die Cyclooxygenase-Isoenzyme COX-1 und COX-2 und folglich die Biosynthese von Prostaglandinen, Prostazyklinen und Thromboxanen einschränken, bewirkten sie über mehrere Schritte eine Flüssigkeitsretention in den Nieren. Daraus könnten Elektrolytstörungen und eine Erhöhung des Blutdrucks folgen, wodurch wiederum der Druck im linken Vorhof und dessen Dehnung steigen. Dies gehe mit einer Zunahme der peripheren Resistenz und Fluktuationen im Kaliumspiegel einher, was dann ein Vorhofflimmern triggern könnte.
Kardiovaskuläre Nebenwirkungen – ein Klasseneffekt aller Coxibe
Eine Erhöhung speziell des Risikos für Vorhofflimmern wurde für die selektiven COX-2-Hemmer in der taiwanesischen Studie zwar nicht nachgewiesen. Doch sind kardiovaskuläre Nebenwirkungen ein Klasseneffekt aller Coxibe, wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) konstatiert. Entsprechend empfiehlt sie Einschränkungen der Verordnung, um das Gefährdungspotenzial dieser Substanzen zu verringern.
Demnach sind sie zum Beispiel bei allen kardiovaskulären Risikopatienten kontraindiziert. Jedoch sollten sie für diejenigen Patienten erhalten bleiben, die tatsächlich davon profitieren, etwa durch die bessere Magen-Darm-Verträglichkeit, so die AkdÄ.
Hintergrund der Vorsichtsmaßnahmen ist die Marktrücknahme von mehreren Vertretern dieser Gruppe hauptsächlich wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen: 2004 zog der Konzern MSD Sharp & Dohme Rofecoxib (Vioxx®) zurück, nachdem eine Studie im Vergleich zu Placebo eine nahezu verdoppelte Rate an Herz-Kreislauferkrankungen innerhalb von 18 Monaten ergeben hatte, besonders Herzinfarkt, Angina Pectoris und Schlaganfall.
Ähnlich bei Valdecoxib: 2005 hatte die FDA den Hersteller Pfizer aufgefordert, das Medikament vom Markt zu nehmen, unter anderem mit der Begründung, dass Langzeitdaten zur kardiovaskulären Sicherheit fehlten. Die europäische Zulassung ist nach der Suspendierung 2005 inzwischen abgelaufen.
Für Lumiracoxib hat die Europäische Kommission die Zulassung 2008 widerrufen. Anlass waren hier allerdings Berichte über schwere Leberreaktionen.
REFERENZEN:
1. Chuang SY, et al: Br J Clin Pharmacol (online) 2. April 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Vorhofflimmern als Folge einer NSAR-Therapie? Es lohnt ein Auge darauf zu haben - Medscape - 4. Apr 2018.
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