Angst? Einsamkeit? Trennungsschmerz? „Woebot“ oder „Noni“ hören zu – so lange man will: Computergestützte automatisierte Programme, die in den USA von mehr und mehr Menschen genutzt werden.
Noni und Woebot wurden vor kurzem auf der Digital-, Musik- und Filmkonferenz South by Southwest (SXSW) in Austin vorgestellt. Sie liegen in den USA im Trend: Oft bleibt neben der Arbeit kaum Zeit für eine klassische Therapie. Die ist zudem teuer und nicht immer – so überhaupt eine Krankenversicherung vorhanden ist – übernimmt die auch die Kosten. Vielerorts fehlen Psychologen, lange Wege und lange Wartezeiten kommen hinzu.
Rund um die Uhr für Patienten da
Noni, ein Chatbot für Psychotherapie stellt den Patienten Fragen wie: „Wie oft in den vergangenen 2 Wochen hast Du Dich traurig, deprimiert oder hoffnungslos gefühlt?“ Und sie macht Mut: „Wir können mit Dir arbeiten, damit du Dich nicht mehr so einsam fühlst.“
Ihr „Kollege“ Woebot klingt etwas lässiger: „Hi, ich bin Woebot. Ich bin bereit, rund um die Uhr zuzuhören. Keine Therapiesofas, keine Medikamente, kein Kinderkram. Nur Strategien, um Deine Stimmung zu verbessern. Und gelegentlich mal ein blöder Witz.“
Der Chatbot stellt zu Beginn der Unterhaltung aber klar: „Bitte nutze dies nicht als einen Ersatz für die Hilfe von einem echten Menschen.“ Woebot soll erkennen, wann es ernst wird. Bleiben Stimmung und Energielevel des Nutzers anhaltend niedrig, rät er dazu, sich Hilfe in der echten Welt zu suchen und postet dem Nutzer Kontakte zu Hilfe-Hotlines und zu Anlaufstellen.
In Deutschland geht es gerade erst los
7 Cups, der Hersteller von Noni, verzeichnet 1,9 Millionen Nutzer im Monat. „Wir bauen ein alternatives Gesundheitssystem auf“, sagt Glen Moriarty, Chef des 2013 gegründeten Unternehmens.
Chatbots wie Woebot oder Noni gibt es bislang in Deutschland nicht, bestätigt Dr. Iris Hauth, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des ALEXIANER St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee. Internetbasierte Interventionen zur Begleitung dagegen und auch unbegleitete Programme gibt es etwa ein gutes Dutzend. Ihre geringe Verbreitung hat damit zu tun, dass die Berufsordnung den in Deutschland tätigen Ärzten eine Fernbehandlung von Patienten untersagt, und auch die Kassen eine solche Anwendung meist nicht zahlen.
Auf dem kommenden 121. Deutschen Ärztetag in Erfurt sollen allerdings die Regelungen zum Fernbehandlungsverbot in der ärztlichen Berufsordnung geändert werden. Das dürfte sich sicherlich auf das Angebot internet-basierter Interventionen auswirken.
Grundsätzlich kann Hauth, ehemalige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), internetbasierten Angeboten durchaus einiges abgewinnen: „Als Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz, denn wir haben noch immer lange Wartezeiten, als Ergänzung zur Behandlung selbst und zur Nachsorge für Menschen in Regionen mit wenigen Hilfsangeboten.“ Denn: Jeder dritte Mensch in Deutschland leidet mindestens an einer psychischen Erkrankung.
Vor „Dr. Bot“ Diagnose beim Haus- oder Facharzt
Auch zur Prävention könnten Chatbots durchaus helfen: „Als Hilfe zur Selbsthilfe“, zitiert Hauth dabei Alison Darcy, CEO von Woebot Labs Inc, die klar gestellt hat, dass Woebot keinesfalls eine Therapie ersetzen kann. Hauth betont aber, dass für den Nutzer transparent sein muss, wie die internetbasierten Interventionen funktionieren. Gewährleistet sein müsse auch, dass Patienten in einer suizidalen Krise professionelle Hilfe erhalten. Nicht zuletzt muss auch der Schutz der Patientendaten sichergestellt sein.
Für Hauth ist deshalb essentiell, dass vor jeder Anwendung eines „Dr. Bot“ die fachliche Diagnose im persönlichen Kontakt steht: „Bei psychischen Problemen sollte man zuallererst zu seinem Hausarzt oder, wenn dieser nicht weiterhelfen kann, zu einem Facharzt gehen – auch um auszuschließen, dass eine Verstimmung körperliche Ursachen hat, etwa eine Schilddrüsenunterfunktion zugrunde liegt. Auch wenn den persönlichen Problemen soziale Konflikte zugrunde liegen, dann muss das besprochen werden. Das kann ein automatisiertes Antwortsystem wie Woebot nicht leisten“, erklärt die Expertin im Gespräch mit Medscape.
7 Cups hat nicht nur Noni entwickelt sondern auch ein Netzwerk von Freiwilligen aufgebaut, die nach einem Einführungstraining den Hilfesuchenden zuhören und diese beraten, eine Art Therapie durch Nicht-Therapeuten im Internet. 240.000 freiwillige Zuhörer gibt es bereits weltweit.
„Solche Gespräche sind sinnvoll und können bei Lifestyle-Problemen das leisten, was man früher vielleicht mit guten Nachbarn, mit Verwandten oder mit dem Pfarrer besprechen konnte, was im Zuge der Vereinzelung in der Gesellschaft schwieriger wird. Aber natürlich ersetzt auch das keine Psychotherapie“, stellt Hauth klar.
Wer sich beraten lassen will, ob von Noni oder von Menschen aus dem Freiwilligen-Netzwerk, muss vorher unterschreiben, dass er nicht suizidgefährdet oder gewalttätig ist. Ein wenig sinnvoller Ansatz, findet allerdings Hauth, denn: „Aggressive Spannungszustände und Suizidalität sind hochgradig angst- und schambesetzt.“ Insofern werden wohl Menschen, die tatsächlich aggressiv oder suizidal sind, einen solchen Passus genauso unterschreiben wie diejenigen, die es nicht sind.
Befindlichkeitsstörung? Depression? Oft fehlt eine klare Trennung
Befindlichkeitsstörung, depressive Symptome, manifeste Depression – aus Hauths Sicht werden die einzelnen Ausprägungen häufig nicht klar genug voneinander getrennt. „Das stört mich auch an der Studie über die Effektivität von Woebot. Vor Studienbeginn wurde keine klassische Diagnose vorgenommen“, erklärt Hauth.
In der Studie der Stanford University und von Woebot Labs Inc von 2017 wurde die Wirksamkeit von Woebot an 70 Studierenden getestet, die nach eigenen Angaben unter Angstzuständen oder leichten Depressionen litten. Ein Teil der Probanden bekam von den Forschern ein E-Book mit Strategien zur Selbsthilfe, die andere Gruppe nutzte Woebot. Das Ergebnis: Nach 2 Wochen und bis zu 20 Sitzungen mit dem virtuellen Therapeuten ging es den Testpersonen, die den Woebot nutzten, signifikant besser als der Kontrollgruppe mit dem Lesestoff.
Dass auch Online-Strategien zur Selbsthilfe hilfreich sein können, zeigen die Studien zu mood-gym von Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller vom Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health aus Leipzig. Mood-gym ist ein computergestütztes, interaktives Trainingsprogramm zur Vorbeugung und Verringerung von depressiven Symptomen.
Eingeschlossen in die Studien waren Patienten mit leichten und mittelgradigen Depressionen. Erste Ergebnisse belegen, dass mood-gym die depressive Symptomatik bei leicht und mittelgradig depressiven Hausarzt-Patienten sowohl kurz- als auch langfristig reduziert. „Aber auch hier gilt: Am Anfang steht die Diagnose durch den Haus- oder Facharzt oder Psychotherapeuten“, betont Hauth.
Die Forschung zu Roboter-Therapeuten sei bislang vielversprechend, meint Prof. Dr. Jeff Hancock, der an der Stanford University in Kalifornien untersucht, welchen Einfluss Medien und Internet auf die Psyche von Menschen haben. Allerdings sei die Technik noch so jung und die Forschung noch nicht sehr weit fortgeschritten. Deshalb gebe es kaum Regeln dafür, was einen guten Therapie-Chatbot ausmacht, auf die sich Industrie und Wissenschaft einigen können, sagt Hancock.
Bislang gibt es nur ein anerkannte Verhaltensregel für „Dr. Bot“: Er darf nicht dazu führen, Hilfesuchende weiter von anderen Menschen zu distanzieren, sondern sollte dazu anregen, mehr mit der Gesellschaft in Kontakt zu treten. Eine der größten Gefahren der Chatbots könnte sein, dass sich deren Nutzer immer mehr von menschlichen Kontakten entwöhnen.
Eine Gefahr, auf die auch Hauth verweist: Die relativ einförmigen Antworten der Bots könnten beispielsweise vorhandene Symptome von Einsamkeit eher verstärken, denn auch die Beziehung zum Arzt selbst ist heilsam. „Gezielt eingesetzt können internet-basierte Interventionen sinnvoll sein, aber sie ersetzen nicht den Facharzt“, stellt Hauth klar. „Die Gestaltung einer emotionalen Beziehung kann ein Bot nicht leisten.“
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Diesen Artikel so zitieren: Mit Artificial Intelligence gegen Depressionen und Angstzustände: Was kann „Dr. Bot“ leisten? - Medscape - 4. Apr 2018.
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