Umfangreiche Beweislast: Frauen sind bei Stammfettsucht stärker infarktgefährdet als Männer

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

3. April 2018

Das Ausmaß der Stamm-Adipositas bestimmt das Risiko für einen Herzinfarkt stärker als der Body-Mass-Index (BMI). Dies gilt vor allem für Frauen, bestätigt eine umfangreiche britische Studie im Journal of the American Heart Association (JAHA) [1].

Die Autoren um Dr. Sanne A E Peters, George Institute for Global Health, Universität von Oxford, Großbritannien, analysierten die Daten von 265.988 Frauen und 213.622 Männern im Alter zwischen 40 und 69 Jahren der UK Biobank. Über einen Zeitraum von 7 Jahren wurden in dieser Population 5.710 Herzinfarkte bei Personen dokumentiert, die zuvor keine kardiovaskuläre Anamnese hatten, davon 1.599 bei Frauen (28%).

Prof. Dr. Uwe Zeymer

„Der Studie liegt eine ausreichend große Datenbank zugrunde, die Patienten sind gut charakterisiert und das Follow-up von 7 Jahren ist adäquat“, bewertet Prof. Dr. Uwe Zeymer, Leitender Oberarzt des Herzkatheterlabors der medizinischen Klinik B in Ludwigshafen die Ergebnisse gegenüber Medscape. „Somit sind hier alle Voraussetzungen für eine aussagekräftige epidemiologische Studie gegeben.“„Neu sind die Ergebnisse aber nicht“, ergänzt Prof. Dr. Andreas Pfeiffer, Endokrinologe an der Charité in Berlin. „Allerdings sind sie nun wirklich epidemiologisch untermauert.“

Taille-Hüft-Verhältnis zeigte von 4 untersuchten Parametern die höchste Aussagekraft

Das durchschnittliche Körpergewicht in der Studie lag bei 71,4 kg (Frauen) bzw. 85,8 kg (Männer). Der BMI der Teilnehmer betrug durchschnittlich 27 (Frauen) bzw. 28 kg/m2 (Männer), der Taillenumfang lag bei 84,6 bei den Frauen und 96,7 cm bei den Männern, der korrespondierende Hüftumfang bei 103,3 bzw. 103,4 cm. Als Herzinfarkt werteten die Autoren Ereignisse der ICD-10-Codenummern 121, 122, 123, 124.1 und 125.2.

Mittels Cox-Regressions-Modellen errechneten die Epidemiologen die bereinigen Risikoquotienten (Hazard Ratio, HR) für die Zusammenhänge zwischen einem Herzinfarkt und dem BMI, dem Taillenumfang, dem Taille-zu-Hüft-Verhältnis und dem Taille-zur-Körpergröße-Verhältnis.

Der höchste Risikoquotient zwischen Infarkt und erhöhter Taille-Hüft-Verhältnis betrug 1,49 bei Frauen und 1,36 bei Männern. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern war höher als bei den anderen analysierten geschlechtsspezifischen Unterschieden.

 
Dieser Geschlechtsunterschied ist zwar vorhanden, aber eher gering ausgeprägt. Prof. Dr. Uwe Zeymer
 

Betrachtete man Infarktrisiko und nur den Taillenumfang lag die HR bei 1,35 für Frauen und bei 1,28 für Männern und beim Taille-zu-Körpergröße-Verhältnis und Infarktrisiko bei 1,34 für Frauen und 1,33 für Männer. Beim BMI allein war der Zusammenhang zur Infarktgefährdung bei Männern geringfügig aussagekräftiger (HR 1,22 bei Frauen und 1,28 bei Männern).

Das Taille-zu-Hüfte-Verhältnis erwies sich also in der Studie bei beiden Geschlechtern als der beste Prognosefaktor für einen Herzinfarkt, hatte für Frauen aber die größere Aussagekraft. Der Taillenumfang allein und das Taille-zu-Körpergröße-Verhältnis waren weniger aussagekräftig und zeigten auch eine geringere Geschlechterspezifität.

Ist der Bauchspeck bei Frauen nun gefährlicher oder nicht?

Die Schlussfolgerungen der Studie findet Zeymer etwas überinterpretiert: „Dieser Geschlechtsunterschied ist zwar vorhanden, aber eher gering ausgeprägt“, wendet er ein. „Von daher scheint die Schlussfolgerung übertrieben, dass Frauen mit dickem Bauch, also hohem Stammfett-Anteil, gefährdeter seien als Männer mit entsprechendem Befund.“

„Seit 25 Jahren werden Fakten dazu gesammelt, dass Stammfett metabolisch aktiver als subkutanes Fett ist“, erklärt Pfeiffer, „da ersteres einer erhöhten Lipolyse unterliegt, die nicht mehr auf Insulin anspricht. Es kommt zu pathologischen Veränderungen der Blutfettwerte und alles in allem zum metabolischen Syndrom.“

In diesem Zusammenhang weist er auf eine neuere molekulargenetische Studie hin, die diesen physiologischen Unterschied zwischen viszeralem und subkutanem Fettgewebe bestätigt. Da letzteres, typischerweise auf Hüfte und Oberschenkeln lokalisiertes Fettgewebe eine höhere Lipidspeicherkapazität besitzt, kann es möglicherweise der pathologischen Lipolyse des Stammfettes entgegenwirken.

 
Klinische Konsequenzen ergeben sich also leider aus dieser Vielzahl von erhoben Daten nicht. Prof. Dr. Andreas Pfeiffer
 

In ihrer Diskussion weisen die Epidemiologen ausführlich auf die unterschiedliche Körperfettverteilung zwischen den Geschlechtern hin. Trotzdem zeige das Taille-zu-Hüfte-Verhältnis sowohl bei Männern als auch bei Frauen, bezogen auf das Infarkt-Risiko, die höchste prognostische Aussagekraft. So lag das (um das Alter und den Raucherstatus bereinigte) Risiko bei Frauen mit einem Taille-zu-Hüfte-Verhältnis von über 0,95 etwa 3-mal höher (HR: 2,24) als bei Schlanken mit einem Taille-zu-Hüfte-Verhältnis von unter 0,79 (HR: 0,72).

„Epidemiologische Studien sind nicht dazu da, um physiologische Begründungen zu liefern, sondern nur, um Hypothesen aufzustellen oder zu beweisen“, resümiert Pfeiffer. „Klinische Konsequenzen ergeben sich also leider aus dieser Vielzahl von erhoben Daten nicht.“

 

REFERENZEN:

1. Peters SAE, et al: (online) J Am Heart Assoc. 2018;7:e008507

 

Kommentar

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