Peniskarzinom: Viele Männer erhalten keine Therapie nach Leitlinien – und riskieren ein erhöhtes Sterberisiko

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

26. März 2018

Kopenhagen – Rund 75% aller Patienten mit einem Peniskarzinom erhalten leitliniengerechte Therapien. Dadurch verdoppelt sich ihre Überlebenschance. Diesen Zusammenhang leitet Dr. Luca Cindolo vom Azienda Sanitaria Locale (ASL) im italienischen Chieti aus einer Kohortenstudie ab. Auf dem Kongress der European Association of Urology (EAU) hat er die Ergebnisse vorgestellt [1]. Daten aus Deutschland flossen allerdings nicht mit ein.

Prof. Dr. Oliver W. Hakenberg

Die Lage in Deutschland kommentiert Prof. Dr. Oliver W. Hakenberg für Medscape: „Die retrospektive Analyse wurde einwandfrei durchgeführt, die Daten sprechen für sich“, sagt der Direktor der Urologischen Klinik und Polyklinik, Universität Rostock, und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Gleichzeitig war Hakenberg als Autor an europäischen Leitlinien zum Peniskarzinom beteiligt.

„Für Deutschland gibt es bislang keine Erhebungen“, betont er. „Ich vermute, dass die Versorgungssituation bei uns auf keinen Fall besser ist, als es die internationale Studie zeigt – vielleicht sind wir sogar etwas schlechter aufgestellt.“ Er hofft, in 6 Monaten eigene Daten vorlegen zu können.

Schlechtere Adhärenz, höhere Mortalität

Cindolo und Kollegen arbeiteten mit Patienten aus 12 Zentren Europas (Italien, Ungarn, Spanien), sowie Nord- und Südamerikas (Brasilien). Mit ihrer retrospektiven Kohortenstudie wollten sie herausfinden, wie gut EAU-Leitlinien zum Peniskarzinom in der Praxis umgesetzt werden. Dabei ging es um die Erstversorgung inklusive Lymphadenektomie.

 
Ich vermute, dass die Versorgungssituation bei uns auf keinen Fall besser ist, als es die internationale Studie zeigt … Prof. Dr. Oliver W. Hakenberg
 

Insgesamt wurden Daten von 425 Männern retrospektiv ausgewertet, die zwischen 2010 und 2016 aufgrund von Neoplasien am Penis chirurgisch behandelt worden waren. Sie waren im Median 65 (±13) Jahre alt. Neben demographischen Daten erfasste Cindolo Beschneidungen in der Vorgeschichte, Komorbiditäten, perioperative und histopathologische Daten und die Lokalisation primärer Läsionen.

Bei jedem Patienten evaluierte er, ob Ärzte europäische Leitlinien hinsichtlich der chirurgischen Erstversorgung und der Lymphadenektomie eingehalten hatten. Zur Einstufung von Tumoren verwendeten die Onkologen die TNM-Klassifikation:

  • T: Tumor (Beschreibung des Primärtumors)

  • N: Nodus (Lymphknotenmetastasen)

  • M: Metastasen (Fernmetastasen)

 

Von allen Studienteilnehmern waren 58% nicht beschnitten. Die Läsionen befanden sich an der Eichel (65%), der Vorhaut (10%) oder an beiden Stellen (25%). Die Chirurgen setzten zur Behandlung Zirkumzisionen (6,3%), Tumorexzisionen (22,8%), Glansektomien (9,4%) sowie partielle oder totale Amputationen des Penis (48%, 13,4%) ein. In allen Fällen wiesen Pathologen ein Plattenepithelkarzinom nach.

 
Wir vermuten, dass viele Ärzte mit der Behandlung dieser seltenen, aber schwerwiegenden Krebsart nicht vertraut sind. Dr. Luca Cindolo
 

Bei 74,8% der Patienten orientierte sich die Behandlung an den EAU-Leitlinien. War das nicht der Fall, fand Cindolo Entscheidungen des Patienten (17%), des Arztes (52%) oder weitere, nicht näher spezifizierte Gründe (31%) zur Erklärung. „Wir vermuten, dass viele Ärzte mit der Behandlung dieser seltenen, aber schwerwiegenden Krebsart nicht vertraut sind“, so der Erstautor.

Mit statistischen Methoden untersuchte das Team anschließend, welchen Einfluss die Adhärenz auf das Überleben hatte. Nach der Korrektur von Unterschieden im Alter und im TNM-Stadium ergab sich eine statistisch signifikante Assoziation zwischen der Einhaltung von EAU-Leitlinien und dem Gesamtüberleben. „Wir sehen, dass etwa doppelt so viele Patienten überleben, wenn sie nach empfohlenen Richtlinien behandelt wurden“, fasst Cindolo seine Ergebnisse zusammen.

Behandlung auf Exzellenzzentren konzentrieren

Prof. Dr. Vijay Sangar, chirurgischer Direktor am Christie Hospital Manchester, war an der Studie nicht direkt beteiligt. Er verweist auf steigende Fallzahlen. Rund einer von 100.000 Männern erkranken jedes Jahr am Peniskarzinom. Umso wichtiger sei, das Peniskarzinom in nationalen oder internationalen Exzellenzzentren zu behandeln. Damit gelinge es, die Chancen auf ein besseres Management zu erhöhen.

„In Großbritannien haben wir die Behandlung in nur 10 Exzellenzzentren komprimiert, während in einigen Ländern wie Ungarn, Spanien und Italien diese seltenen urologischen Krebserkrankungen immer noch vor Ort behandelt werden, was die niedrigeren Überlebensraten widerspiegeln könnte“, konstatiert der Experte.

 
Die Player im deutschen Gesundheitswesen interessieren sich nicht für vergleichsweise seltene Erkrankungen wie das Peniskarzinom. Prof. Dr. Oliver W. Hakenberg
 

Hakenberg befürwortet im Gespräch mit Medscape ebenfalls, Patienten bei uns in spezialisierten Zentren zu behandeln, um eine leitliniengerechte Versorgung sicherzustellen. Er sieht aber Schwierigkeiten bei der Durchführung: „In England macht man das per Verordnung, in skandinavischen Ländern per Gesetz, aber in Deutschland läuft das so leider nicht.“

Mindestfallzahlen gebe es auch bei uns. „Aber wer sich nicht daran halten will, hält sich eben nicht daran“, kritisiert der Experte. Dies habe keinerlei Konsequenzen. Kleinen Krankenhäusern werde nicht verboten, bestimmte Eingriffe durchzuführen. Sein Fazit: „Die Player im deutschen Gesundheitswesen interessieren sich nicht für vergleichsweise seltene Erkrankungen wie das Peniskarzinom.“

 

REFERENZEN:

1. Kongress der European Association of Urology (EAU18), 16. bis 18. März 2018, Kopenhagen/ Dänemark, Abstract AM18-2684

 

Kommentar

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