Bei schwedischen Frauen ist ein hohes Maß an kardiovaskulärer Fitness im Alter von 40 bis 60 Jahren mit einem 88% niedrigeren Demenzrisiko im Alter assoziiert. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest Dr. Helena Hörder, Forscherin an der Neuropsychiatric Epidemiology Unit, University of Gothenburg, auf Basis einer Kohortenstudie [1]. Zum Vergleich zog sie Daten von Probandinnen mit niedrigem Fitnessniveau heran.

Prof. Dr. Richard Dodel
„Auffällig ist, dass die Studie sehr lange lief und mit vielen Teilnehmern begonnen hat“, sagt Prof. Dr. Richard Dodel von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zu Medscape. Er arbeitet am Lehrstuhl für Geriatrie des Uniklinikums Essen und am Geriatriezentrum Haus Essen, Contilla GmbH. „Insgesamt sind aber nur wenige Frauen hinsichtlich ihrer Demenz untersucht worden.“
Er leitet aus der Arbeit 2 Aussagen ab: „Erstens ist es wichtig, wie intensiv man Sport man macht.“ Aus neurologischer Sicht profitiere laut Studie vor allem die Gruppe mit hoher Fitness. „Die Frage ist jedoch, welches Maß richtig ist.“ Empfohlen würden im höheren Alter derzeit 3 x 30 Minuten pro Woche. Harte Daten gebe es derzeit aber nicht.Dodel will nicht ausschließen, dass weitere Faktoren eine Rolle spielen: „Liegt es wirklich nur am Sport oder haben aktive Teilnehmerinnen beispielsweise mehr soziale Kontakte und nehmen mehr am gesellschaftlichen Leben teil?“ Sein Fazit: „Wir müssen uns Gedanken machen, was es aus ärztlicher Sicht heißt, Sport im höheren Alter als Demenzprävention zu machen.“ Dodel hofft auf weitere Veröffentlichungen zum Thema. Hörders Studie sei zumindest ein Anfang, sagt der Experte.
Studie mit langem Atem
Bereits im Jahr 1968 untersuchten Ärzte eine populationsbasierte Stichprobe von 1.462 Frauen im Alter von 38 bis 60 Jahren. 191 der Probandinnen wurden zur Leistungsdiagnostik auf dem Fahrradergometer untersucht, um die körperliche Leistungsfähigkeit zu beurteilen.
Die durchschnittliche Spitzenbelastung lag bei 103 Watt. Insgesamt erfüllten 40 Frauen Kriterien für ein hohes Fitnessniveau (mindestens 120 Watt). 92 Frauen hatten ein mittleres (mehr als 80, aber weniger als 120 Watt) und 59 Frauen ein niedriges Fitnesslevel (80 Watt oder weniger).
Alle Teilnehmerinnen wurden 6 Mal auf Demenz getestet, nämlich in 1974, 1980, 1992, 2000, 2005 und in 2009. Ärzte zogen zur Diagnostik die DSM-III-R-Kriterien (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) heran. Sie werteten Daten neuropsychiatrischer Untersuchungen aus. Hinzu kamen Interviews, Krankenakten und Daten des Swedish Hospital Discharge Register zu weiteren Erkrankungen. Das Follow-up lag im Median bei 29 Jahren und maximal bei 44 Jahren.
Assoziation zwischen Demenz und Fitness
Innerhalb der Nachbeobachtungszeit von median 29 Jahren erkrankten 44 Frauen (23,0%) an Demenz. Darunter waren 20 Personen mit Alzheimer-Demenz, 8 mit vaskulärer Demenz, 12 mit einer Mischform und 4 mit anderen Demenzen.
Sie waren im Mittel bei der Diagnose 80,5 Jahre alt. 2 Frauen (5%) in der Gruppe mit hohem Fitnessniveau entwickelten eine Demenz, verglichen mit 23 Teilnehmerinnen (25%) in der mittleren und 19 Personen (32%) in der untersten Gruppe. Bei den Frauen, die aufgrund gesundheitlicher Probleme wie Anomalien im EKG oder Brustschmerzen den Belastungstest abbrechen mussten, entwickelten 45% Jahrzehnte später eine Demenz.
„Studienteilnehmerinnen der obersten Gruppe hatten eine um 88% geringere Wahrscheinlichkeit, Demenzen zu entwickeln als Frauen der untersten Gruppe“, so Hörder. Ihr mittleres Alter zum Zeitpunkt des Krankheitsbeginns lag bei 90 versus 79 versus 81 Jahren. Die Erstautorin ergänzt: „Die Studie deutet darauf hin, dass negative kardiovaskuläre Prozesse in der Lebensmitte auftreten, die das Risiko einer Demenz viel später im Leben erhöhen.“
Zu den Einschränkungen der Studie gehört vorrangig die relativ geringe Anzahl der eingeschlossenen Frauen. Alle Teilnehmerinnen kamen aus Schweden. Hörder merkt auch an, das Fitnessniveau sei nur 1 Mal gemessen worden. Mögliche Änderungen im Laufe der Zeit habe man nicht berücksichtigen können.
Gut fürs Herz – gut fürs Hirn?
In einem Editorial verweist Dr. Nicole L. Spartano von der Section of Preventative Medicine and Epidemiology, Boston University School of Medicine, USA, auf zentrale Stärken und Schwächen der Arbeit [2]. Sie schreibt, durch die vergleichsweise lange Nachbeobachtungszeit sei es zwar gelungen, das Risiko eines Bias zu minimieren. Mögliche Fehlerquellen sieht sie bei Patientinnen mit niedriger Fitness und Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Diese hätten mehr Kontakt zu Ärzten. Dadurch werde eine Demenz möglicherweise früher und häufiger diagnostiziert.
„Außerdem wird Fitness als kardiovaskuläre Funktion bestimmt“, ergänzt Spartano. „Sie wird stark durch mehrere Determinanten wie die Genetik, das Alter, das Geschlecht, den BMI, aber auch durch die körperliche Aktivität beeinflusst.“
Ihr Fazit: „Eine fitte Probandin im Sinne der Studie muss sich nicht zwangsläufig auch viel bewegen. Wir müssen jetzt herausfinden, ob körperliches Training das Gehirn unabhängig von kardiovaskulären Effekten beeinflusst.“ Es bestehe Bedarf an längerfristigen Interventionsstudien, um zu verstehen, ob Training möglicherweise sogar in geringer Frequenz und Intensität, das Demenzrisiko verringere.
An Ärzte gerichtet, schlussfolgert sie: „Obwohl die aktuelle Studie keine Beweise liefert, auf denen klinische Richtlinien für körperliche Aktivität und Demenz-Prävention basieren könnten, gibt es Beweise, dass Interventionen zur Vorbeugung oder Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch die Gesundheit des Gehirns verbessern. Was gut für das Herz ist, scheint auch für das Gehirn gut zu sein.“
REFERENZEN:
1. Hörder H, et al: Neurology (online) 14. März 2018
2. Spartano NL, et al: Neurology (online) 14. März 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Gut fürs Herz – gut fürs Hirn? 90 Prozent weniger Demenz bei Frauen, die im mittleren Alter viel Sport treiben - Medscape - 26. Mär 2018.
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