
Jens Spahn
© Stephan Baumann
Der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist in der Gesundheitspolitik alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. 6 Jahre lang – von 2009 bis 2015 – war der gelernte Bankkaufmann und Politikwissenschaftler gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Dabei hat er sich den Ruf eines streitbaren und Reform-orientierten Sozialpolitikers erworben, der – wie sich bereits in den ersten Tagen seines Minister-Jobs zeigte – auch vor Provokationen selten zurückschreckt.
Doch schafft er es, als Nachfolger von Hermann Gröhe auch als Problemlöser zu punkten? Bei seinem Amtsantritt am 15. März zählte er bereits einige für ihn wichtige Ziele für die Legislaturperiode auf: „Das große Aufreger-Thema: Wie schnell bekomme ich – als gesetzlich Versicherter – einen Termin beim Arzt; das große Thema der Pflege und vor allem die Situation der Pflegekräfte. Und einen weiteren Schwerpunkt will ich beim Thema Digitalisierung setzen“, verkündete er.In seiner bedächtigen und im Vergleich zum Nachfolger eher ruhigen Art hat Gröhe wichtige Pflegereformen auf den Weg gebracht, gestützt auf Vorarbeiten seiner Vorgänger. Er hat ein neues System in der Pflegeversicherung umgesetzt, das wegführen soll von der Minutenpflege und mehr Leistungen für Demenzkranke bringt, eine Krankenhausreform und rund 25 weitere Gesetze auf den Weg gebracht. Was haben Ärzte und Patienten nun vom künftigen Bundesgesundheitsminister Spahn zu erwarten?
Koalitionsvertrag: Sofortprogramm Pflege verspricht bessere Bezahlung
Der Koalitionsvertrag gibt mit dem Sofortprogramm Pflege 8.000 neue Fachkraftstellen und eine bessere Bezahlung vor, die „konzertierte Aktion Pflege“ soll einen besseren Personalschlüssel und eine Ausbildungsoffensive für Pfleger umfassen.
Fest steht auch: Die Krankenkassenbeiträge sollen künftig – ab 1. Januar 2019 – wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden. Noch im vergangenen Jahr hatte Spahn diese Parität als „Chimäre“ bezeichnet.
Geplant sind mehr Investitionen in Krankenhäuser, mehr Medizin-Studienplätze und Landarztquoten, die Abschaffung von Schulgeld für alle Gesundheitsberufe, die Förderung der Telemedizin und die Einführung der elektronischen Patientenakte bis 2021.
Das Sprechstundenangebot soll verbessert werden. Außerdem sollen Ärzte, die in wirtschaftlich schwachen und unterversorgten ländlichen Räumen praktizieren, über regionale Zuschläge unterstützt werden. Und EBM und GOÄ sollen reformiert werden.
Spitzen gegen die Selbstverwaltung
Das ist der Rahmen für Spahn. Man kann wohl erwarten, dass er sich treu und damit streitbar bleiben und Kontroversen hervorrufen wird. Denn gegen Tabus und Verkrustungen im Gesundheitssystem argumentierte Spahn schon als Gesundheitsexperte der Union an.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2015 kritisierte er die Selbstverwaltung in durchaus deutlichen Worten. Stets auf die Expertise von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen zu setzen, klappe derzeit nicht besonders gut. Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen „müssen endlich mal merken, dass sie miteinander arbeiten sollen und nicht gegeneinander“, so Spahn damals.
Im Jahr 2013 hatte er gedroht, mit Geld-und Haftstrafen gegen ärztliche Korruption vorzugehen. „Entweder beginnt die ärztliche Selbstverwaltung endlich eigenständig, die Dinge klar beim Namen zu nennen und aktiv zu bekämpfen, oder wir müssen eine Strafnorm schaffen, damit der Staatsanwalt aktiv wird“, sagte Spahn damals gegenüber der FAZ .
Im Jahr 2012 hatte er die Trennung in gesetzliche und private Krankenversicherung infrage gestellt und als „nicht mehr zeitgemäß“ bezeichnet. In einem einheitlichen Versicherungsmarkt solle als Grundversorgung der Leistungsumfang der heutigen Gesetzlichen Krankenversicherung gelten, so Spahns Idee. Eine Bürgerversicherung lehnt Spahn gleichwohl ab.
Bessere psychiatrische Versorgung – die Erwartungen an Spahn sind hoch
Weil im Koalitionsvertrag psychische Erkrankungen in allen relevanten Bereichen explizit berücksichtigt und erstmals als Volkskrankheit eingestuft werden, hegt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hohe Erwartungen an Jens Spahn.
„Wir freuen uns, dass das Thema seelische Gesundheit Eingang in die Verhandlungen auf höchster politischer Ebene gefunden hat und einen angemessenen Stellenwert bekommt. Angesichts seiner evidenten Bedeutung für unsere Gesellschaft ist es Zeit für einen neuen Umgang mit psychischen Erkrankungen“, so DGPPN-Präsident Prof. Dr. Arno Deister.
Er wertet es als vielversprechendes, richtungsweisendes Signal, dass die Gesundheitspolitik sich laut Koalitionsvertrag künftig am Patientenwohl orientieren will. Die DGPPN werde den neuen Gesundheitsminister an der Umsetzung der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Absichtserklärungen messen. Sie stehe ihm „als Stimme der seelischen Gesundheit mit ihrer fachlichen Expertise für einen konstruktiven Austausch zur Verfügung“.
Bundesärztekammer hebt Spahns gute Kenntnisse und seinen Pragmatismus hervor

Prof. Frank Ulrich Montgomery
Positiv bewertet auch der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) Prof. Frank Ulrich Montgomery die Wahl Spahns. Und er hebt hervor, dass dieser ein erfahrener Politiker und ausgewiesener Kenner des Gesundheitssystems sei, noch dazu pragmatisch und lösungsorientiert.
Darüber hinaus werde sich die BÄK nicht äußern, stellt Sprecher Samir Rabbata fest und verweist auf die grundsätzliche Einschätzung Montgomerys, der im Koalitionsvertrag „durchaus richtige Akzente gesetzt“ sieht.
Darunter fallen aus Sicht der BÄK auch die geplanten Maßnahmen gegen den Ärztemangel, die Förderung der sektorenübergreifenden Versorgung, Neuregelungen bei der Notfallversorgung und der Reform des Medizinstudiums. Aus Sicht der BÄK sind auch die vorgesehene weitere Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung, die geplante Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes und der Ausbau des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sinnvoll.
Dass das Thema Vergütungssystem nicht mehr unter Zeitdruck entschieden worden sei, ist aus Montgomerys Sicht sinnvoll. Eine von der Bundesregierung eingesetzte wissenschaftliche Kommission soll jetzt die medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen für ein modernes Vergütungssystem erörtern. „Wir brauchen hier vernünftige Lösungen. Die Ärzteschaft ist bereit, sich in die anstehenden Beratungen konstruktiv einzubringen“, betont der BÄK-Präsident.
KBV ist optimistisch

Dr. Andreas Gassen
Auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. Andreas Gassen spricht Spahn eine hohe Sachkompetenz zu: „Wir sind optimistisch, dass es Herrn Spahn in erster Linie um die Weiterentwicklung eines hervorragenden Gesundheitswesens geht und nicht um dessen Zerschlagung.“ Gassen fügte hinzu, es sei entscheidend, dass die Selbstverwaltung weiterhin den Stellenwert bekomme, der ihr zustehe. Spahn sei gut beraten, auf die Stärken der Selbstverwaltung und der Gesamtvertragspartner zu setzen, ließ er verlauten.
Ob sich die KBV Unterstützung in der Ablehnung der Ausweitung der Mindestsprechzeit (die ja laut Koalitionsvertrag von 20 auf 25 Stunden erhöht werden soll) erhofft? KBV-Sprecher Roland Stahl sagt dazu nur: „Bei diesem Punkt müssen wir die Gespräche der nächsten Wochen abwarten.“
Beim – so Spahn – „Aufregerthema“ Wartezeiten scheint Gesprächsbedarf zu herrschen, denn: „Objektiv betrachtet gleichen sich die Wartezeiten immer mehr an. „Das zeigen auch die Ergebnisse unserer jüngsten Versichertenbefragung bei über 6.000 gesetzlich und privat versicherten Bürgern“, erinnert KBV-Sprecher Stahl. Und fügt hinzu: „Ganz davon abgesehen kann man auch nicht von einem Wartezeiten-Problem in Deutschland sprechen. Zumindest objektiv nicht.“ Er schließt: „Wir wünschen und erhoffen uns eine objektive Diskussion zu unseren Vorschlägen im Rahmen des KBV-Positionspapiers 2020.“
Der neue Gesundheitsminister und die Politas
Als ob das Amt des Gesundheitsministers nicht schon genügend Baustellen mit sich brächte, wird Spahn jedoch von einigen Seiten eine bedenklich große Nähe zur Pharmaindustrie nachgesagt. So schreibt Bernd Riexinger in einem Beitrag in The European, dass Spahn als gesundheitspolitischer Sprecher „der Türöffner für die Pharmaindustrie“ gewesen sei.
Wie das Magazin Focus im Jahr 2012 berichtet hatte, gründete Spahn mit seinen Freunden Markus Jasper und Max Müller im April 2006 die GbR Politas, die schwerpunktmäßig Klienten aus dem Medizin- und Pharmasektor berät. Müller ist laut Focus ein Lobbyist, der für den Pharma-Großhändler Celesio und für die Rhön-Kliniken tätig war. Weil eine GbR ihre Geschäfte und Gesellschafter nicht veröffentlichen muss, tauchte nur Jasper als Eigentümer der Agentur auf. Jasper leitete bis 2006 das Bundestagsbüro Spahns, danach arbeitete er in Teilzeit weiter und gleichzeitig als Lobbyist.
Da Spahn an Politas nur eine Minderheitenbeteiligung von 25% hielt, war er nicht verpflichtet, das dem Bundestag zu melden.
Laut Lobbypedia schüttete die Politas 2007 rund 32.000 Euro Gewinn an die Gesellschafter aus. Auf Anfrage von Focus hatte Spahn eine 25%-Beteiligung bis Mai 2010 bestätigt. Er habe seinem Freund Jasper bei der Finanzierung geholfen, so Spahn. Gegenüber Lobby Control betonte Spahn, dass es zu keinem Zeitpunkt einen Interessenkonflikt gegeben habe.
Lobby Control schreibt dazu: „Diese Argumentation ist jedoch nicht überzeugend. Der Interessenkonflikt besteht bereits in dem Moment, in dem er Gewinne aus einer Firma erhält, die im gleichen Politikfeld Lobbyarbeit macht, in dem er als Politiker tätig ist. […] Spahn war bereits seit 2002 Mitglied im Gesundheitsausschuss und von 2005 bis 2009 Obmann der CDU im Gesundheitsausschuss. In dieser Zeit war er auch an wichtigen gesundheitspolitischen Debatten beteiligt, etwa der Liberalisierung des Apothekenmarkts.“
Im Mai 2010 verkaufte Spahn seine Politas-Anteile, um – so Focus im Jahr 2012 — den Eindruck eines möglichen Interessenskonfliktes zu vermeiden.
Allerdings ist die Spahn nachgesagte besondere Nähe zur Pharmaindustrie in seinem bisherigen politischen Agieren nicht erkennbar: Vielmehr hat er maßgeblich mitgeholfen, dass die Pharmaindustrie die Preise neuer Medikamente nicht mehr völlig frei bestimmen darf.
Spahns Coup beim Deutschen Pflegetag
Gleich am ersten Tag seines Amtsantritts setzte Spahn Ausrufezeichen. Bei einem Treffen mit Klinikmanagern stellte er zum Thema Fallpauschalen klar, dass Krankenhäuser ihrer „betriebswirtschaftlichen Verantwortung sicher nicht beraubt“ würden. Im Koalitionsvertrag hatte Gröhe mit der SPD ausgehandelt, dass Pflegende künftig aus solchen Kalkulationen herausgenommen werden, damit sie keinen Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Bei den Klinikmanagern hatte das für Unsicherheit gesorgt.
Beim 5. Deutschen Pflegetag in Berlin erinnerte Spahn an den Koalitionsvertrag – eine neue Ausbildung, mehr Lohn, mehr Personal – widerstand aber der Versuchung, das Blaue vom Himmel zu versprechen. Feste Personalschlüssel in den Einrichtungen etwa seien „ein Thema, wo Sie schnell Applaus abholen können“, sagte Spahn. Doch ganz so einfach sei das nicht: Er wolle schon, dass es in der betriebswirtschaftlichen Verantwortung der Träger bleibe, mit den Mitteln vernünftig umzugehen. Die Reaktionen darauf sind erwartbar gemischt.
Regelrechte Begeisterung erntete Spahn dagegen für seine Ankündigung, er werde für das Amt des Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus vorschlagen, den langjährigen Präsidenten des Deutschen Pflegerats.
Heftigen Widerspruch – auch aus der eigenen Partei – trug ihm kurze Zeit später aber seine polemische Kritik an den Gegnern des umstrittenen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche ein: Denen warf er vor, ihnen läge das Wohl von Tieren eher am Herzen, als für menschliches Leben zu kämpfen.
Der Minister muss liefern …
Am Wochenende hatte Spahn auch umrissen, wie er Demenz bekämpfen will. Existierende Forschungsprogramme und Leuchtturm-Projekte sollen dazu ausgebaut und die Kräfte in Europa gebündelt werden. Eine Chance sieht er dabei in der Nutzung von „Big Data“. Von einer Vernetzung und anonymisierten Daten-Auswertung verspricht er sich wichtige Erkenntnisse für die Forschung.
Eine weitere Stellschraube sieht Spahn in den Medikamentenpreisen: „Die Entwicklung von Medikamenten gegen Demenz muss sich lohnen. Die Preise für neue Arzneimittel müssen so sein, dass es sich lohnt, für echte Innovationen, für wirklichen Fortschritt, etwa bei Demenz, zu forschen.“
Beim Kampf gegen die Demenz auf die Forschung zu setzen, sieht Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, zwar grundsätzlich positiv, er stellt aber auch klar: „Leuchtturm-Projekte sind keine praktische Antwort auf die Nöte der pflegebedürftigen Menschen von heute.“ Der Markt für häusliche Pflege sei „leer gefegt“, und Kassenärzte mit Hausbesuchen seien Mangelware. Zudem stiegen die Kosten für Heime, und ein „brauchbarer Pflege-TÜV“ fehle, zählt er weitere Baustellen auf. „Hier muss der neue Gesundheitsminister liefern“, betont Brysch.
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Diesen Artikel so zitieren: Der neue Mann für die Gesundheit – was haben Ärzte und Patienten von Jens Spahn zu erwarten? - Medscape - 21. Mär 2018.
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