Waschen, Schneiden, Blutdruck-Check: Initiative in US-Barber-Shops leistet wertvollen Beitrag zur Blutdrucksenkung

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

16. März 2018

Orlando Schwarze sind in den USA eine für arterielle Hypertonie und deren Folgen besonders prädisponierte Bevölkerungsgruppe. Gleichzeitig sind sie aber oft für das Gesundheitssystem schwer erreichbar. Einen ungewöhnlichen neuen Ansatz hat eine bei der Jahrestagung des American College of Cardiology (ACC) in Orlando präsentierte und im New England Journal of Medicine zeitgleich veröffentlichte Studie getestet [1;2].

Die Prävention (mit medizinischer Intervention) wurde gemeinschaftlich von Friseuren und Apothekern angeboten und fand in 52 sogenannten „Barber-Shops“ in Los Angeles statt. Dies mit Erfolg: Friseurkunden afroamerikanischer Herkunft mit arterieller Hypertonie erzielten in nur 6 Monaten eine substanzielle Blutdrucksenkung.

Dr. Ronald Victor

Durch die Aktion, die aus Gesundheitsinfos und Blutdruckmessungen durch die Friseure bestand sowie einer medikamentösen Therapie durch speziell geschulte Pharmazeuten, erreichten die Teilnehmer mit zuvor unkontrollierter Hypertonie innerhalb von 6 Monaten eine Senkung des Blutdrucks um durchschnittlich 27 mmHg (von 152,8 auf 125,8 mmHg), berichtete Studienleiter Dr. Ronald Victor vom Smidt Heart Institute am Cedars-Sinai Medical Center der University of California in Los Angeles, USA.

„Indem wir den neuesten Stand der Medizin dahin bringen, wo sich die Menschen wohlfühlen, die sie brauchen – in diesem Fall zum Barbier – und die medizinische Versorgung auf diese Weise leicht verfügbar und gründlich machen, kann der Blutdruck von Männern afroamerikanischer Herkunft genauso gut kontrolliert werden wie bei anderen Bevölkerungsgruppen“, sagte Victor auf dem ACC-Meeting.

Waschen, schneiden, Blutdruck checken

Bekannt ist, dass diese ethnische Gruppe ein deutlich höheres Risiko als US-Bürger europäischer oder lateinamerikanischer Abstammung aufweisen, früh an Hypertonie zu erkranken sowie ein um das 3-fache höheres Risiko, an Hypertonie mit kardiovaskulären Begleiterkrankungen zu sterben. Zudem werden sie seltener als andere ethnische Gruppen an klinischen Studien beteiligt und gehen auch seltener zum Arzt.

Um bei dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppe ein anderes Umfeld zur Prävention zu testen, haben Victor und Kollegen schon 2010 mit der BARBER-1-Studie ein Experiment unter 17 dunkelhäutigen „Barber Shop“-Besitzern in Dallas und Umgebung und deren Kundschaft zum Hypertonie-Management gewagt – mit Erfolg. In ähnlicher Form wiederholte er die Studie jetzt, fügte jedoch das medikamentöse Blutdruckmanagement durch einen Pharmazeuten im Friseursalon hinzu.

Sein Ansatz: Stammkunden, die regelmäßig über viele Jahre zum Haareschneiden und Barttrimmen kommen, lassen sich bei der Gelegenheit in entspannter Umgebung und unter der Aufsicht des Friseurs des Vertrauens auch ihren Blutdruck kontrollieren – und bei Bedarf medikamentös behandeln. Dazu muss man wissen, dass der „Barber Shop“ in den USA für viele Männer eine wichtige Institution des Gesellschaftslebens darstellt, wo man in gemütlicher Atmosphäre über alle möglichen Dinge plaudern kann – also auch über die Gesundheit im allgemeinen und den Blutdruck im Speziellen.

2 Drittel erreichten neues ambitioniertes Blutdruckziel

So rekrutierten Victor und Kollegen in ihrer Untersuchung diesmal 52 dunkelhäutige Besitzer von „Barber Shops“ in Los Angeles. Insgesamt 319 von deren Stammkunden im Alter zwischen 35 und 79 Jahren mit Bluthochdruck (≥ 140 mmHg), die im Schnitt seit 10 Jahren alle 2 Wochen zum Haare schneiden kamen, nahmen an der Intervention teil.

Die Salons wurden unterteilt in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe. In der Interventionsgruppe (132 Kunden) ermutigten die Besitzer ihre Kunden zur Teilnahme an regelmäßigen Treffen (mindestens einmal pro Monat) mit einem speziell zum Blutdruck-Management geschulten Pharmazeuten, der in den Friseursalon kam, den Blutdruck des Kunden gemeinsam mit dem Besitzer kontrollierte und einen Bluttest machte. Wenn nötig verschrieb er blutdrucksenkende Medikamente. Dies geschah mit Einverständnis des jeweiligen behandelnden Arztes, der eine Erklärung zur kollaborativen Versorgung unterschrieb.

Zudem kontrollierten die Apotheker die Elektrolyt- und Kreatininwerte der Teilnehmer und schickten Status-Meldungen an die behandelnden Hausärzte. Besitzer in der Kontrollgruppe empfahlen ihren Kunden (n = 171) lediglich Lebensstiländerungen und einen Arztbesuch.

 
Das ist ein sehr großer Effekt für eine Bluthochdruckstudie. Wir sind von den Ergebnissen begeistert. Dr. Eileen Handberg
 

Die Kunden in der Interventionsgruppe erreichten in nur 6 Monaten eine durchschnittliche Senkung ihres systolischen Blutdrucks um 27 mmHg. Zu Studienbeginn betrug ihr systolischer Blutdruck im Schnitt 152,8 mmHg, nach 6 Monaten nur noch 125,8 mmHg. In der Kontrollgruppe sank der systolische Blutdruck nur von durchschnittlich 154,4 auf 145,4 mmHg.

Damit war der Abfall in der Interventionsgruppe um 21,6 mmHg größer als in der Kontrollgruppe. Der Unterschied beim diastolischen Blutdruck betrug 14,9 mmHg.

Das Studienziel, das dem neuen ambitionierten systolischen Zielwert von maximal 130 mmHg in der gemeinsamen Leitlinie des ACC und der American Heart Association zum Bluthochdruck vom November 2017 entsprach, erreichten 63,6% der Teilnehmer in der Interventionsgruppe versus 11,7% in der Kontrollgruppe.

„Das ist ein sehr großer Effekt für eine Bluthochdruckstudie“, sagte Victor. „Wir sind von den Ergebnissen begeistert.“ Dieses Ergebnis sei „etwas, wovon klinische Forscher träumen“, kommentierte Dr. Eileen Handberg, Leiterin des kardiovaskulären Studienprogramms an der University of Florida in Gainesville, USA, während einer Pressekonferenz auf der ACC-Tagung. Selbst die Verbesserung von 9 mmHg, die die Kontrollgruppe erzielte, wäre in einer Studie zur Blutdruckkontrolle ein traumhaftes Ergebnis, ergänzte sie.

Neues Modell für die Versorgung von Chronikern?

Zu Studienbeginn nahm etwa die Hälfte der Teilnehmer mindestens einen Blutdrucksenker. Nach 6 Monaten nahmen alle Patienten der Interventionsgruppe und 63% der Kontrollgruppe Blutdruck-senkende Medikamente.

Im Schnitt nahmen die Patienten der Interventionsgruppe 2 Medikamente mehr ein als die in der Kontrollgruppe. Die Apotheker folgten bei der Verordnung einem 3-Stufen-Plan. Stufe 1 bestand aus einem Kalziumkanalblocker, plus Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) oder ACE-Hemmer; einem Diuretikum als drittes Add-on und als viertes Medikament einem Aldosteron-Antagonisten.

„Es ist nicht immer einfach Menschen, die Blutdrucksenker brauchen, dazu zu bewegen diese auch einzunehmen, selbst angesichts der immer geringeren Kosten und Nebenwirkungen“, sagte Victor. „Durch das Programm haben wir diese Hürde genommen.“

Er schreibt den Erfolg des Projekts mehreren Aspekten zu, unter anderem der Unterstützung des Programms durch die Friseure, der akkuraten Arbeit und der Verfügbarkeit speziell geschulter Apotheker, die die Männer in deren vertrauter Umgebung versorgten, so dass sie für die Kontrolle und das Therapiemanagement keine Arztpraxis aufsuchen mussten.

„Ich denke, dass es sich hierbei um ein neues Modell für das Management chronischer Krankheiten handelt“, sagte Dr. Karol Watson University of California Los Angeles, nach der Präsentation der Studienergebnisse in der „Late Breaking Trials“-Veranstaltung auf der ACC-Tagung. „Die Intervention dort zu starten, wo die Menschen leben, arbeiten und ihre Freizeit verbringen, wird künftig im Management chronischer Erkrankungen eine Schlüsselrolle spielen.“

„Wenn wir dieses Modellprojekt ausweiten und beibehalten, können wir das Leben von Millionen Menschen retten und viele Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern“, sagte Victor. Ob sich diese Strategie zur Verbesserung des Blutdruckmanagements etabliere, müssten weitere Studien zeigen. In der Barber-Shop-Studie erhielten sowohl die Friseure als auch die Untersuchungsteilnehmer finanzielle Anreize, die sie zum Friseurbesuch und damit auch zur Teilnahme an der Studie – und nicht zuletzt zum Arztbesuch – motiviert haben könnten.

 
Ich denke, dass es sich hierbei um ein neues Modell für das Management chronischer Krankheiten handelt. Dr. Karol Watson
 

Inzwischen läuft die zweite Studienphase über weitere 6 Monate, um festzustellen, ob die positiven Effekte Bestand haben. Zudem hofft die Studiengruppe auf eine Ausweitung des Interventionsprogramms – erstens auf andere Teile des Landes und zweitens auf Männer mit weniger starkem Bluthochdruck. Ebenso wäre es denkbar, dass andere Aspekte der Prävention integriert würden, Rauchstopp, Initiierung einer Statin-Therapie oder eine kardiovaskuläre Risikoeinschätzung, bemerkte Victor.

In die Folgestudie integriert sei auch eine Kostenanalyse, erklärte er. Er hofft, dass sich große Versicherer an dem Projekt beteiligen, was für die nationale Ausweitung des Konzepts, das viele Ressourcen und Koordination benötigt, von zentraler Bedeutung wäre. Statt Apotheker könnten etwa auch Pfleger oder medizinische Fachangestellte die Betreuung der Patienten vor Ort übernehmen und dafür auch entsprechend bezahlt werden, bemerkte Handberg. „Dies ist ja in der Theorie ein abrechenbarer Besuch, nur nicht dort, wo er sonst stattfindet.“

 

REFERENZEN:

1. 67th Scientific Session of the American College of Cardiology (ACC 2018), 10. bis 12. März, Orlando/USA

2. Victor RG, et al: NEJM (online) 12. März 2018

 

Kommentar

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