Weniger Komplikationen bei akutem Koronarsyndrom und PCI: Studien sprechen für Gentest vor der Gabe von Plättchenhemmern

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

14. März 2018

Orlando – Nicht alle Patienten sprechen gleich gut auf eine Plättchenhemmung mit Clopidogrel an. Bei der Jahrestagung des American College of Cardiology (ACC) in Orlando, USA, präsentierten Mediziner 2 Studien, die möglicherweise eine personalisierte Vorgehensweise in Zukunft nahe legen. Die Forscher konnten zeigen: Berücksichtigt man den Genotyp bei der Auswahl der plättchenhemmenden Therapie, können die Outcomes der Patienten signifikant verbessert werden – sowohl beim akuten Koronarsyndrom als auch bei einer perkutanen Koronarintervention [1].

Prof. Dr. Diego Ardissino

In beiden Studien kamen einfache und schnelle Gentests zum Einsatz. „Die Genotypisierung des Patienten, um beim akuten Koronarsyndrom einen P2Y12-Rezeptorantagonisten auszuwählen, kann aus Zeitgründen nicht an ein zentrales Genetiklabor delegiert werden“, erklärte Prof. Dr. Diego Ardissino, Direktor der Abteilung für Kardiologie am Universitätsklinikum Parma, Italien. Er ist der Senior-Autor der PHARMCLO-Studie (Pharmacogenetics of Clopidogrel in Acute Coronary Syndromes), die zeitgleich mit ihrer Präsentation beim Kongress im Journal of the American College of Cardiology publiziert wurde [2].

Schnell und einfach durchführbar

Der für die italienische Studie verwendete ST Q3-Test wurde so entwickelt, dass er direkt auf der Station und auch von nicht speziell ausgebildetem Personal durchgeführt werden kann. Patienten mit akutem Koronarsysndrom erreichten mit einer um 42% niedrigeren Wahrscheinlichkeit innerhalb von 12 Monaten den kombinierten primären Endpunkt (Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulärer Tod und schwere Blutungen), wenn ihre plättchenhemmende Medikation basierend auf dem Gentest ausgewählt worden war.

Die genetische Ausstattung beeinflusst signifikant, wie ein Patient auf P2Y12-Rezeptorantagonisten reagiert. Dies gilt insbesondere für den Plättchenhemmer Clopidogrel. Als Prodrug muss er von dem Leberenzym CYP2C19 erst in den aktiven Wirkstoff umgewandelt werden. Doch Mutationen in diesem Enzym sind häufig und können sowohl zu einer schlechteren als auch einer besseren Verstoffwechslung von Clopidogrel führen. Ersteres führt zu einer verringerten Plättchenhemmung, letzteres zu verstärkten Blutungen.

Reduzierte Wirksamkeit bei Loss-of-function-Mutation

In den USA muss Clopidogrel seit 2010 einen Warnhinweis tragen, dass es bei langsamen CYP2C19-Metabolisierern schlechter wirkt. Denn für die reduzierte Wirksamkeit reicht bereits ein CYP2C19-Loss-of-function-Allel, wie eine Metaanalyse von 9 Studien zeigte. Für die beiden anderen wichtigen P2Y12-Rezeptorantagonisten Prasugrel und Ticagrelor wurden keine entsprechenden Verbindungen zwischen Genotyp und klinischen Outcomes gezeigt.

Insgesamt nahmen 888 Patienten mit akutem Koronarsyndrom an der PHARMCLO-Studie teil. Eine Hälfte von ihnen erhielt die Standardtherapie: Die Ärzte entschieden nur aufgrund klinischer Charakteristika über den Plättchenhemmer. Bei der anderen Hälfte der Patienten wurde zusätzlich ein Gentest durchgeführt, dessen Ergebnis dann mit in die Entscheidung einfloss.

Genotyp in nur 70 Minuten

Der Gentest liefert ausgehend von einer simplen Blutprobe innerhalb von 70 Minuten Informationen über 3 Gene, die den Clopidogrel-Stoffwechsel beeinflussen: ABCB1, CYP2C19*2 und CYP2C19*17.

In den folgenden 10 Monaten erreichten in der Standardtherapie-Gruppe 25,9% der Patienten den kombinierten primären Endpunkt, in der Gruppe mit Gentest waren es 15,8% – und damit signifikant weniger.

Unterschiedliche Verschreibungsmuster

Die genetische Testung hatte außerdem Einfluss auf die Verschreibungsmuster. Prasugrel wurde in beiden Gruppen gleich häufig verschrieben. Clopidogrel dagegen wurde bei den Patienten mit Standardtherapie signifikant häufiger eingesetzt als bei den genetisch getesteten Patienten (50,7% vs. 43,3%). Und Ticagrelor wurde in der Gruppe mit Gentest häufiger verschrieben als in der Gruppe ohne Gentest (42,6% vs. 32,7%).

„Die Auswahl der Behandlung auf Basis genetischer Daten und klinischer Charakteristika des Patienten könnte zu einer personalisierteren und damit effizienteren plättchenhemmenden Therapie beitragen und damit sowohl das ischämische als auch das Blutungsrisiko senken“, resümierte Ardissino beim Kongress.

Zu früh für praktische Anwendung?

Im Gespräch mit Medscape betont er aber, dass die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden müssten. Die Studie sei vorzeitig gestoppt worden, als nur ein Viertel der ursprünglich geplanten 3.600 Patienten aufgenommen worden war. „Deshalb sind die Konfidenz-Intervalle sehr groß, und wir können das Ausmaß des Benefits nicht exakt abschätzen“, sagt Ardissino. „Basierend auf diesen Ergebnissen würde ich noch keine Veränderungen in der klinischen Praxis empfehlen.“

 
Die Auswahl der Behandlung auf Basis genetischer Daten und klinischer Charakteristika des Patienten könnte zu einer personalisierteren und damit effizienteren plättchenhemmenden Therapie beitragen ... Prof. Dr. Diego Ardissino
 

Der Abbruch der Studie erfolgte auf Anweisung eines der zuständigen Ethikkomitees. Grund war eine fehlende In-vitro-Diagnose-Zertifizierung für den ST Q3-Test. „Das war wirklich seltsam, da der Test bereits eine CE-Kennzeichnung hat, und das gleiche Ethikkomitees der Durchführung der Studie zugestimmt hat“, so der Kardiologe. „Ich glaube, das war alles ein großes Missverständnis, aber wir mussten die Studie abbrechen und das ist sehr schade.“

ADAPT-PCI: Gentest beeinflusst Verschreibung

In einer weiteren beim Kongress vorgestellten Studie wurden Patienten genetisch untersucht, die sich einer perkutanen Koronarintervention (PCI) unterzogen. Bei ihnen führte der Gentest zu einem vermehrten Einsatz potenterer Plättchenhemmer, sprich Prasugrel und Ticagrelor. Und eine Post-hoc-Analyse deutete auf eine höhere klinische Ereignisrate bei Patienten mit dem Clopidogrel-Loss-of-Function-Gen hin, die dennoch Clopidogrel erhielten.

 
Basierend auf diesen Ergebnissen würde ich noch keine Veränderungen in der klinischen Praxis empfehlen. Prof. Dr. Diego Ardissino
 

In die Assessment of Prospective CYP2C19 Genotype Guided Dosing of Anti-Platelet Therapy in Percutaneous Coronary Intervention (ADAPT-PCI)-Studie wurden 504 Patienten aufgenommen, bei denen eine PCI mit Stentimplantation durchgeführt wurde. Sie erhielten randomisiert eine durch den Genotyp gesteuerte plättchenhemmende Therapie oder die Standardtherapie. Der Gentest, wie in PHARMCLO ein einfacher, auf Station durchzuführender Test, untersuchte nur das Gen CYP2C19.

Clopidogrel-Verzicht bei Mutation

Den teilnehmenden interventionellen Kardiologen wurde empfohlen, bei Patienten mit dem Loss-of-function-Genotyp potentere Plättchenhemmer einzusetzen, also Ticagrelor oder Prasugrel statt Clopidogrel. Dieses Vorgehen war aber nicht verpflichtend vorgeschrieben.

Beim Kongress in Orlando berichtete Dr. Sony Tuteja von der Universität Pennsylvania, Senior-Autorin der ADAPT-PCI-Studie, dass die beiden potenteren Plättchenhemmer in der genotypisierten Gruppe häufiger zum Einsatz gekommen seien als in der Standardtherapie-Gruppe: bei 30 vs. 21% der Patienten. Und von den 68 Patienten, bei denen eine Loss-of-function-Mutation gefunden wurde, erhielten 53% Ticagrelor oder Prasugrel, während 47% weiter mit Clopidogrel behandelt wurden.

Empfehlung häufig umgesetzt

„Es stellte sich heraus, dass sich 71 Prozent der interventionellen Kardiologen an die Therapieempfehlung für genotypisierte Patienten hielten, aber 21 Prozent nicht“, so Tuteja. „Zu den Gründen für den Einsatz von Clopidogrel trotz Loss-of-Function-Mutation zählten eine stabile Erkrankung und Bedenken wegen der Therapiekosten.“

 
Unsere Ergebnisse zeigen, dass interventionelle Kardiologen den Genotyp in Betracht ziehen, wenn sie sich für eine plättchenhemmende Therapie entscheiden, aber sie berücksichtigen auch andere Faktoren. Dr. Sony Tuteja
 

Normale Metabolisierer erhielten in 22% der Fälle Prasugrel oder Ticagrelor – wenn die Erkrankung als komplizierter eingestuft wurde, bei akutem Koronarsyndrom oder wenn Lokalisierung und Größe des Stents dafür sprachen.

Vorbehandlung bestimmt Weiterbehandlung

Auch die Vorbehandlung hatte großen Einfluss auf die Auswahl des Plättchenhemmers. „Patienten, die vor der PCI schon Clopidogrel erhalten hatten, wurden doppelt so häufig auch nach dem Eingriff damit weiterbehandelt. Und wenn Patienten vorher eine Therapie mit Ticagrelor oder Prasugrel erhalten hatten, dann blieben sie fast immer auch dabei, unabhängig von ihrem Genotyp“, so Tuteja. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass interventionelle Kardiologen den Genotyp in Betracht ziehen, wenn sie sich für eine plättchenhemmende Therapie entscheiden, aber sie berücksichtigen auch andere Faktoren.“

 
Unsere Ergebnisse und diejenigen der PHARMCLO-Studie werden Ärzte dazu ermutigen, verstärkt solche Gentests anzuwenden, um die plättchenhemmende Therapie zu steuern. Dr. Sony Tuteja
 

Im Hinblick auf schwere kardiale Ereignisse gab es keine Unterscheide zwischen den Gruppen. Doch in einer Post-hoc-Analyse der genotypisierten Gruppe hatten Patienten, die trotz Loss-of-function-Mutation Clopidogrel erhielten, eine höhere Rate an schweren koronaren Ereignissen, Blutungen und Tod als Patienten, die Ticagrelor oder Prasugrel erhielten.

Ermutigung zu mehr Gentests

„Unsere Studie zeigt, wie Gentests in der klinischen Praxis eingesetzt werden könnten“, sagte Tuteja in einem Interview. „Ich denke, unsere Ergebnisse und diejenigen der PHARMCLO-Studie werden Ärzte dazu ermutigen, verstärkt solche Gentests anzuwenden, um die plättchenhemmende Therapie zu steuern.“ Viele Leute stünden der Genotypisierung auf das Clopidogrel-Ansprechen noch skeptisch gegenüber, ergänzte sie, „doch wenn ich den Loss-of-function-Genotyp hätte, dann würde ich mit Sicherheit nicht mit Clopidogrel behandelt werden wollen.“

 

REFERENZEN:

1. 67th Scientific Session of the American College of Cardiology (ACC 2018), 10. bis 12. März, Orlando/USA

2. Notarangelo FM, et al: J Amer Coll Cardiol (online) März 2018

 

Kommentar

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