Die Debatte über Donald Trumps Herz-Gesundheit (oder –Krankheit) steht exemplarisch für eine Kernfrage der Kardiologie: Wird das Wissen um die Kalzifikation seiner Koronar-Arterien, die bei etwa 85% der weißen Männer dieses Alters vorliegt, zu einer besseren Herzgesundheit führen?
Die Idee hinter der koronaren Kalzium-Score-Bestimmung (coronary artery calcification, CAC) ist, dass es letztlich von Vorteil ist, solche Schäden rechtzeitig aufzuspüren – um Patienten zum Beispiel mit Statinen und Acetylsalicylsäure zu behandeln, was die Rate an kardialen Ereignissen reduzieren kann. Von Vorteil auch, weil man die Versorgung individualisieren kann und weil Ärzte die Ergebnisse kontrollieren.
Aber in der Medizin funktionieren gute Ideen nicht immer so gut wie gedacht. Summiert man die Vor- und Nachteile des koronaren Kalzium-Scores, finden sich nur wenige Anhaltspunkte dafür, dass die Scans die Gesundheit verbessern.
Pro Kalzium-Score
Die Befürworter des CAC-Scores führen 5 wesentliche Argumente für die Tests an:
1. Ungenaue Scores: Aktuelle Risikoscores, wie z.B. der ASCVD-Risikoscore, der auf gepoolten Kohortengleichungen basiert, sind ungenau. Obschon sowohl die ACC/AHA-Leitlinien zur Cholesterinsenkung aus dem Jahr 2013 als auch die Leitlinien der US Preventive Services Task Force von 2016 diesen Score für die Indikationsbestimmung einer Statin-Behandlung verwenden, haben zahlreiche Studien gezeigt, dass er das Risiko zu hoch einschätzt [1,2,3,4]. Eine Überschätzung des Risikos in dieser Größenordnung könnte dazu führen, dass weltweit mehr als eine Milliarde Menschen Statine einnehmen müssten [5].
2. CAC schlägt den Kalkulator: Viele Verlaufsstudien zeigen, dass der CAC-Score den ASCVD-Risikowert oder andere Risikomarker für die Vorhersage zukünftiger kardialer Ereignisse übertrifft [6,7]. Der neuartige MESA-CAC-Score ergänzt die traditionellen Risikofaktoren um den CAC-Score und verbessert die 10-Jahresvorhersage für koronare Ereignisse mit einem C-Index von 0,75 bis 0,80 [8]. Außerdem bilden die CAC-Scores einen stufenweisen Risikogradienten vom niedrigen zum hohen CAC [9].
3. Null-CAC-Garantie: Zu wissen, dass man einen CAC-Score von Null hat, kann nützlich sein. In einer Kohorte von fast 4.800 Teilnehmern an der MESA-Studie kam die Hälfte der Teilnehmer für eine Statin-Behandlung infrage. Hauptsächlich auf Grundlage eines 10-jährigen ASCVD-10-Jahresrisikos von 7,5% oder mehr. Dennoch hatte fast die Hälfte der Gruppe (44%), bei der eine Statin-Behandlung empfohlen oder in Betracht gezogen wurde, zu Studienbeginn einen CAC-Score von Null und eine ASCVD-Ereignisrate über 10 Jahre von 4,2 pro 1.000 Personenjahre [10]. Die Verfechter sagen, dass der CAC-Score verwendet werden könnte, um Patienten zu helfen, weniger Medikamente einzunehmen.
4. Motivation für Änderung des Lebensstils: Menschen, die wissen, dass sie Kalzium-Ablagerungen in ihren Herzkranz-Gefäßen haben, können zu einer gesünderen Lebensweise motiviert werden. Zur Unterstützung dieser Theorie wurde eine Metaanalyse von 6 Studien mit mehr als 11.000 Patienten herangezogen. Demnach führte bei Patienten mit einem positiven CAC-Score im Vergleich zu Patienten mit einem CAC-Score von Null dazu, dass 2- bis 3-mal häufiger eine Therapie mit Acetylsalicylsäure, Lipid- oder Blutdrucksenkern eingeleitet wurde, genau wie eine Lebensstil-Änderung [11].
5. Verbesserte Entscheidungsfindung: Eine genauere Risikovorhersage kann die partizipative Entscheidungsfindung verbessern. Statine reduzieren das Risiko für ein kardiales Ereignis um etwa 25%. Die partizipativen Entscheidungs-Findungen werden mit dem CAC-Score präziser, weil eine 25%ige Reduktion bei Personen mit einem 15%igen 10-Jahresrisiko für ein Ereignis (viel Kalzium) in absoluten Zahlen viel größer ist als eine 25%ige Reduktion bei Patienten mit einem 10-Jahresrisiko von nur 3% (kein oder sehr wenig Kalzium).
Kontra Kalzium-Score
Hier die Argumente der Opponenten einer CAC-Testung, die mich persönlich mehr überzeugen:
1. Ausstehende Evidenzen aus RCT: Das stärkste Argument gegen das CAC-Screening ist der Mangel an Evidenzen aus randomisierten kontrollierten Studien (RCT). In der monozentrischen St. Francis Heart Study wurden etwa 1.000 Personen mit einem Kalziumwert über der 80. Perzentile hinsichtlich ihres Alters und Geschlechts zufällig einer Therapie mit Atorvastatin (20 mg/d) oder Placebo zugeordnet. Ja, die Rate der kardialen Ereignisse war in der Statingruppe niedriger, erreichte aber keine statistische Signifikanz (6,9% vs. 9,9%; p = 0,08) [12]. Andere Studien mit hinreichender Aussagekraft zum CAC-Screening existieren nicht.
Niedrige kardiale Ereignisraten bei Menschen mit mittlerem Risiko sind nach wie vor das Haupthindernis für Untersuchungen zu den Auswirkungen eines CAC-Screenings auf das Outcome. Nach Ansicht von Experten würde eine entsprechende Studie schätzungsweise 30.000 teilnehmende Personen erfordern, was sehr kostspielig wäre [13]. Dies ist auch mein Hauptargument gegen CAC-Testung: Wenn es einer so großen Studie bedarf, um Unterschiede zu zeigen, dann müssen die Vorteile – wenn es sie überhaupt gibt – winzig sein.
2. Überbewertung der Reklassifizierung: Ein guter Test sollte Personen gemessen am Net Reclassification Improvement (NRI) des Tests präzise herauf- und herabstufen können. Die Befürworter preisen die Möglichkeit, die Risikoeinstufung einer Person durch die CAC-Testung zu verändern. Aber wie Dr. Andrew Foy (Penn State University Medical Center, Hershey, Pennsylvania) mir erklärte, erzählt ein Blick auf die rohen Zahlen eine andere Geschichte.
Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf eine kürzlich erschienene Arbeit werfen, bei der die Untersucher die MESA-Kohorte (Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis ) zur Bestimmung des schrittweisen Zugewinns der CAC-Testung neben den Ergebnissen des ASCVD-Risikorechners nutzten. Sie begannen mit ca. 5.200 Teilnehmern (Durchschnittsalter 61 Jahre) und ermittelten eine Ereignisrate über 10 Jahre von 6,2% [7].
Sie untersuchten zunächst die Sensitivität der Berechnungen und suchten nach Patienten, bei denen es zu Ereignissen gekommen war. Der CAC-Scan hatte 18% der Teilnehmer korrekt in eine höhere Risikoklasse heraufgestuft. Was die Spezifität anbelangt, so verlegt der CAC-Scan jedoch fälschlicherweise weitaus mehr Teilnehmer in Hochrisiko-Gruppen, als er dies korrekt in Niedrigrisiko-Gruppen tut. Dies entsprach einer Net Reclassification von -6% (negativ).
Rechnet man beide zusammen, ergibt sich ein Gesamt-NRI von 12%. Der CAC-Scan verbessert demnach die Klassifizierung bei 12% der Teilnehmer. Das klingt doch eigentlich gut, oder? Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Die Prozentsätze verdecken die rohen Zahlen: Viel weniger Teilnehmer haben Ereignisse (n = 320) als keine Ereignisse (n = 4865). Das bedeutet, dass der Gesamt-NRI einen negativen Wert annimmt: (18% × 320) - (6% × 4865) = -234.
In absoluten Zahlen heißt das, wenn Sie sich einem CAC-Screening unterziehen und in eine Gruppe mit höherem Risiko eingestuft werden als nach dem Ergebnis des ASCVD-Rechners, besteht eine Wahrscheinlichkeit von 1:6, dass dieses Risiko-Upgrade korrekt ist, und eine Chance von 5:6, dass es falsch ist.
3. Strahlenbelastung: Im Jahr 2014 hatte Dr. Steven Nissen von der Cleveland Clinic in Ohio die Idee abgelehnt, mittels CAC-Scan den Menschen einen Denkanstoß zu geben: „Patienten der Strahlung auszusetzen, um sie aufzurütteln ... Mal tief durchatmen und darüber nachdenken", sagte er.
Ich würde zu Nissens gesundem Menschenverstand noch ergänzen, dass die Evidenz für einen solchen Denkanstoß gering sind. Die EISNER-Studie als größte RCT-Studie (n = 2.137), welche die Auswirkungen eines CAC-Screenings auf die Versorgung der Patienten untersuchte, berichtete über „statistisch“ positive Resultate [14].
Aber es handelt sich bei dieser Studie um einen klassischen Fall von statistischer Signifikanz, die nicht mit klinischer Signifikanz gleichzusetzen ist. Die Teilnehmer, die sich einem CAS-Scan unterzogen hatten, zeigten einen zunehmenden Rückgang des systolischen Blutdrucks von 2 mmHg (-7 mmHg vs. -5 mmHg) und einen zunehmenden Abfall des LDL-Cholesterins um 6 mg/dl (-17 vs. -11 mg/dl) im Vergleich zu denen, die sich der Untersuchung nicht unterzogen hatten. Und das waren die „positiven“ Ergebnisse. Die Parameter Körpergewicht, Taillenumfang und Nikotinentwöhnung hatten sich zwischen den beiden Gruppen nicht verändert.
Die restliche Evidenz dafür, dass das Wissen um den eigenen CAC-Score das Verhalten der Menschen verändern kann, stammt aus Beobachtungsstudien, die allenfalls eine größere Wahrscheinlichkeit für die Einleitung und Aufrechterhaltung einer präventiv wirkenden Medikation und eines veränderten Lebensstils nahelegen [11]. Es klafft eine gewaltige Lücke zwischen dem Versprechen, mehr Medikamente zu nehmen und das Verhalten anzupassen und einer tatsächlich geringeren Anzahl von kardialen Ereignissen.
4. Zufallsbefunde: „Die Abklärung von kardialen Zufallsbefunden im Herz-CT ist nicht umsonst und auch nicht risikolos“, schrieb ein kanadisches Autorenteam in einem Artikel im Journal of the American College of Cardiology[15]. In einer Serie von fast 1.000 Patienten, die sich einer Herz-CT-Untersuchung unterzogen hatten, stießen sie bei 41% der Patienten auf kardiale Zufallsbefunde. Die meisten waren klinisch nicht signifikant. Doch ein Patient erlitt eine schwerwiegende Komplikation im Laufe der weiteren Abklärung des Befundes. Eine kalifornische Untersuchergruppe kam auf eine ähnliche Inzidenz nicht kardialer Anomalien während eines Herz-CTs. In dieser Untersuchung wurden 25% der zufälligen Befunde als abklärungsbedürftig erachtet [16].
Eine Möglichkeit zur Reduzierung von Zufallsbefunden besteht darin, das Sichtfeld auf das Herz zu beschränken. Aber der Radiologe Dr. Saurabh Jha (University of Pennsylvania, Philadelphia) erklärte mir gegenüber, dass die Suche nach extrakardialen Befunden abhängig vom Untersucher sei und viele Radiologen das Gesichtsfeld nicht einschränken würden.
In einer Zeit, in der man nahezu jeder noch so gutartigen Abweichung nachgeht, lassen sich die Belastungen, welche durch die vermehrten Ängste, die potenziellen iatrogenen Schädigungen und die erhöhten Kosten für Zufallsbefunde entstehen, nicht ignorieren.
5. Folgeuntersuchungen: In keiner Leitlinie ist aufgeführt, dass eine CAC-Testung eine Kaskade von Herzuntersuchungen nach sich ziehen soll. Die einzige therapeutische Empfehlung der Experten zur Verwendung von CAC-Scans besteht darin, die Entscheidung über die Einleitung oder Intensivierung von präventiven Lebensstilanpassungen oder einer Statin-/Acetylsalicylsäuretherapie zu beeinflussen [16]. Das ist alles.
Aber jeder, der Medizin praktiziert, weiß, wie es wirklich läuft: Das Auffinden einer arteriellen Erkrankung am Herzen schürt Ängste. Und Angst bedeutet meist mehr Untersuchungen. Ich sehe regelmäßig asymptomatische „Patienten“ mit einem CAC-Score ungleich Null, bei denen Belastungstests, Szintigrafien, Koronarangiografien und, ja, sogar Stent-Implantationen durchgeführt werden.
Spielt also der CAC-Score angesichts der Evidenzlage eine Rolle?
Die Expertenkommission der Society of Cardiovascular Computed Tomography kam zu der Konsensentscheidung, dass Menschen mit mittlerem Risiko den größten Nutzen aus dem CAC-Screening ziehen [18].
Aber wir wissen bereits, wie wir die Ergebnisse in dieser Gruppe beeinflussen können. Es gibt aus Studien wie HOPE-3 und JUPITER überzeugende Evidenz dafür, dass Statine in der Primärprävention die kardialen Endpunkte bei Patienten mit mittlerem Risiko signifikant senken [19,20].
Die Befürworter des CAC-Scores gehen davon aus, dass es innerhalb dieser Populationen heterogene Behandlungseffekte gibt. Das ist nicht ausgeschlossen. Aber wir haben keine Evidenz für einen Einsatz der CAC-Scores, um präzise zu sagen, welcher Patient mehr oder weniger davon profitiert. Die Verwendung von CAC-Scores als Entscheidungshilfe für Statine basiert bislang auf Überzeugungen und nicht auf Evidenz.
Zusammenfassung
Der Gedanke, über CAC-Scores zu einer individualisierten Diagnose und Therapieentscheidung zu kommen, ist verlockend. Man kann die weißen Stellen, also eine Krankheit erkennen! Aber die Schlussfolgerung, dass das Sehen bestimmter Dinge auf einem Scan zwangsläufig Menschen gesünder macht, erfordert weit mehr Evidenz.
Zudem sind angesichts der lukrativen Folge-Untersuchungen, die häufig angesetzt werden, wenn koronares Kalzium bei asymptomatischen Menschen gefunden wird, die Tester selbst die größten Gewinner des CAC-Screenings – und nicht die getesteten Patienten.
Wenn Ärzte die Gesundheit von Donald Trump und Millionen anderer übergewichtiger Menschen mit sitzender Lebensweise verbessern wollen, sollten sie ihnen zu mehr Bewegung und weniger Junk Food raten, anstatt sie mit Kalzium-Scans zu verwirren.
Medscape © 2018 WebMD, LLC
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Diesen Artikel so zitieren: Verkalkte Koronar-Arterien: Nützt dieses Wissen Donald Trump und Millionen anderen Herz-Patienten – oder schadet es sogar? - Medscape - 14. Mär 2018.
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