Habituelle Aborte verhindern: Neue Leitlinie erteilt Absage an PID – lieber vor der Schwangerschaft nach Anomalien suchen

Petra Plaum

Interessenkonflikte

12. März 2018

Düsseldorf – Bei Paaren mit wiederholten Fehlgeburten, aber ohne diagnostizierte familiäre Chromosomenstörungen oder monogene Krankheiten soll keine Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Abortprophylaxe zum Einsatz kommen. Die Patientinnen sind neben anatomischen, hormonellen und psychischen Besonderheiten auch auf das Anti-Phospholipid-Syndrom (APS) zu untersuchen.  Das sind einige wichtige Empfehlungen der S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie habitueller Aborte, die im April publiziert wird und die bisherige S1-Leitlinie ablöst. Sie wurde von der Erstautorin Prof. Dr. Bettina Toth im Rahmen des Fortbildungskongresses der Frauenärztlichen BundesAkademie FOKO 2018 in Düsseldorf vorgestellt [1].

 
Ziel ist, dass wir in der Diagnostik noch weiterkommen, damit wir künftig die Zahl der Frauen mit wiederholten Spontanaborten ... weiter reduzieren können. Prof. Dr. Bettina Toth
 

„Ziel ist, dass wir in der Diagnostik noch weiterkommen“, betonte Toth, die Direktorin der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in Innsbruck, „damit wir künftig die Zahl der Frauen mit wiederholten Spontanaborten, die ohne Diagnose bleiben, weiter reduzieren können.“ Denn einer Diagnose kann eine Behandlung folgen – und die Chance auf die Geburt eines gesundes Babys steigt.

Wieso die Fehl- und Totgeburten?

Zwischen 1 und 5% aller Paare im reproduktionsfähigen Alter erleben wiederholte Spontanaborte (WSA) – je nachdem, ob die Definition der Weltgesundheitsorganisation (mindestens 3 Fehlgeburten) oder die der amerikanischen Fachgesellschaft ASRM (mindestens 2 Fehlgeburten) herangezogen wird. In der Praxis, berichtete Toth, halten sich deutsche Gynäkologen in der Regel an die WHO-Definition. Sie berücksichtigen aber auch, wie weit die Schwangerschaften schon fortgeschritten waren, das Alter der Mutter und ob sie schon einmal ein lebendes Kind geboren hat oder nicht.

Als etablierte Risikofaktoren für habituelle Aborte nannte Toth:

  • chromosomale Störungen,

  • anatomische Malformationen,

  • Infektionen,

  • psychologische Faktoren,

  • endokrinologische Dysfunktionen,

  • Störungen der Hämostase und

  • immunologische Risikofaktoren.

Toth empfahl mit der neuen Leitlinie, nach WSA beide Eltern vor einer Schwangerschaft auf Chromosomenanomalien zu untersmuchen: „Vorangegangene Studien sprechen von 4 bis 5% mit abweichendem Karyotyp“, sagte sie. Außer der präkonzeptionellen Untersuchung des Paares sei auch die Untersuchung des Abortmaterials sinnvoll: „Das kann den Eltern helfen, den Verlust zu verarbeiten“, gab Toth zu bedenken. Wenn sie zum Beispiel die Information bekommen, dass das Kind nicht gesund gewesen wäre.

Präimplantationsdiagnostik nicht hilfreich

Der Gedanke liegt zwar nahe, dass Eltern mit Chromosomenanomalien die Präimplantationsdiagnostik in Form eines Pre-Implantation Genetic Screening (PGS) des Embryos wählen sollten. Dadurch wird die Frau wenn, dann nur mit chromosomal gesunden Kindern schwanger. Doch offenbar erhöhen sich die Geburtenraten dadurch nicht. Toth verwies auf die aktuelle Studienlage zu PGS: Ein systematischer Review aus 2011 sah zwar eine signifikante Reduktion der Fehlgeburtenrate nach PGS, aber keinen signifikanten Unterschied zwischen den Lebendgeburten im Vergleich von Paaren nach PGS und künstlicher Befruchtung versus Paare nach natürlicher Empfängnis.

Eine retrospektive Studie mit 300 Paaren, die mehrere Fehlgeburten hinter sich hatten, sah ebenfalls keine signifikanten Vorteile für diejenigen Frauen, die sich PGS und IVF unterzogen im Vergleich zu Frauen, die auf natürlichem Wege schwanger wurden. „Bei Paaren mit WSA ohne Nachweis einer familiären Chromosomenstörung oder monogenen Krankheit soll eine Präimplantationsdiagnostik zum Zwecke der Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden“, lautet dementsprechend die Empfehlung der Leitlinien-Autoren.

Nach anderen möglichen Ursachen suchen

Stattdessen könne es sinnvoll sein, den Uterus genauer zu untersuchen, legte Toth nahe. Weil Uterusfehlbildungen das Risiko für Aborte erhöhen, empfiehlt die neue Leitlinie, dass eine qualifizierte Vaginalsonographie und eine Hysteroskopie durchgeführt werden sollen. Je nach Befund bietet sich dann eine Therapie an, die die Chancen auf eine komplikationslose Schwangerschaft erhöht, z.B. eine Septumdissektion oder hysteroskopische Adhäsiolyse.

Dass Schilddrüsenfehlfunktionen Schwangerschaften gefährden, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Die neue Leitlinie empfiehlt, dass nach wiederholten spontanen Aborten der TSH-Wert der Frau bestimmt werden soll und bei auffälligem Ergebnis zusätzlich fT3, fT4 und die Schilddrüsenautoantikörper. Der TSH-Wert sei gegebenenfalls im gesunden Bereich einzustellen, betonte Toth. „Die Empfehlung liegt ganz klar bei unter 2,5 mU/l, aber nicht extrem niedrig“, ergänzte sie.

 
Bei Paaren mit WSA ohne Nachweis einer familiären Chromosomenstörung oder monogenen Krankheit soll eine Präimplantationsdiagnostik zur Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden. S2k-Leitlinie
 

Adipöse Frauen werden schwieriger schwanger und neigen eher zu Fehl-, Früh- und Totgeburten, zeigen internationale Studien. Darum enthält die neue Leitlinie auch die Empfehlungen, stark übergewichtige Patientinnen nach habituellen Aborten auf ein metabolisches Syndrom zu untersuchen, dieses gegebenenfalls zu behandeln und die Patientinnen zudem zur Gewichtsreduktion zu motivieren.

Toth erwähnte allerdings auch eine Patientin mit Untergewicht und wiederholten Spontanaborten. Sie litt zudem unter leichten Auffälligkeiten im Gerinnungssystem. Ein Baustein der Therapie war die Gewichtszunahme. Ihre nächste Schwangerschaft fand ein glückliches Ende.

Die Expertin erinnerte zudem daran, dass das Anti-Phospholipid-Syndrom gar nicht so selten vorkommt. Schätzungen zufolge sind 5% der Gesamtbevölkerung betroffen und 16% der Frauen mit Fehlgeburten. Für die Diagnose APS ist eine Vorgeschichte von Thrombosen und/oder Aborten beziehungsweise Frühgeburten erforderlich. Außerdem muss 2-mal im Abstand von 12 Wochen nach Anti-Cardiolipin-Antikörpern, Anti-ß2-Glykoprotein-1-Antikörpern und Lupus-Koagulans gefahndet werden. Auch ein seronegatives APS ist bei entsprechender Vorgeschichte möglich, so Toth.

Alle Patientinnen mit APS, so Toth, könnten von einer Therapie mit ASS und Heparin die Schwangerschaft hindurch, bei Heparin bis 6 Wochen post partum profitieren. Allgemein sei bei Autoimmunerkrankungen insgesamt daran zu denken, die Patientinnen interdisziplinär zu betreuen – und das schon vor der Empfängnis.

Manchmal ist weniger mehr

Die Leitlinien-Autoren sprechen sich gegen ein allgemeines Screening zur Thrombophiliediagnostik bei allen Patientinnen mit WSA aus. Hingegen sollten Heparine bei erhöhtem Risiko für eine Thrombose gegeben werden, „aber nur dann“, betonte Toth.

Manchmal ist weniger mehr, vermittelte Toth als Quintessenz der neuen Leitlinie. Viele Tests und Therapien von Frauen mit WSA seien zum jetzigen Zeitpunkt allenfalls im Rahmen von Studien zu empfehlen. Die Leitlinie erinnert jedoch daran, immer auch an die Psyche der Frauen zu denken, die schon mehrfach um ein ungeborenes Kind zu trauern hatten. „Bei Vorliegen von psychischen Vorerkrankungen, ungewollter Kinderlosigkeit, fehlenden oder eingeschränkten sozialen Ressourcen sowie mit Schuldgefühlen assoziierter Verarbeitung der WSA soll auf psychosoziale Hilfs- und Unterstützungsangebote (…) hingewiesen werden“, heißt es dort. Dazu zählen auch Selbsthilfegruppen, vor Ort wie im Internet.

Als weitere wichtige Ziele für die Zukunft nannte Toth zum einen eine S3-Leitlinie zu habituellen Aborten, die auf den Weg gebracht werden soll. Zum anderen müssten noch mehr Frauen mit WSA einen Benefit von Kinderwunschbehandlungen haben. Und der erste Schritt hierzu ist die richtige Diagnose.

 

REFERENZEN:

1. Fortbildungskongress der Frauenärztlichen BundesAkademie FOKO 2018, 1. bis 3. März 2018, Düsseldorf

 

Kommentar

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