Weltweit leiden viele Millionen Menschen an pathologischen Veränderung der Makula. Hauptursachen sind zunehmendes Alter und/oder Diabetes. Diese Erkrankungen zeigen einen langfristigen Verlauf, der in frühen Stadien wirksam durch die Gabe von anti-vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren (anti-VEGF) aufgehalten werden kann. Eine frühe Diagnose ist deshalb wünschenswert. Ein Schritt in Richtung Automatisierung der Diagnosen ist in einer aktuellen Veröffentlichung in Cell beschrieben [1].
Optische Kohärenztomographie benötigt hohe Expertise
Die am weitesten fortgeschrittene Art der Diagnosestellung ist die optische Kohärenztomographie (OCT). Dies ist eine Spektral-Domänen(SD)-Bildgebung, die pathologische Veränderungen in einzelnen Zellschichten und deren dynamische Entwicklungen über die Zeit zeigen kann.
Jährlich werden mittlerweile etwa 30 Millionen SD-OCT-Scans durchgeführt, deren Auswertung eine hohe Expertise benötigt. Die Methode ist deshalb Gegenstand verschiedener Entwicklungen zur automatisierten Diagnosestellung.
Die aktuelle Cell-Studie präsentiert eine automatisierte Klassifikation von choroidaler Neovaskularisation bei altersabhängiger Makuladegeneration (AMD), von Drusen bei AMD sowie von diabetischen Makulaödemen gegenüber gesunden Augen unter Verwendung von Convolutional Neural Networks (CNN). Diese Methode basiert auf einer Transferleistung des Programms von bereits integrierten („gelernten“) auf neu gewonnene Daten.

Dr. Maximilian Pfau
„Die Verwendung eines solchen Programmes zur Diagnose, Vorhersage der Progression und Funktion in Netzhauterkrankungen ist zwar bereits beschrieben. Der Umfang des Datensatzes ist jedoch ein Novum“, bemerkt Dr. Maximilian Pfau, Universitäts-Augenklinik Bonn.
Computer diagnostiziert ähnlich genau wie menschliche Experten
Die chinesisch/US-amerikanischen Forscher um Erstautor Daniel S. Kermany und Prof. Dr. Kang Zhang, Leiter des Instituts für ophthalmologische Genetik an der University of California in San Diego, USA, wendeten ihr bildbasiertes selbstlernendes Programm bei SD-OCT-Scans an und verglichen die Ergebnisse mit Diagnosen und Bewertungen von Augenärzten.
Zunächst trainierten die Autoren das künstliche Intelligenz-System mit 108.312 SD-OCT-Bildern von 4.686 Patienten. Von jedem Patienten lagen mehrere Bilder pro Auge vor. Darunter waren 37.206 mit choroidaler Neovaskularisation, 11.349 mit diabetischem Makulaödem, 8.617 mit Drusen und 51.140 von gesunden Augen. Danach testeten sie das Modell mit jeweils 250 Bildern aus jeder dieser 4 Kategorien.
In einem direkten Vergleich aller 4 Zuordnungen ergab sich eine korrekte Zuordnung mit einer Sensitivität von 97,8 % und einer Spezifität von 97,4%. Die Fähigkeit des Systems, zwischen einer choroidalen Neovaskularisation bzw. einem diabetischem Makulaödem als interventionserfordernde Fälle gegenüber Drusen bzw. gesunder Retina zu unterscheiden, lag bei 99,9%.
Der gewichtete Fehler des Systems lag bei 6,6%, während er bei der Begutachtung von 1.000 dieser Bilder durch 6 augenärztliche Experten zwischen 0,4 % und 10,5% betrug. In anschließenden angiografischen Okklusionstests von 491 Augenhintergründen zeigte sich eine durchschnittliche Übereinstimmung von 94,7% mit den vom System lokalisierten Veränderungen. Drusen hatte der „künstliche Augenarzt“ zu 100%, choroidale Neovaskularisationen zu 94,0% und diabetische Makulaödeme zu 91,0% korrekt diagnostiziert und lokalisiert. Auch die „menschlichen“ Augenärzte bestätigten diese Ergebnisse.
Systems für die Bewertung verschiedenster medizinischer Bilddokumente geeignet
„Methodisch greift die Arbeit leider nur auf einzelne B-Scans zurück und versäumt die Verwendung der volumetrischen Daten, die die SD-OCT Bildgebung bietet“, beklagt Pfau. „Weiterhin suggeriert die Beschreibung, dass in den Validierungsdaten SD-OCT Aufnahmen mit höherer Qualität verwendet wurden als in den Trainingsdaten. Die Angaben bezüglich der Genauigkeit des Algorithmus müssen also kritisch hinterfragt werden.“
In ihrer Diskussion weisen die Autoren auf das Ziel ihrer Untersuchung hin, eine Methode zu entwickeln und zu validieren, die die Lernfähigkeit einer künstlichen Intelligenz bei der medizinischen Bildbewertung steigern kann. Mit dem CNN-basierten, mittels Transfer „lernenden“ Algorithmus konnten sie laut ihrer Aussage die diagnostische Qualität menschlicher Experten erreichen, ohne dazu auf eine Datenbasis von Millionen von Eingaben angewiesen zu sein.
Zur Darstellung der prinzipiellen Eignung des Systems für die Bewertung verschiedenster medizinischer Bilddokumente testeten sie diese Methode zusätzlich erfolgreich bei der Diagnose von pädiatrischer Pneumologie anhand von Röntgenbildern.
Eine besondere Bestätigung der Praktikabilität des Systems sehen die Autoren auch in der kurzen „Lern“-Dauer von nur wenigen Stunden. Dieser Vorteil mache es möglich, den Algorithmus auch durch Screening und automatisierte Auswertung entscheidend verbessert werden, da notwendige Interventionen mit anti-VEGF zeitnäher, umfassender und spezifischer erfolgen könnten auf die Bildgebung verschiedener Hersteller zu adaptieren. So könne etwa die Versorgungslage von Patientenpopulationen.
„Gemäß der aktuellen Studienlage verbessert sich die ophtalmologische Versorgungssituation durch ein solches "community screening" allerdings leider nicht“, hält Pfau entgegen, „da therapiebedürftige Seh-Beeinträchtigungen tendenziell von Patienten früh bemerkt werden. Perspektivisch sind dennoch innerhalb der Augenheilkunde Deep-Learning-basierte Assistenzsysteme zur Diagnostik, Phänotypisierung und Therapiesteuerung mittelfristig denkbar.“
REFERENZEN:
1. Kermany DS, et al: Cell 2018;172:1-10
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Diesen Artikel so zitieren: Computer schlägt Augenarzt: Neue Algorithmen verbessern die KI-gestützte Diagnose von Netzhautdegenerationen - Medscape - 9. Mär 2018.
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