Berlin – Ist es möglicherweise sinnvoll, Checkpoint-Inhibitoren als Standard in der ersten Therapielinie zu etablieren und dafür die molekular zielgerichteten Therapien in spätere Linien zu schieben [1]? Was spricht dafür und was dagegen? Diese Fragen diskutierten Experten am Beispiel des metastasierten Nierenzellkarzinoms beim Deutschen Krebskongress. Gewählt wurde hierfür das Format der Oxford-Debatte.
Die Oxford-Debatte
Das Format der Oxford-Debatte wurde beim Krebskongress 2018 neu eingeführt. Es sieht vor, dass für die Pro- und die Kontra-Partei je 2 Redner auftreten, die abwechselnd in relativ kurzen Statements die jeweilige Position vertreten. Anschließend darf das Publikum mitdiskutieren. Vor und nach der Debatte wird abgestimmt. Gewonnen hat die Seite, die Stimmen von der anderen für sich gewinnen konnte. In diesem Fall verschoben sich die Kräfteverhältnisse nur minimal zugunsten der zielgerichteten Therapie: Anfangs stimmten 30% für die Checkpoint-Inhibition, am Ende waren es nur noch 22%.
„Beim metastasierten Nierenzellkarzinom haben wir durch die zielgerichteten Therapien in den letzten Jahren unglaubliche Fortschritte erreicht – in vielen Situationen gelingt es, das Leben der Patienten deutlich zu verlängern“, erinnerte PD Dr. Peter J. Goebell von der Urologie an der Universität Erlangen. Durch den Aufschwung der immunonkologischen Therapien scheint für einen Teil der bisher als inkurabel geltenden Patienten sogar eine Heilung möglich. Das schaffen Tyrosinkinase- und mTOR-Inhibitoren nicht. Erweist sich das Bessere als Feind des Guten?
Wohlgemerkt, es geht nicht um die Frage, ob zielgerichtete Therapien auf den Müllhaufen der Geschichte gehören, sondern darum, mit welcher medikamentösen Strategie man anfangen sollte bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium. Im Verlauf der Therapie werden früher oder später alle diskutierten Optionen zum Zuge kommen.
Leitlinie stratifiziert die Therapie nach Risikoprofil
Die aktuelle Leitlinie der European Association of Urology hat für die Entscheidung in der Firstline das Konzept der Risikoprofile wiederbelebt, das mit den zielgerichteten Therapien eigentlich schon vom Tisch war, weil die Patienten unabhängig davon profitierten.
Mit starker Empfehlungsstärke werden für die erste Linie bei „gutem“ Risiko die Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) Sunitinib und Pazopanib genannt (alternativ die PD-1-Inhibitoren Ipilimumab und Nivolumab; PD „programmed death“).
Bei intermediärem bis hohem Risiko ist die Rangfolge genau andersherum, da steht Anti-PD-1 vor den Tyrosinkinase-Inhibitoren und dem MET-Inhibitor Cabozantinib (MET „mesenchymal-epithelial transition factor“). In der zweiten und dritten Linie übrigens haben alle Optionen eine starke Empfehlung, was dem Arzt viel Freiheit lässt, aber auch reichlich Kopfschmerzen bescheren kann. „Für mich setzen Leitlinien den Rahmen, in dem wir uns bewegen können“, meinte Goebell dazu.
PD-1-Inibition konnte in 3 Phase-3-Studien punkten
„Selbstverständlich wird die Checkpoint-Inhibition die zielgerichtete Therapie in der Erstlinie ersetzen“, betonte Prof. Dr. Jens Bedge, Stellvertretender Ärztlicher Direktor der Urologie an der Universität Tübingen. Schließlich erfülle die PD-1-Hemmung alle Kernforderungen, die man an eine onkologische Therapie stellen könne: beste Überlebensverlängerung mit Option auf Heilung, beste Induktion einer anhaltenden Remission, beste Lebensqualität unter Therapie und ein Biomarker, der das Ansprechen vorhersagt.
Um seine These zu untermauern, zitierte Bedge 3 Phase-3-Studien zum Einsatz von PD-1-Inhibitoren beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom:
CheckMate 025 mit Nivolumab versus Everolimus,
CheckMate 214 mit Nivolumab plus Ipilimumab versus Sunitinib
und die frisch beim ASCO-GU 2018 präsentierte IMmotion 151mit Atezolizumab plus Bevacizumab versus Sunitinib.
„Alle 3 Studien sind signifikant positiv für die Immunonkologie – und das im Gesamtüberleben“, betonte der Urologe.
In CheckMate 025 erhöhte der PD-1-Antikörper Nivolumab das mediane Überleben von 19,7 auf 26 Monate (p=0,0006) – zugegeben, in der Secondline-Therapie. Dafür zeigt die Studie aber auch, dass Patienten, die auf den PD-1-Antikörper ansprechen, eine lang anhaltende Response bekommen und dass sie eine signifikant bessere Lebensqualität haben als unter dem mTOR-Inhibitor Everolimus.
In CheckMate 214 schlug die Checkpoint-Inhibitoren-Kombination aus Nivolumab plus Ibilimumab den Tyrosinkinase-Inhibitor Sunitinib in allen 3 Endpunkten, diesmal in der Firstline: beim medianen Überleben – nach 2,5 Jahren noch nicht erreicht versus 26 Monate (p<0,0001), beim progressionsfreien Überleben – 11,6 versus 8,4 Monate (p=0,033) – und beim Gesamtansprechen – 42% (davon 9% Komplettremissionen) versus 27% (davon 1% Komplettremissionen) (p<0,0001).
„Wir gehen davon aus, dass Patienten, die unter Checkpoint-Inhibitoren eine komplette Remission erreichen, auch eine lang anhaltende Krankheitsfreiheit haben und vielleicht sogar Heilung erreichen könnten“, so Bedge. Das Follow-up dauert allerdings noch zu kurz, um dies abschließend beurteilen zu können. CheckMate 214 ergab außerdem, dass Patienten mit positivem PD-L1-Nachweis (>1% der Tumorzellen) besonders gut ansprachen. Die Lebensqualität fiel unter Checkpoint-Hemmung wieder deutlich besser aus.
Auch IMmotion 151 bestätigte das gute Abschneiden der PD-1-basierten Therapie (PD-L1-Antikörper Atezolizumab plus Bevacizumab) im Vergleich zu Sunitinib: progressionsfreies Überleben 11,2 versus 7,7 Monate (p=0,02); die Daten zum medianen Überleben sind noch unreif und deshalb nicht zu bewerten, zeigen im Trend aber auch pro Immuntherapie. Als wichtiger sekundärer Endpunkt wurde hier bestimmt, wie lange es dauerte, bis die Symptome Patienten bei Alltagsaktivitäten stören (11,3 versus 4,3 Monate zugunsten der Checkpoint-Inhibition).
Benefit auf ganzer Linie, alle Anforderungen erfüllt: Für Bedge ist damit klar, dass es Zeit wird, die Checkpoint-Inhibitoren in die erste Linie zu stellen.
Sind die Studienergebnisse nicht so valide, wie sie scheinen?
Immer langsam, meinte sein Kontrahent Prof. Dr. Michael Staehler, Urologische Klinik der Universität München. Zum einen sind die Statistiken der Studien seiner Ansicht nach mit Vorsicht zu genießen, um sie nicht zu überinterpretieren. „Wir können nicht sicher sagen, wie viele Patienten tatsächlich über einen längeren Zeitraum profitieren“, so der Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Nierentumore.
Betrachtet man in CheckMate 214 die Patienten, die eigentlich als ideale Kandidaten für eine immunmodulierende Therapie gelten können, nämlich die mit limitierter Erkrankung, kehrt sich das Bild plötzlich um: Gesamtansprechen und progressionsfreies Überleben fallen unter Nivolumab plus Ipilimumab sogar schlechter aus als unter Sunitinib.
Möglicherweise sind die Diskrepanzen zwischen den Therapiearmen gar nicht durch die Therapie an sich bedingt, „sondern durch das Therapiemanagement – sprich: die Toxizität der Behandlung und unsere Maßnahmen dagegen – getragen“, meinte Staehler.
Auch die gute Verträglichkeit der Checkpoint-Hemmer hält seinem kritischen Blick nur bedingt stand: Abbrüche wegen Toxizität kamen unter Nivolumab plus Ipilimumab doppelt so häufig vor wie unter Sunitinib (24 versus 12 Patienten), und der Unterschied bei den Lebensqualitätsdaten sei zwar optisch eindrucksvoll, aber nicht groß genug, um klinische Relevanz zu erreichen.
Der eigentlich kritische Punkt ist für Staehler aber, dass es unter Immuntherapie zur Hyperprogression kommen kann, also einem explosionsartigen Tumorwachstum. Nach einer Untersuchung der Therapieresultate von 218 Patienten kommt dies häufiger vor als eine Komplettremission (9 versus 1%).
Goebell glaubt, dass es letztlich auf Kombinationen von Checkpoint-Blockade und zielgerichteter Therapie hinauslaufen wird. Das könnte sich als erfolgreiches Konzept erweisen, dürfte aber einige Herausforderungen in Sachen Nebenwirkungsmanagement bieten.
REFERENZEN:
1. 33. Deutscher Krebskongress (DKK), 21. bis 24. Februar 2018, Berlin
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Debatte ums Nierenzellkarzinom: Wer darf in die 1. Reihe – Checkpoint-Blocker oder zielgerichtete Therapie? - Medscape - 6. Mär 2018.
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