ASS versus Rivaroxaban bei Total-Endoprothesen: Ist eine postoperative VTE-Prophylaxe nach Tag 5 überhaupt erforderlich?

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

5. März 2018

Im direkten Vergleich eignen sich Acetylsalicylsäure (ASS) und Rivaroxaban ähnlich gut zur Primärprophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) nach orthopädischen Eingriffen. Das berichten Dr. David R. Anderson vom Department of Medicine der Dalhousie Universität in Halifax, Kanada, und seine Kollegen als Ergebnis einer randomisierten kontrollierten Studie [1]. Seine Patienten erhielten Knie- oder Hüftgelenk-Totalendoprothesen (TEP).

„Die Arbeit wurde sauber mit einer großen Patientenzahl durchgeführt und ist meiner Meinung nach aussagekräftig“, kommentiert Prof. Dr. Werner Siebert auf Anfrage von Medscape. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sowie Ärztlicher Direktor der Vitos Orthopädischen Klinik Kassel. „Die Datenlage ist gut; ASS braucht man als Kontrolle wahrscheinlich nicht einmal.“ Der Wirkstoff sei wohl eher aus Sicherheitsgründen verwendet worden.

Zum Hintergrund: Rivaroxaban gehört zu den neuen direkten oralen Antikoagulanzien (NOAK) und wirkt als Faktor-Xa-Inhibitor, während ASS nur die Thrombozytenaggregation hemmt.

In Dänemark meist nur 5 Tage Gerinnungshemmer

Auf die Frage, inwieweit prophylaktische Arzneistoffe erforderlich seien, antwortet Siebert: „Seit 2013 erhalten Patienten in Dänemark nach Hüft- oder Knie-TEP bei Rapid Recovery nur 5 bis 7 Tage Präparate zur VTE-Prophylaxe, und danach gar nichts mehr.“ Zum Einsatz kämen Rivaroxaban oder ein niedermolekulares Heparin. „Ärzte in dänischen Zentren setzen bei früher Mobilisierung ihrer Patienten Gerinnungshemmer nach dem 5. Tag rigoros ab.“

 
Die Arbeit wurde sauber mit einer großen Patientenzahl durchgeführt und ist meiner Meinung nach aussagekräftig. Prof. Dr. Werner Siebert
 

Siebert weiter: „In Deutschland dürfen Ärzte das aufgrund der Leitlinien nicht.“ Selbst bei Rapid Recovery sei eine prophylaktische Gabe für 2 bis 6 Wochen erforderlich. Der Experte verweist auf einen „großen Kostenfaktor“ durch diese Arzneistoffe. Er rechnet damit, dass es früher oder später auch bei uns zum Umdenken komme. „Wenn man entsprechende Präparate in den Rehakliniken nicht mehr geben muss, kommen sie auf Einsparungen in der Größenordnung von 500.000 Euro pro Haus.“ Insofern sei Andersons Artikel ein wichtiger Beitrag zur Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Prophylaxe.

ASS und Rivaroxaban zeigen vergleichbare Eigenschaften

Anderson hat zusammen mit seinen Kollegen eine multizentrische, doppelt verblindete, randomisierte, kontrollierte Studie namens EPCAT II initiiert. Das Akronym steht für Extended Venous Thromboembolism Prophylaxis Comparing Rivaroxaban to Aspirin Following Total Hip and Knee Arthroplasty II. Aufgenommen wurden 3.424 Patienten. Darunter waren 1.804 mit Totalendoprothese (TEP) des Hüftgelenks und 1.620 mit Knie-TEP.

Alle Teilnehmer erhielten postoperativ bis zum 5. Tag 10 mg Rivaroxaban einmal täglich. Danach randomisierte das Team auf 10 mg Rivaroxaban versus 81 mg ASS pro Tag. Die Behandlungsdauer lag bei 9 Tagen (Knie) bzw. 30 Tagen (Hüfte). Als primären Endpunkt definierten Anderson und seine Kollegen VTE innerhalb von 90 Tagen nach dem Eingriff. Der sekundäre Endpunkt betraf Blutungen aller Art im gleichen Zeitraum.

Unter ASS traten bei 11 von 1.707 Patienten (0,64%) venöse Thromboembolien auf, verglichen mit 12 von 1.717 (0,70%) in der Rivaroxaban-Gruppe. Zu schweren Blutungen kam es bei 8 (0,47%) versus 5 (0,29%) der Patienten. Klinisch relevante Blutungen traten bei 22 (1,29%) versus 17 (0,99%) der Studienteilnehmer auf. In allen Fällen fanden Anderson und seine Kollegen keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen.

Editorial-Autor sieht „Änderung der klinischen Praxis“

„ASS wird schon lange eingesetzt, um das Risiko einer arteriellen Thrombose zu verringern, etwa nach Herzinfarkten oder ischämischen Schlaganfällen“, schreibt Dr. David Garcia in einem begleitenden Editorial [2]. Er forscht am Department of Medicine der Universität von Washington, Seattle, USA.

Welche Rolle ASS bei VTE spiele, sei vor Andersons Arbeit nicht ganz klar gewesen. Der Kommentator erwähnt in diesem Zusammenhang mehrere Studien. Speziell bei der Sekundärprävention von VTE sei ASS wirksamer als Placebo, jedoch weniger effektiv als Faktor-Xa-Inhibitoren. Bei der Primärprävention verweist er auf Daten, die zeigen, dass ASS effektiver als Placebo ist. Direkte Vergleiche mit Faktor-Xa-Inhibitoren gab es bislang nicht. „Anderson zeigt, dass ASS genauso sicher wie Rivaroxaban ist, aber nicht sicherer“, so Garcia.

 
Anderson zeigt, dass ASS genauso sicher wie Rivaroxaban ist, aber nicht sicherer. Dr. David Garcia
 

Garcia weiter: „Die sehr niedrigen Raten von Blutungen und Thrombosen, die wir unter der relativ preisgünstigen und benutzerfreundlichen ASS-basierten Strategie sehen, bedeuten wahrscheinlich, dass die EPCAT II-Studie ein Prophylaxe-Schema nach dem Gelenkersatz etabliert hat.“ Er kommentiert, die neue Studie habe Potenzial, die klinische Praxis zu ändern. Als entscheidende Argumente nennt er den präzisen Vergleich beider Wirkstoffe hinsichtlich ihrer Effektivität und Sicherheit, aber auch die typische Patientenpopulation aus der Praxis.

Blutungsrisiken nicht übersehen

Wissensdefizite sieht Garcia bei Patienten mit schwerwiegenden Vorerkrankungen, etwa Krebs oder VTE in der Vorgeschichte. Nur 15% aller an der Studie beteiligten Zentren boten Patienten zusätzlich eine postoperative mechanische Thromboseprophylaxe an mit pneumatischer Kompression oder mit Strümpfen. Deshalb vermutet der Editorialist, selbst bei schwerwiegenden Vorerkrankungen seien in Kombination mit der Kompression gute Resultate zu erwarten.

Garcia ergänzt: „Dass es bei Patienten, die später weiterhin ASS eingenommen haben, verstärkt zu Blutungen gekommen ist, sollte uns warnen, nicht mehr als 100 mg pro Tag einzusetzen.“

 

REFERENZEN:

1. Anderson DR, et al: NEJM (online) 22. Februar 2018

2. Garcia D: NEJM (online) 22. Februar 2018

 

Kommentar

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