Das Wirkprinzip der CAR-T-Zelltherapien (Chimeric Antigen Receptor) bewerten Experten der American Society of Clinical Oncology (ASCO) als „Fortschritt des Jahres“. Die US Food and Drug Administration (FDA) hatte CAR-T-Zelltherapien bei Kindern und Erwachsenen mit verschiedenen Leukämien zugelassen. Vom neuen Wirkprinzip profitieren vor allem Patienten mit therapierefraktären oder rezidivierenden Formen.
„Auf der einen Seite ist es eine tolle Sache, nach jahrzehntelanger Forschung eine wirksame Immuntherapie zu haben“, sagt Prof. Dr. Walter Fiedler zu Medscape. Er ist leitender Oberarzt am Zentrum für Onkologie, II. Medizinische Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Auch er spricht von einem „riesigen Durchbruch“ und von einer „großen Innovation“. Schließlich sei es in Studien gelungen, mehr als die Hälfte aller Patienten zu heilen. „Für langfristige Aussagen sind die Nachbeobachtungszeiten aber noch zu kurz“, ergänzt Fiedler.
Gleichzeitig erwähnt er die Schattenseiten des Therapieprinzips: „Nur eine vergleichsweise kleine Gruppe an Patienten profitiert.“ Hinzu kämen mehrere ernstzunehmende Nebenwirkungen. In erster Linie der Zytokinsturm mit Fieber, Blutdruckabfall, Atemnot und schlechtem Allgemeinzustand. Fast die Hälfte aller Patienten müsse intensivmedizinisch versorgt werden. Potenziell gefährliche neurologische Symptome wie Hirnödeme treten ebenfalls auf. Und nicht zuletzt haben die Patienten ein hohes Infektionsrisiko. „Damit beschränkt sich die Therapie auf wenige, spezialisierte Zentren“, resümiert Fiedler.
Die vergleichsweise geringen Patientenzahlen in Studien sind für ihn nicht überraschend: „Man muss als Hintergrund sehen, dass die Patienten schon fast alle gängigen Therapien erhalten haben und mit dem Rücken zur Wand stehen. Wir können heute ja einen Großteil aller Leukämie-Patienten mit konventionellen Therapien heilen.“ Vor diesem Hintergrund seien auch die geringen Patientenzahlen in Studien zu bewerten.
Behandlung von ALL bei Kindern
Dazu ein kurzer Überblick: Wie Medscape berichtet hat, ist Forschern der Nachweis gelungen, dass bestimmte Patientengruppen von einer CAR-T-Zell-Therapie mit Tisagenlecleucel profitieren. Im Fokus stehen Kinder und junge Erwachsene bis zum Alter von 25 Jahren mit B-Zell-akuter lymphatischer Leukämie (ALL).
Laut ASCO komme es pro Jahr in den USA bei 600 Kindern und jungen Erwachsenen mit ALL zum Rezidiv. Bei dieser Population erreichen Onkologen auf klassischem Weg gerade einmal Remissionsraten von 20 bis 33%. In einer klinischen Studie führte Tisagenlecleucel bei 52 (82%) von 63 Patienten zur Remission zurück, und 75% der Patienten waren nach 6 Monaten noch rezidivfrei.
Tisagenlecleucel hat das Protein CD19 zum Ziel. Es kommt sowohl in malignen als auch in normalen B-Zellen vor. Fast 50% erlitten deshalb ein Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS). Bei dieser schweren bis lebensbedrohlichen Komplikation lösen CAR-T-Zellen einen Sturm von Entzündungsmediatoren aus. Es kommt zu länger anhaltendem Fieber, zu niedrigen Blutdruck, Atembeschwerden und Organversagen. Bei schwerem CRS ist eine intensivmedizinische Behandlung mit Beatmung erforderlich.
Mit Tocilizumab steht Ärzten ein Medikament für die gezielte Intervention bei CRS zur Verfügung. Der humanisierte, monoklonale Antikörper richtet sich gegen den Interleukin-6 (IL-6)-Rezeptor und bremst Immunreaktionen.
Darüber hinaus traten bei 15% der Patienten in der Studie neurologische Komplikationen auf. In früheren klinischen Studien mit CAR-T-Zelltherapien berichteten Ärzte über diverse Symptome: etwa Schwierigkeiten beim Sprechen, Aufmerksamkeitsdefizite, Delir, Halluzinationen, Anfälle und Koma. Die Beschwerden verschwanden meistens innerhalb weniger Tage von selbst.
CAR-T-Zelltherapien bei Erwachsenen mit DLBCL
Auch zur Therapie des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) liegen mittlerweile Daten vor. In einer multizentrischen klinischen Studie mit vorbehandelten Patienten reagierten 59% aller 51 Teilnehmer auf Tisagenlecleucel. Die Erkrankung ging bei 43% in Remission. Nach 6 Monaten befanden sich noch 79% dieser Patienten in Remission. Schwere CRS traten bei 25% der Patienten auf, neurologische Komplikationen bei 13%.
In einer weiteren klinischen Studie erhielten Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem DLBCL, refraktärem primär mediastinalem B-Zell-Lymphom oder transformiertem follikulärem Lymphom ein CAR-T-Zell-Produkt namens Axicabtagene ciloleucel. Es richtet sich ebenfalls gegen CD19. Onkologen behandelten insgesamt 92 Patienten. Hier betrug die Ansprechrate 82%, wobei 54% eine vollständige Remission erzielten. Nach der medianen Nachbeobachtungszeit von 8,7 Monaten befanden sich noch 39% in kompletter Remission. Schwere Zytokinstürme traten bei 13% auf, und 28% berichteten von unerwünschten neurologischen Effekten.
Ende 2017 genehmigte die FDA die Zulassung von Axicabtagene Ciloleucel zur Behandlung von Erwachsenen mit DLBCL, die nach mindestens 2 Vortherapien nicht angesprochen hatten oder wieder auftraten.
Technische Fortschritte
Neue Verfahren tragen auch zum Erfolg der Behandlungsmethode bei. Bislang mussten Ärzte CAR-T-Zellen aus Patientenproben vor Ort in spezialisierten Labors vorbereiten – ohne Möglichkeit, diese weltweit zu versenden. Mittlerweile stellen Ärzte das Präparat in einer industriellen Produktionsanlage her. Ihre eigens aufgebaute Lieferkette umfasst 25 Zentren in den USA, Kanada, Europa, Australien und Japan. Ziel der Onkologen sei, das Zellprodukt an Patienten auf der ganzen Welt zu liefern, schreibt die ASCO.
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Diesen Artikel so zitieren: ASCO kürt CAR-T-Zelltherapie als „Fortschritt des Jahres“ – doch die Erfolge lassen die Schattenseiten nicht vergessen - Medscape - 1. Mär 2018.
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