2 bis 3 Becher selbst gemachter Joghurt täglich gegen das Reizdarmsyndrom?

Damian McNamara

Interessenkonflikte

28. Februar 2018

Orlando – Der tägliche Konsum von selbstgemachtem Joghurt könnte zu einer Linderung der Symptome von Patienten mit Reizdarmsyndrom führen. Dies legt jedenfalls eine prospektive Studie nahe, die auf dem Weltkongress für Gastroenterologie vorgestellt worden ist [1].

„Wir waren überrascht von der Therapieantwort“, sagte Dr. Manju Girish Chandran vom Mary Breckindridge ARH Krankenhaus in Hyden, Kentucky, USA. „Wir hatten 189 Patienten in die Studie eingeschlossen und 169 von ihnen erreichten innerhalb von 6 Monaten eine Krankheitsremission.“ Einige dieser Patienten litten zuvor bereits seit 9 oder 10 Jahren unter den Symptomen des Reizdarmsyndroms, berichtete sie.

„Unsere Studie basiert auf der Tatsache, dass eine Darm-Hirn-Mikrobiom-Achse existiert“, erklärte Chandran gegenüber Medscape Medical News. Diese Theorie wurde bereits in einer 2014 publizierten Studie erläutert. „Wenn man die Darm-Mikrobiota moduliert, dann kann man tatsächlich in einigen Fällen eine Remission erreichen„, so Chandran.

Fast 90 Prozent Komplettremission

Mit Medikamenten ließen sich die Symptome des Reizdarmsyndroms oftmals nicht ausreichend behandeln, betonte die Forscherin. Viele Menschen würden deshalb „einfach mit den Beschwerden leben“. Darum wollten sie und ihre Kollegen untersuchen, ob ein selbstgemachter Joghurt mit Lactobacilli das Potenzial hat, die Darmmikrobiota positiv zu beeinflussen.

Das Team schloss 189 konsekutive Patienten in die Studie ein, die eines von 2 medizinischen Zentren in Ost-Kentucky aufgesucht hatten und bei denen ein Reizdarmsyndrom (irritable bowel disease, IBD) diagnostiziert worden war. Die Studienteilnehmer waren durchschnittlich 49 Jahre alt, 63% waren Frauen.

 
Unsere Studie basiert auf der Tatsache, dass eine Darm-Hirn-Mikrobiom-Achse existiert. Dr. Manju Girish Chandran
 

Sie wurden aufgefordert, täglich 2 bis 3 Becher Joghurt zu essen und ihre Symptome in einer Kartei festzuhalten. Ihre Aufzeichnungen wurden alle 2 Monate ausgewertet. Die gesamte Beobachtungsdauer war 6 Monate.

Das Ergebnis: 89% der Patienten konnten eine Komplettremission erzielen – definiert als Auflösung der zuvor bestehenden Reizdarmsymptomatik und außerdem täglich 1 bis 2 normale Stuhlgänge.

Joghurt preisgünstig und einfach selbst herzustellen

Der hier verwendete Joghurt ist preiswert und leicht herzustellen, wie die Studienautoren betonen. Sie lieferten das Rezept gleich mit: 1 Gallone (etwa 4,8 Liter) Milch 5 Minuten lang kochen lassen und dann abkühlen, bis sie nur noch lauwarm ist. Anschließend 1 Tasse Danone Naturjoghurt hinzugeben. Dieser dient als Starterkultur, als Quelle für die Lactobacilli. In der Diskussion weisen die Autoren darauf hin, dass andere probiotische Joghurtprodukte, welche Lactobacilli enthalten, oder auch Kefir genausogut geeignet sein könnten.

Die Masse wird über Nacht in den Ofen gestellt, in dem aber nur das Licht – nicht die Hitze – eingeschaltet ist, und am nächsten Morgen kommt sie in den Kühlschrank. Bevor die Charge ganz verbraucht ist, wird jeweils eine Tasse der Masse aufgehoben und als Starterkultur für die nächste Charge verwendet.

„Man kann einen Joghurtvorrat für 1 Woche herstellen, das ist recht preisgünstig“, betont Chandran. „Und man muss ihn ja nicht als Naturjoghurt belassen.“ Genauso gut könne man die Joghurtzubereitung mit Obst aufwerten oder als Smoothie genießen. „Dann fühlt es sich nicht an wie Medizin, sondern ist Teil der normalen Ernährung“, erklärte sie.

 
Bei diesem Studiendesign sind die Ergebnisse jedoch schwierig zu interpretieren, und das ist enttäuschend. Dr. William Heizer
 

Ergebnisse schwierig zu interpretieren

„Bei diesem Studiendesign sind die Ergebnisse schwierig zu interpretieren, und das ist enttäuschend“, konstatierte Dr. William Heizer, Gastroenterologe in einer Privatklinik in Chapel Hill, USA. „Zumindest hätte man die teilnehmenden Patienten auf eine Therapie- und eine Kontrollgruppe randomisieren sollen“, kritisierte Heizer im Gespräch mit Medscape Medical News. Und: „Die selbst erstellten Berichte der Patienten hätte man verblindet auswerten sollen.“ Dies sehen auch andere Experten so (siehe Kasten).

Chandran erklärte, dass die vorgestellte Studie eine Pilotstudie war. Der nächste Schritt werde sein, die Effektivität des hausgemachten Joghurts bei Patienten mit verschiedenen Reizdarm-Subtypen zu untersuchen – Obstipation oder Diarrhoe – und dann auch einige Patienten in eine Kontrollgruppe zu randomisieren.

Dies sei jedenfalls die erste Studie, die gezeigt habe, „dass Joghurt – sogar selbst gemachter – bei Reizdarmsyndrom nützlich sein kann“, sagte Dr. Ronnie Fass vom MetroHealth Medical Center in Cleveland, USA. „Bisher empfehlen wir Menschen mit Reizdarmsyndrom, mit Milchprodukten eher zurückhaltend zu sein“, sagte er Medscape Medical News. „Diese Studie ist aber ein Hinweis darauf, dass all das, was wir bislang gedacht haben, gar nicht so klar nachgewiesen ist.“

„Der hausgemachte Joghurt mit Lactobacillus war sehr effektiv hinsichtlich der Symptomkontrolle bei Bauchschmerz und Störungen der Darmperistaltik“, führte Fass weiter aus. „Diese Art von Studie könnte die Therapiestandards verändern.“ Allerdings sei zuvor noch mehr Forschung nötig, um die Ergebnisse zu bestätigen, räumte er ein.

Bei Reizdarm besser milchfreie Probiotika oder FODMAP-Diät?

Im Gespräch mit Medscape kritisiert auch PD Dr. Irina Blumenstein, Universitätsklinikum Frankfurt/Main, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), das Design der Studie: „Die Studie war weder randomisiert noch verblindet und für die Indikation Reizdarm von der Patientenzahl her auch recht klein“, gab die Expertin zu bedenken, und: „Es gab keinerlei Vergleichstherapie, weder Placebo noch einen aktiven Komparator.“

Wenn man unzureichend vorbehandelten Patienten im Rahmen einer Studie eine bestimmte Ernährung empfehle und ihnen in Aussicht stelle, dass dies ihre Beschwerden bessere, so werde immer ein gewisser Placeboeffekt eintreten. „Es wäre deshalb auch interessant zu wissen, mit welchen Instrumenten die Symptomatik erfasst und bewertet wurde oder was genau die Patienten in ihren Studien-Tagebüchern vermerkt haben“, so Blumenstein.

Statt einer aufwändigen Milchzubereitung, die in einem großen Topf im Kühlschrank gelagert werden muss, empfahl die Gastroenterologin den Einsatz von Probiotika in milchfreien Kapseln, Pulvern oder ähnlichem, deren Nutzen in randomisiert-kontrollierten Studien nachgewiesen worden sei. Hierfür gebe es etliche Beispiele. Allerdings waren auch diese Studien nicht immer verblindet.

Eine weitere Option, die sie Reizdarmpatienten empfehlen würde, ist die Ernährung nach der FODMAP-Diät. FODMAP steht für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole, also etwa vergärbare Mehrfach-, Zweifach- und Einfachzucker sowie mehrwertige Alkohole. Sie werden bei dieser Ernährungsform weitgehend vermieden. Auch hierfür gibt es Evidenz aus randomisiert-kontrollierten klinischen Studien und Metaanalysen.

Sowohl milchfreie Probiotika-Produkte als auch die FODMAP-Diät haben noch einen weiteren Vorteil: „Damit lässt sich die starke Kuhmilch-Exposition vermeiden, welche der Joghurt in der Studie aus Kentucky mit sich brachte“, konstatiert Blumenstein. Denn etliche Patienten mit Verdacht auf Reizdarmsyndrom erwiesen sich zu guter Letzt als Menschen mit Laktoseintoleranz. Ihnen würde man mit der Empfehlung, täglich 2 bis 3 Becher einer Kuhmilch-basierten Joghurtzubereitung zu konsumieren, einen Bärendienst erweisen.

Dieser Artikel wurde von Simone Reisdorf aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

REFERENZEN:

1. The World Congress of Gastroenterology at the ACG 13. bis 18. Oktober 2017, Orlando/USA; Abstract P1152

 

Kommentar

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