Die Anwendung fortschrittlicher Therapien bei Morbus Crohn hat Verlauf und Phänotyp der Darmerkrankung bisher nicht wesentlich ändern können – verglichen mit dem Krankheitsverlauf in historischen Kollektiven vor der Biologika-Ära. Das ist das ernüchternde Ergebnis einer aktuellen Studie [1].
„Trotz der frühzeitigeren und aggressiveren Behandlung mit Immunmodulatoren und Biologika unterscheiden sich die Häufigkeit chirurgischer Eingriffe sowie die Krankheitsprogression [der heutigen Patienten – Anm. der Red.] nicht von den Befunden in früheren Kohorten, etwa vor 20 Jahren“, schreiben Dr. Johan Burisch vom North Zealand Universitätskrankenhaus in Frederikssund, Dänemark, und seine Kollegen in einem Beitrag, der in Gut erschienen ist. Und weiter: „Obwohl wir Unterschiede bei der Auswahl der Therapeutika in West- vs. Osteuropa sehen, fanden wir bisher keine Unterschiede hinsichtlich Krankheitsverlauf und Prognose.“
Fragestellung: Was haben Immunmodulatoren und Biologika bei M. Crohn gebracht?
Der Hintergrund: Patienten mit M. Crohn werden heute schon früh behandelt und erhalten häufig Immunmodulatoren oder/und Biologika. Die Langzeiteffekte dieser Therapien waren aber bislang ungewiss. Deshalb analysierten Burisch und seine Kollegen die Daten der Epi-IBD-Kohorte, einer prospektiven bevölkerungsbasierten Inzeptionskohorte mit Diagnose einer (chronisch-) inflammatorischen Darmerkrankung (IBD) im Jahre 2010.
488 Patienten aus 29 Zentren in 22 europäischen Ländern und Israel wurden so früh wie möglich, also bei Erstdiagnose oder kurz danach, in die Studie aufgenommen und 5 Jahre lang beobachtet – oder bis zum Zeitpunkt ihres Wegzugs oder Todes. 404 dieser Patienten (83%) kamen aus westeuropäischen und 84 (17%) aus osteuropäischen Zentren.
Ergebnis: Kein Unterschied im Outcome der Patienten in Ost- vs. Westeuropa
Die Forscher fanden zunächst geografische Unterschiede hinsichtlich der Therapiegewohnheiten. So erhielten in westeuropäischen Ländern mehr Patienten Biologika-Therapien als in osteuropäischen (33% vs. 14%). Ähnlich sah es bei den Immunmodulatoren aus (66% vs. 54%); der Unterschied war jeweils signifikant.
Demgegenüber erhielten mehr ost- als westeuropäische Patienten 4-Aminosalicylate (90% vs. 56%). Auch dies war signifikant, konstatierten die Autoren.
Die Häufigkeit von Komplikationen unterschied sich jedoch nicht zwischen den west- und osteuropäischen Zentren. Insgesamt musste innerhalb der Beobachtungszeit bei 107 Patienten (22%) eine Darmresektion vorgenommen werden.176 Patienten (36%) wurden mindestens einmal aufgrund ihrer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung ins Krankenhaus eingeliefert.
Darüber hinaus verschlechterte sich die Erkrankung bei 49 Patienten (14%) von einem nicht-stenosierenden, nicht-penetrierenden Stadium hin zu einer Restriktion oder Darmwand-Penetration. Dies war jeweils in Ost- vs. Westeuropa ähnlich häufig der Fall.
Alltagsrelevantes Patientenkollektiv
Die Stärke der Epi-IBD-Kohorte liegt im prospektiven Patienteneinschluss und Follow-up neu erkrankter Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung in definierten geografischen Regionen, betonen Burisch und Kollegen. „Die Patienten waren unselektiert und repräsentieren das gesamte Spektrum der Krankheitsschwere“, schreiben sie.
Deshalb entspreche die Auswahl der Therapeutika in dieser Kohorte eher den allgemeinen Gepflogenheiten in der täglichen Praxis und nicht den Erfordernissen randomisiert-kontrollierter Studien – ein Pluspunkt aus Sicht der Autoren.
Symptomlinderung ist wichtig, Mukosaheilung aber auch!
Nach einem Kommentar zu den Studienergebnissen gefragt, bestätigte Dr. David P. Hudesman, Medical Director des Inflammatory Bowel Disease Center am NYU Langone Health, New York City, USA, dass sich der natürliche Krankheitsverlauf des M. Crohn auf den ersten Blick kaum verändert hat.
„Wenn wir jedoch tiefer in die Daten eintauchen, dann zeigen sie uns, dass ein frühzeitigerer Einsatz von Immunmodulatoren die Notwendigkeit von Operationen und von Hospitalisierung reduziert. Beides ist sehr wichtig“, sagte er gegenüber Medscape.
Die Studienautoren räumen ein, dass weitere Studien benötigt werden – einerseits für die Risikostratifizierung der einzelnen Patienten, andererseits um zu überprüfen, ob regelrechte Treat-to-Target-Strategien den Krankheitsverlauf nicht vielleicht doch signifikant beeinflussen könnten. Als „Target“ gilt hierbei die komplette Abheilung der Mukosa. Sie kann nur in einer Darmspiegelung nachgewiesen werden.
Die Studie legt nahe, dass eine Behandlung bis zur Symptomlinderung nicht ausreicht, sagte Hudesman. In diesem praxisrelevanten Setting sank der Anteil der Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Erkrankung über den Verlauf von 5 Jahren von 38% auf 12% ab. Allerdings wurde nach dem ersten Behandlungsjahr nur noch bei 41% der Patienten eine weitere Koloskopie vorgenommen, berichtete Hudesman.
Anstatt nur die Symptome zu behandeln, sollte man laut Hudesman noch mehr Daten zur Frage einer zielorientierten Therapie erheben, also einer Therapie bis zur Heilung der Mukosa.
Biologika oft erst in späteren Therapielinien eingesetzt
Die Wissenschaftler konstatierten, dass Patienten, die Immunmodulatoren erhielten, ein geringeres Risiko für chirurgische Eingriffe hatten; die Hazard Ratio lag bei 0,4. Diese Patienten kamen auch seltener ins Krankenhaus. Hier betrug die HR bei 0,3.
Hudesman merkte hierzu an, dass sich die Studienteilnehmer, die Biologika oder aber Immunmodulatoren erhielten, hinsichtlich ihrer Charakteristika voneinander unterschieden. So hatten etwa 72% der Patienten, die mit Biologika behandelt wurden, zuvor schon Immunmodulatoren erhalten. Das legt nahe, dass die Biologika-Patienten die schwieriger zu behandelnden Patienten sind. Man könne daher fairerweise nicht folgern, dass die Immummodulatoren-Therapie besser abschneidet als die Biologika-Therapie, stellte er klar.
Dieser Artikel wurde von Simone Reisdorf aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert
REFERENZEN:
1. Burisch J, et al: Gut (online) 23. Januar 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Morbus Crohn: Trotz Biologika und Immunmodulation hat sich der Krankheitsverlauf in den letzten Jahren kaum gebessert - Medscape - 27. Feb 2018.
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