Ist die bariatrische Chirurgie die Diabetestherapie der Zukunft? Geht es nach der sich mehrenden Evidenz aus der klinischen Forschung, scheint es, als ob der Hausarzt seine Patienten mit Typ-2-Diabetes künftig eher zum Chirurgen als zum Diabetologen überweisen sollte.
Gerade erst zeigte eine neue Kohortenstudie aus Frankreich: Von mehr als 15.000 Diabetespatienten, die einen Magenbypass, einen Schlauchmagen oder ein Magenband erhalten hatten, brauchten 6 Jahre später fast 50% keine Diabetesmedikamente mehr. Und „von den Patienten, die zu Studienbeginn noch keine Diabetesmedikamente genommen hatten, begannen nach einem bariatrischen Eingriff signifikant weniger in den folgenden 6 Jahren mit einer Therapie als unter den Kontrollen“, berichten Dr. Jérémie Thereaux von der Statistikabteilung der Caisse Nationale d’Assurance Maladie des Travailleurs Salariés in Paris und seine Kollegen in JAMA Surgery [1].
Und auch bei der Prävention diabetischer Folgeerkrankungen hat die Chirurgie offenbar die Nase vorn: Laut einer Metaanalyse mit insgesamt mehr als 17.000 aufgenommenen Diabetespatienten verringert eine bariatrische Operation das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen im Vergleich zur herkömmlichen Therapie um den Faktor 4. „Bereits bestehende diabetische Nephropathien verbessern sich nach der Operation signifikant“, berichten die Autoren um Dr. Adrian Billeter von der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Universität Heidelberg im British Journal of Surgery [2].
Operation für alle Diabetiker?
In einem Editorial in JAMA Surgery ruft der bariatrische Chirurg Prof. Dr. Michael Gagner vom Department of Surgery der Florida International University in Miami seine Kollegen nun dazu auf, es denn Herzchirurgen gleich zu tun [3]: „Chirurgen haben sich in der Vergangenheit der Herausforderung der KHK gestellt, indem sie Millionen von Patienten operiert haben. Weshalb sollten wir das Gleiche nicht auch beim Typ-2-Diabetes tun können? Nichts hält uns davon ab, außer wir selbst.“

PD Dr. Jens Aberle
Dass er sich mit dieser Einschätzung auf dem Holzweg befinden könnte, zeigt sich allerdings im Gespräch mit PD Dr. Jens Aberle, Leiter der Sektion Endokrinologie und Diabetologie am Universitären Adipositas Zentrum Hamburg. „Keine Frage, bariatrische Operationen führen zu einer deutlichen metabolischen Verbesserung. Doch die Studien spiegeln nicht die Realität der Diabetologie wider“, erklärt er gegenüber Medscape.
Studien-Diabetiker versus Durchschnitts-Diabetiker
Tatsächlich sind die Patienten in den meisten Studien zur bariatrischen Chirurgie bei Diabetes noch relativ jung – in der französischen Kohortenstudie lag das Durchschnittsalter etwa bei 39 Jahren. Der Body-Mass-Index (BMI) dagegen ist hoch, bei den Patienten in Frankreich lag er zwischen 40 und 50 kg/m². „Aber die meisten Typ-2-Diabetiker sind eher Anfang 60 und haben einen BMI um die 33“, erklärt Aberle. In dieser Population ist die Datenlage weit weniger gut.
Eine erst kürzlich in JAMA publizierte Untersuchung zeigt außerdem: Bei 15 bis 21% der operierten Patienten kommt es innerhalb von 5 Jahren zu Komplikationen, die eine erneute Operation erforderlich machen.
„Angesichts dessen, dass es sehr effektive Diabetesmedikamente gibt, bedeutet dies bei den schlankeren, älteren Patienten eine sehr schwierige Abwägung von Nutzen und Risiko“, so Aberle. Seine Einschätzung: „99 von 100 Patienten wollen das nicht. Das kann man mit der Revaskularisierung bei KHK nicht vergleichen.“
Patientenauswahl entscheidend
Es sei anzunehmen, dass die Operationszahlen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes steigen werden, räumt Aberle ein. „Aber der Patientenwunsch, sich operieren zu lassen, ergibt sich fast ausschließlich über das extrem hohe Körpergewicht.“
Aberle resümiert: „Wirklich gut für eine bariatrische Operation geeignet sind Patienten mit einem BMI über 40, die nicht nur unter dem Diabetes leiden, sondern auch unter der Adipositas selbst, denn dann behandelt man kombiniert den Stoffwechsel und das Übergewicht.“
Aber auch unter den schlankeren Typ-2-Diabetikern sieht der Diabetologe den ein oder anderen OP-Kandidaten: „Es gibt Patienten, die extrem schwer einzustellen sind, bei denen man es selbst mit hohen Dosen Insulin nicht schafft, den Stoffwechsel unter Kontrolle zu bekommen. Bei ihnen ginge es bei der Operation nicht primär um die Gewichtsreduktion, sondern darum, den Diabetes zu verbessern.“
Wenn Operation, dann Bypass
Übrigens: Ist bei einem Diabetespatienten die Entscheidung gefallen, eine bariatrische Operation durchzuführen, spielt die Art des Eingriffes eine signifikante Rolle. Entgegen dem aktuellen Trend zum Schlauchmagen „sollten Ärzte ihren Patienten mit Diabetes zu einem Magenbypass raten“, so Aberle.
Wie andere Studien zuvor zeigt nämlich auch die aktuelle Kohortenstudie aus Frankreich: Die wirklich beeindruckenden Ergebnisse erreicht man am ehesten mit der Magenbypass-Operation. In der Studie von Thereaux und seinem Team hatten Patienten nach einem Magenbypass eine 16-mal höhere Chance, nach 6 Jahren Antidiabetika-frei zu sein, als mit rein medikamentöser Therapie. Die Schlauchmagenoperation erhöhte die Wahrscheinlichkeit dagegen nur um das 7-Fache und das Einsetzen eines Magenbandes gar nur um das 4-Fache.
REFERENZEN:
1. Thereaux J, et al: JAMA Surgery (online) 14. Februar 2018
2. Billeter A, et al: Br J Surg. 2018;105(3):168-181
3. Gagner M: JAMA Surgery (online) 14. Februar 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: US-Operateur will Typ-2-Diabetes „millionenfach“ chirurgisch behandeln. Deutscher Experte: „Keine Lösung für jeden!“ - Medscape - 26. Feb 2018.
Kommentar