Das Risiko-Nutzen-Profil einer direkten oralen Antikoagulation zusätzlich zur Plättchenhemmung unterscheidet sich offenbar abhängig von der Art eines akuten Koronarsyndroms: Direkte orale Antikoagulantien (DOAC) könnten bei Patienten mit Myokardinfarkt mit ST-Streckenhebung (STEMI) „eine attraktive Strategie“ darstellen, wie die Autoren einer aktuellen Metaanalyse berichten [1]. Dagegen steht dem „konsistent erhöhten Risiko für schwere Blutungen“ durch eine solche Strategie bei Patienten mit Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) kein ausreichend hoher Nutzen gegenüber.
ATLAS mit zu viel Einfluss?

Prof. Dr. Ulrich Laufs
„Es ist theoretisch möglich, dass es diesen Unterschied zwischen STEMI und NSTEMI gibt, da beim STEMI die Koronarthrombose eine größere Rolle spielt“, meint Prof. Dr. Ulrich Laufs im Gespräch mit Medscape. Allerdings gibt der Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig zu bedenken: „Der Ausgang dieser Metaanalyse ist wesentlich durch eine große, positiv ausgefallene Studie bestimmt, in die doppelt so viele STEMI-Patienten wie NSTEMI-Patienten eingeschlossen wurden.“
Die ATLAS ACS 2 TIMI 51-Studie umfasste alleine 15.526 Teilnehmer, mehr als die Hälfte der Gesamtpopulation der Metaanalyse. Etwa die Hälfte von ihnen hatte einen STEMI, nur 25% einen NSTEMI, die restlichen Patienten eine instabile Angina pectoris.
6 randomisierte klinische Studien
Insgesamt schloss das Autorenteam um Dr. Mauro Chiarito vom Department of Biomedical Sciences der Humanitas Universität in Mailand, Italien, 6 randomisierte klinische Studien in die Metaanalyse ein. In diesen Studien wurde bei knapp 30.000 Patienten mit akutem Koronarsyndrom untersucht, welchen Effekt es hat, Apixaban, Rivaroxaban oder Dabigatran zur plättchenhemmenden Therapie hinzuzugeben. In der Gesamtpopulation der Metaanalyse waren STEMI und NSTEMI etwa gleich häufig.
Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall. In der Gesamtpopulation der Metaanalyse waren primäre Endpunktereignisse bei mit DOAC behandelten Patienten signifikant seltener (Odds Ratio: 0,85; p < 0,001).
Signifikanter Nutzen nur bei STEMI
Nach Art des akuten Koronarsyndroms getrennte Analysen zeigten: Der signifikante Nutzen der DOAC-Therapie bestand nur bei Patienten mit STEMI (OR: 0,76; p < 0,001), aber nicht bei denjenigen mit NSTEMI (OR: 0,92; p = 0,36).
Beim Blutungsrisiko gab es dagegen keine Unterschiede: Der Einsatz von DOAC war mit einem mehr als 3-fach erhöhten Risiko für schwere Blutungen assoziiert (OR: 3,17; p < 0,001), unabhängig davon, ob die Patienten einen STEMI (OR: 3,45; p < 0,001) oder einen NSTEMI (OR: 2,19; p < 0,001) gehabt hatten.
Trotz des signifikant erhöhten Blutungsrisikos sei das Risiko-Nutzen-Profil bei STEMI-Patienten günstig gewesen, berichten Chiarito und seine Kollegen. Sie rechnen vor: Um ein kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern, müssten 63 STEMI-Patienten mit einem zusätzlichen DOAC behandelt werden. Die Number-Needed-to-Harm liege dagegen bei 96 – so viele Patienten müssen mit einem DOAC behandelt werden, um eine schwere Blutung zu verursachen.
„Unseres Wissens zeigen diese Ergebnisse erstmals, dass DOAC zusätzlich zur Plättchenhemmung abhängig von der Art des akuten Koronarsyndroms unterschiedliche Therapieeffekte haben“, schreiben die Autoren um Chiarito. „Für STEMI-Patienten könnten sie eine Option sein, um ischämische Ereignisse zu reduzieren.“
Hypothese bedarf der Überprüfung
Die derzeitige Standardtherapie bei STEMI- und NSTEMI-Patienten mit Sinusrhythmus ist ASS in Kombination mit einem modernen Plättchenhemmer, Ticagrelor oder Prasugrel. „Zusätzlich ein DOAC zu geben ist in Deutschland weder üblich, noch wird es von den Leitlinien empfohlen“, betont Laufs.
Hinzu kommt: „Kombinationen aus DOAC und Ticagrelor oder Prasugrel sind bisher noch nicht an einer aussagekräftigen Patientenzahl geprüft worden. Wir wissen nicht, ob niedrig dosiertes Rivaroxaban zusammen mit Ticagrelor oder Prasugrel immer noch das richtige Verhältnis aus Ereignisreduktion und Blutungsrisiko hat“, warnt der Kardiologe.
„Diese Metaanalyse ist Hypothesen-generierend. Sie liefert Hinweise, dass Patienten mit STEMI vielleicht eher von einem zusätzlichen DOAC profitieren. Aber das muss noch prospektiv gezeigt werden. Bei vielen anderen Therapieformen haben sich Unterschiede zwischen STEMI und NSTEMI nicht bestätigt“, so Laufs Fazit.
REFERENZEN:
1. Chiarito M, et al: JAMA Cardiology (online) 7. Februar 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Zusätzlich orale Antikoagulation nach Infarkt? Patienten mit STEMI könnten profitieren – NSTEMI-Patienten eher nicht - Medscape - 23. Feb 2018.
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