Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) will Cannabis-Konsumenten nicht länger kriminalisieren – und fühlt sich nach einem BILD-Zeitungs-Interview mit dem BDK-Vorsitzenden André Schulz prompt missverstanden. „Das Presse-Echo auf das Interview war erheblich“, berichtet Schulz, der BDK-Vorsitzende, „aber meistens falsch. Denn wir wollen nicht Cannabis legalisieren, wie es oft hieß. Sondern wir sind für die vollständige und echte Entkriminalisierung aller Konsumenten – und zwar nicht nur in Hinblick auf Cannabis.“
Zugleich will Schulz weiter strikt gegen Handel und Schmuggel von Drogen vorgehen. Leider werde in der Öffentlichkeit „nicht ausreichend zwischen Legalisierung und Entkriminalisierung unterschieden.“ Das habe der BDK auch bereits in seiner Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Bundestages 2014 dargelegt.
In Deutschland ist der Konsum von Cannabis nicht verboten, aber niemand darf mit ihm handeln, Cannabis anbauen oder größere Mengen besitzen oder verkaufen. Allerdings werden auch Konsumenten angezeigt, die kleine Mengen des Stoffs in der Tasche haben, „und zu 99,9 Prozent werden die Verfahren eingestellt“, sagt Schulz.
Kriminalisierung führt in die Kriminalität
Schulz beschreibt das Problem mit Drogenkonsumenten oder Verdächtigen aus der Perspektive des Polizeialltags: „Die Polizisten müssen derzeit mancherorts schon dann eine Strafanzeige schreiben, wenn sie bei einem Jugendlichen nur ein leeres Tütchen mit der Abbildung eines Hanfblattes darauf finden“, so Schulz.
„Das ist gängige Praxis. Denn dann besteht der Verdacht auf Besitz von Betäubungsmitteln.“ Der Jugendliche sei dann bei der Polizei als Drogenkonsument registriert und damit stigmatisiert, bis nach 3 Jahren die Löschfrist greift, auch wenn praktisch alle Verfahren eingestellt werden.
Der Ergebnis: Oft werden junge Leute eingesperrt, weil sie ein paar Mal mit einem Joint erwischt werden. „Solche Stigmatisierung ist dann oft der Anfang einer kriminellen Karriere. Und da kommen die Jugendlichen nicht mehr raus“, sagt Schulz. Wirksamer Jugendschutz sehe anders aus, so der BDK-Chef. Zudem ist die kritische Menge an Drogenbesitz in jedem Bundesland anders definiert, sagt Schulz.
Wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung benehmen sich dann jungen Drogenkonsumenten irgendwann so, wie der Staat sie behandelt – als Straftäter. Und als Konsument härterer Drogen, muss man ergänzen. So führt Schulz auch die vielen Drogentoten an als Ausweis der zweifelhaften restriktiven Drogenpolitik. Tatsächlich ist die Zahl der Drogentoten „in Deutschland zum vierten Mal in Folge gestiegen“, so das Bundeskriminalamt. „2016 wurden 1.333 rauschgiftbedingte Todesfälle registriert. Das entspricht einem erneuten Anstieg um 9 Prozent.“
Unterdessen bestreitet auch Schulz nicht, dass Cannabis schädlich ist. „Natürlich wollen wir nicht den Drogenkonsum fördern, sondern unbedingt auf die Risiken hinweisen und Hilfe anbieten und durch Kampagnen den Konsum einschränken“, sagt Schulz.
Cannabis führt zu seelischen, körperlichen und sozialen Schäden
Wie schädlich Cannabis ist, hat gerade erst eine Studie von Dr. Eva Hoch, Psychologin und Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide an der Universitätsklinik der Ludwigs-Maximilians-Universität München im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) ergeben: „Cannabis: Potential und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse (CaPRis)“.
Hoch sichtete über 2.100 internationale wissenschaftliche Publikationen zur Wirkung von Cannabis. „Zusammenfassend belegen die Evidenz-basierten Fakten ein erhöhtes Risiko für negative psychische, organische und soziale Konsequenzen im Zusammenhang mit dem Freizeitgebrauch von Cannabis. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit geeigneter Maßnahmen zur Aufklärung, Prävention und Risikominimierung und insbesondere zum Schutz von Jugendlichen“, so Hoch in der Studienzusammenfassung.
Allerdings sei international noch lückenhaft untersucht, inwieweit Cannabis abhängig mache und welche psychosozialen Folgen der Konsum von Cannabis habe. „Die Evidenz-basierten Fakten können auch die gesellschaftliche Diskussion um die juristische Bewertung der Substanz Cannabis bereichern“, heißt es in der Studie – wie eben jene Diskussion, die BDK-Chef Schulz angestoßen hat.
Klare Grenzen setzen
Für Prof. Dr. Christoph Möller spielt die Unterscheidung von Legalisierung der Droge und Entkriminalisierung des Konsumenten indessen keine Rolle. „Wichtig ist, dass man den betroffenen Jugendlichen rasch klare Grenzen setzt“, sagt Möller zu Medscape. Er ist Chefarzt des Hannoveraner Therapiezentrums „Teen Spirit Island“ zur Behandlung von suchtkranken Jugendlichen am Kinderkrankenhaus Auf der Bult.
„Es ist nicht förderlich, wenn Kiffen als okay gilt. Punkt. Wer mit 15 Jahren kifft, ist potenziell auffällig“, betont Möller. Cannabis sei die häufigste illegale Droge. Nur wenn die Polizei sofort reagiere und Anzeigen schreibe, würden die Jugendlichen mit der Realität konfrontiert, meint er. „Es ist für die Jugendlichen oft ein heilsamer Schuss vor den Bug, wenn sie von der Polizei aufgegriffen werden!“
Hier drohe keineswegs Kriminalisierung. Allerdings sei wichtig, dass die Verfahren deutlich beschleunigt werden, sagt Möller zu Medscape. „Denn was wirklich hilft, sind sofortige Konsequenzen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Cannabis: Kriminalbeamte wollen entkriminalisieren – Ärzte warnen weiterhin vor Konsum - Medscape - 21. Feb 2018.
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