Mit der neuen S2k-Leitlinie „spezifischer Kreuzschmerz“ wollen Orthopäden und Unfallchirurgen jetzt die strukturierte Versorgung beim Rückenschmerz stärken. Gemeinsam mit 13 medizinischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden sowie Patientenvertretern haben die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e.V. (DGOOC) und die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) die neue Leitlinie herausgegeben.

Prof. Dr. Bernd Kladny
Schmerzen im Wirbelsäulenbereich liegt häufig ein nicht-spezifischer Kreuzschmerz zugrunde: „Nicht-spezifische Kreuzschmerzen machen zwischen 55 bis 85 Prozent der Fälle aus, die restlichen 15 bis 45 Prozent gehen auf spezifische Kreuzschmerzen zurück“, erklärt Prof. Dr. Bernd Kladny, Chefarzt der Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie, m&i-Fachklinik Herzogenaurach, der maßgeblich an der neuen Leitlinie beteiligt war.
Im Gegensatz zum nicht-spezifischen Kreuzschmerz liegt dem spezifischen Kreuzschmerz eine pathologisch veränderte Struktur zugrunde, woraus sich therapeutische Konsequenzen ergeben, erläutert er. Ursache spezifischer Schmerzen können beispielsweise sein:
arthrotische Veränderungen an den Gelenken der Wirbelsäule,
Bandscheibenvorfälle mit Druck auf Nervenwurzeln,
chronische Entzündungen oder
ein krankhaft verengter Spinalkanal.
Nicht-spezifische Kreuzschmerzen verschwinden zu 70 bis 80% innerhalb von 3 bis 4 Wochen wieder, betont der Generalsekretär der DGOU. „Wenn der Patient keine zu starken Schmerzen hat, bewegungs-und arbeitsfähig ist, der Arzt keinen konkreten Verdacht und keine Anhaltspunkte hat, woher der Schmerz rührt und wenn keine Chronifizierung des Schmerzes droht, kann man in den ersten 2 bis 3 Wochen symptomatisch behandeln, sofern sich keine Warnhinweise auf ernsthafte Erkrankungen, sogenannte ‚red flags‘ ergeben“, erklärt Kladny im Gespräch mit Medscape.
Bleiben die Schmerzen bestehen, greift die neue S2k-Leitlinie: „Mit unserer neuen Leitlinie geben wir Hinweise, die dann zur Entstehung einer Arbeitshypothese führen, was dem Schmerz ursächlich zugrunde liegt. Behandelt man Kreuzschmerzen, ist eine strukturierte Vorgehensweise bei Diagnostik und Therapie wichtig. Unsere neue Leitlinie bietet Ärzten einen Leitfaden, wann spezifische Kreuzschmerzen als Ursache in Betracht zu ziehen sind“, erklärt Kladny.
Natürlich ziele die neue Leitlinie auch darauf ab, dass an der Grenze zwischen spezifisch oder nicht-spezifisch besser unterschieden werden könne. Sie sei die erste Leitlinie, die aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Behandlung von Patienten mit spezifischen Kreuzschmerzen dokumentiere.
Interdisziplinärer Konsens
Einen direkten Vorläufer der Leitlinie spezifischer Kreuzschmerz gibt es nicht, entsprechend aufwändig sei die Arbeit gewesen, die in die Erstellung der neuen Leitlinie geflossen sei.
Die Initiative zu dieser Leitlinie geht zurück auf das Jahr 2012, das Initiierungstreffen fand im September 2013 statt: „Seit 2013 bis Ende 2017 haben wir daran gearbeitet“, berichtet Kladny. Die Leitlinie ist ab jetzt bei der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) abrufbar, die nächste Aktualisierung ist für 2022 geplant.
Als wichtigsten Aspekt der neuen Leitlinie sieht Kladny, dass unter den vielen beteiligten Fachgesellschaften und Organexperten ein interdisziplinärer Konsens erzielt werden konnte – noch dazu in Zusammenarbeit und Abstimmung mit Patientenvertretern.
Die neue Leitlinie ergänzt die seit 2010 bestehende und 2017 aktualisierte Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz (NVL Nicht-spezifischer Kreuzschmerz). Bei schmerzhaften Erkrankungen der Wirbelsäule gilt in den ersten 2 bis 3 Wochen die NVL: „Ich denke nicht, dass Patienten mit Kreuzschmerzen zu lange nicht-spezifisch behandelt werden“, so Kladny.
Ausführliche Schmerzanalyse notwendig
Die neue S2k-Leitlinie definiert Begriffe, Diagnose und Therapie spezifischer Krankheitsbilder. Bei der Diagnosestellung von Patienten mit spezifischen Kreuzschmerzen ist eine ausführliche Schmerzanalyse notwendig, dazu gehören:
Gespräch und Befragung,
klinisch-orthopädische, klinisch-neurologische, schmerz-palpatorische und funktions-palpatorische Untersuchungen,
Laboruntersuchungen und
bildgebende Verfahren.
„Durch eine zielgerichtete Therapie kann eine Chronifizierung des Rückenschmerzes vermieden werden“, betont auch PD Dr. Stefan Kroppenstedt, ein weiterer federführender Autor der Leitlinie, in einer Pressemitteilung der DGOU. Kroppenstedt ist Chefarzt der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie, Sana Kliniken Sommerfeld.
„Wir würden uns wünschen, dass unsere Empfehlungen durch wissenschaftliche Studien belegt werden können. Auch die Nachweisbarkeit von spezifischen Ursachen für Kreuzschmerzen sollte verbessert werden, wir sehen da einen deutlichen Forschungsbedarf“, schließt Kladny.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Neue Leitlinie „Spezifischer Kreuzschmerz“: Leitfaden für Ärzte, was dem Schmerz ursächlich zugrunde liegen könnte - Medscape - 19. Feb 2018.
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