Wissenschaftler aus Großbritannien haben untersucht, wie es um die kardiovaskuläre medikamentöse Sekundärprävention in randomisierten klinischen Studien bestellt ist, in denen perkutane Koronarintervention (PCI) und Bypass-Operation verglichen werden. Und das Ergebnis lässt für die Versorgungsrealität nichts Gutes ahnen: Die Adhärenz gegenüber einer leitliniengerechten medikamentösen Therapie war gering und nahm im Laufe der Zeit noch weiter ab. Außerdem war die Leitlinienadhärenz nach Bypass-Operationen sogar noch signifikant niedriger als nach Katheterinterventionen [1].
„Die Behandlung von Patienten und auch die Adhärenz gegenüber Leitlinien ist in Studien oft besser als im klinischen Alltag“, sagt Prof. Dr. Peter Radke, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Kardiologie an der Schön Klinik Neustadt, im Gespräch mit Medscape. „In der Versorgungsrealität könnte die Qualität der Sekundärprävention nach PCI oder Bypass-Operation deshalb sogar noch etwas schlechter sein.“
Geringe Leitlinienadhärenz, Tendenz abnehmend
Ana-Catarina Pinho-Gomes von der Abteilung für Kardiochirurgie, Oxford University Hospitals NHS Trust, Oxford, und ihre Kollegen analysierten 5 randomisierte PCI/Bypass-Vergleichsstudien, die Angaben zur medikamentösen Therapie nach der Revaskularisierung machten. Der untersuchte Endpunkt war die Leitlinienadhärenz der medikamentösen Sekundärprävention – also, ob die Patienten entweder einen Plättchenhemmer plus Betablocker plus Statin nahmen oder einen Plättchenhemmer plus Betablocker plus Statin plus ACE-Hemmer/Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB).
„Insgesamt war die Leitlinienadhärenz gering und nahm über die Zeit ab“, berichten Pinho-Gomes und ihr Team. Nach 1 Jahr erhielten noch 67% der Patienten eine leitliniengerechte Sekundärprävention ohne ACE-Hemmer/ARB, nach 5 Jahren waren es noch 53%. Bei der sekundärpräventiven Therapie mit ACE-Hemmer/ARB sah es noch schlechter aus: Nach 1 Jahr erhielten sie noch 40% der Patienten, nach 5 Jahren noch 38%.
Bessere Therapie nach PCI – Effekt auf klinische Outcomes?
Allerdings gab es Unterschiede zwischen den beiden Revaskularisierungsmaßnahmen: Die Adhärenz mit beiden sekundärpräventiven Therapieregimes war zu allen Zeitpunkten nach PCI höher als nach Bypass-Operation. „Die Bypass-Operation als der größere der beiden Eingriffe mag bei den Patienten eher den Eindruck erwecken, dass die Durchblutung jetzt wieder in Ordnung und die Einnahme von Tabletten nicht mehr so wichtig ist“, erklärt Radke.
„Und möglicherweise schlägt sich diese Vorstellung auch bei den Ärzten nieder. Es ist für Ärzte immer schwieriger, Substanzen zu verschreiben, die einen prognostischen Nutzen haben, als Substanzen, die einen symptomatischen Nutzen haben.“
Doch die Bedeutung der Sekundärprävention sollte keinesfalls unterschätzt werden, mahnt der Kardiologe. „Das wäre eine verpasste Chance. Der prognostische Effekt einer PCI oder einer Bypass-Operation kommt erst dann richtig zur Geltung, wenn auch die begleitende Sekundärprävention durchgeführt wird.“
Beim Vergleich von PCI und Bypass-Operation nach 5 Jahren deuten die Daten von Pinho-Gomes und ihren Koautoren außerdem auf eine Korrelation zwischen den unterschiedlichen Adhärenzraten und den klinischen Outcomes hin. Mit einer Bypass-Operation werden üblicherweise bessere Outcomes erzielt als mit einer PCI. „Wären die Adhärenzraten in beiden Gruppen identisch, wäre die Bypass-Operation der PCI im Hinblick auf harte klinische Endpunkte möglicherweise noch stärker überlegen. Denn ein Teil des Nutzens der PCI könnte auf die bessere medikamentöse Sekundärprävention nach der Maßnahme zurückzuführen sein“, schreiben die Autoren.
Macht die bessere Sekundärprävention die PCI möglicherweise besser als sie ist? „Diese Daten sind hypothesengenerierend, erlauben aber noch keine Schlussfolgerungen“, warnt Radke. „Der Progress der KHK nach Bypass-Operationen unterliegt anderen Mechanismen als der Progress nach Katheterinterventionen. Es handelt sich hierbei um Kollektive, die sich in der Langzeitbeobachtung abhängig von der Art des Eingriffes doch deutlich unterscheiden“, erklärt er.
Appell an die Nachbehandler
Als viel wichtigeres Ergebnis der Analyse erachtet der Kardiologe die offensichtlich insgesamt schlechten Adhärenzraten nach Revaskularisierungsmaßnahmen. „Die sekundärpräventive Begleitmedikation ist mindestens so wichtig wie die Revaskularisationsmaßnahme selbst.“ Bei Patienten mit stabiler KHK sei die Prognose nach der Revaskularisierung in vielen Fällen stärker von der Qualität der Sekundärprävention abhängig als von der Revaskularisationsmaßnahme.
Dennoch werde die Compliance mit der Sekundärprävention in vielen Studien gar nicht erfasst. Das zeigt auch die Metaanalyse von Pinho-Gomes und ihren Kollegen, die unter 439 Literaturstellen zum Vergleich von PCI und Koronarbypass gerade einmal 5 Studien fanden, in denen entsprechende Angaben gemacht wurden.
„Die Studienergebnisse sind ein Aufruf an diejenigen, die künftig Vergleichsstudien durchführen“, so Radke. „Der stärkste Appell geht aber an die Nachbehandler, die Hausaufgabe der Sekundärprävention sehr ernst zu nehmen.“
REFERENZEN:
1. Pinho-Gomes AC, et al: Journal of the American College of Cardiology 2018;71(6):591-602
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Bypass-OP – und es ist gut? Studie enthüllt: Patienten und Ärzte vernachlässigen oft medikamentöse Sekundärprävention - Medscape - 19. Feb 2018.
Kommentar