Offenbar lässt sich nur wenig tun, um dem geistigen Verfall im Alter wirksam vorzubeugen. Das jedenfalls ist das ernüchternde Ergebnis dreier Übersichtsarbeiten, die jetzt im Fachblatt Annals of Internal Medicine erschienen sind. Den Studien zufolge lässt sich die Entstehung einer leichten kognitiven Beeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, kurz MCI) oder einer Alzheimer-Demenz weder durch sportliche Betätigung noch durch Nahrungsergänzungsmittel oder Medikamente nachweislich verhindern.
Weder Ausdauer- noch Krafttraining können den geistigen Verfall bremsen
Den Effekt von regelmäßiger körperlicher Aktivität auf die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten im Alter untersuchte ein Team um Dr. Michelle Brasure von der Division of Health Policy and Management der University of Minnesota in Minneapolis [1]. Die Forscher sichteten für ihre Analyse 16 Studien aus den Jahren 2009 bis 2017 mit einer Beobachtungszeit zwischen 6 Monaten und 2 Jahren und einem niedrigen bis mittleren Risiko für statistische Verzerrungen.
Die teilnehmenden Senioren, von denen die meisten zwischen 60 und 80 Jahre alt waren, wiesen zu Beginn der Studien keine geistigen Beeinträchtigungen auf. Verglichen wurden Probanden, die regelmäßig Sport trieben, mit körperlich wenig aktiven Kontrollgruppen.
Es gebe keine ausreichenden Hinweise, die einen Effekt von Aerobic, Krafttraining oder Tai Chi auf die geistigen Fähigkeiten belegen würden, schreiben Brasure und ihre Kollegen. Auch ein Sportprogramm aus mehreren Komponenten scheine die kognitiven Funktionen im Alter nicht zu beeinflussen.
Lediglich eine kombinierte Intervention aus sportlicher Betätigung, gesunder Ernährung und kognitivem Training könne sich womöglich positiv auf einige geistige Fähigkeiten auswirken und deren Abbau verzögern. Den Grad der Evidenz geben die Forscher aber auch in diesem Fall als gering an.
Für die Annahme, dass sich mithilfe körperlicher Aktivität dem Entstehen einer Alzheimer-Demenz vorbeugen lässt, fand das Team um Brasure keinerlei Hinweise.
Kein Nahrungsergänzungsmittel empfehlenswert
Ähnlich negativ fällt die Beurteilung für frei verkäufliche Nahrungsergänzungsmittel aus, deren Effekt auf die geistigen Fähigkeiten Forscher um Dr. Mary Butler von der Division of Health Policy and Management der University of Minnesota in Minneapolis untersucht haben [2]. Das Team analysierte 38 Studien aus den Jahren 2009 bis 2017 mit einer mindestens 6-monatigen Beobachtungszeit und einem niedrigen bis mittleren Bias-Risiko. In den Studien wurde unter anderem der Effekt von Omega-3-Fettsäuren, Soja, Ginkgo biloba, B-Vitaminen, Vitamin D plus Kalzium, Vitamin C, Beta-Carotin und Kombinationspräparaten untersucht.
Verglichen wurden die jeweiligen Mittel entweder mit Placebo oder anderen Nahrungsergänzungspräparaten. Die Probanden der Studien besaßen normale geistige Fähigkeiten oder wiesen eine MCI auf, waren aber noch nicht an Alzheimer erkrankt.
Es gebe keine ausreichende Evidenz, um irgendeines der untersuchten Präparate für Menschen mit normaler Kognition oder einer MCI zum Schutz vor dem geistigen Abbau zu empfehlen, lautet das Fazit der Forscher.
Zwar ließ sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen einer täglichen Einnahme von Folsäure und Vitamin B12 mit einem leicht verbesserten Abschneiden bei Gedächtnistests finden. Ob diese Ergebnisse aber klinische Relevanz besäßen, sei fraglich, schreiben Butler und ihre Kollegen.
Dagegen gebe es deutliche Hinweise, dass Vitamin E keinen Einfluss auf die Kognition habe. Bei allen anderen Präparaten sei die Beweislage bezüglich eines Effekts auf die geistigen Fähigkeiten gering bis ungenügend. Nebenwirkungen der Mittel wurden allerdings auch nur selten beobachtet.
Hormontherapien im Alter können den geistigen Abbau offenbar sogar beschleunigen
In der dritten Übersichtsarbeit analysierte ein Team um Dr. Howard Fink vom Geriatric Research Education and Clinical Center des VA Health Care System in Minneapolis den Einfluss diverser Medikamente auf die geistige Entwicklung im Alter [3]. Auch diese Wissenschaftler sichteten Studien aus den Jahren 2009 bis 2017 mit einer mindestens 6-monatigen Beobachtungszeit und einem niedrigen bis mittleren Bias-Risiko, bei denen die Teilnehmer entweder normale geistige Fähigkeiten oder eine MCI aufwiesen, aber noch keine Alzheimer-Diagnose erhalten hatten.
Zu den untersuchten Medikamenten gehörten 3 Mittel, die bei Demenz eingesetzt werden, 16 Blutdrucksenker, 4 Antidiabetika, 2 nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID) bzw. ASS, 17 Hormonpräparate und 7 Cholesterinsenker.
Wie Fink und seine Kollegen berichten, zeigte eine Studie, dass die Einnahme von Östrogenen oder Östrogen-Gestagen-Präparaten bei geistig gesunden Probanden das Risiko einer MCI oder einer Demenz sogar erhöhen kann.
Eine andere Studie ergab, dass hohe Dosen des Selektiven Estrogen-Rezeptor-Modulators (SERM) Raloxifen zwar das Risiko einer MCI, nicht aber das einer Demenz senken können. Blutdrucksenker, NSAIDs und Statine beeinflussten das Risiko einer Alzheimer-Demenz in insgesamt 6 untersuchten Studien ebenfalls nicht.
Bei Patienten mit MCI konnten Cholinesterase-Inhibitoren, die bei Alzheimer zum Einsatz kommen, die Entstehung der Krankheit nicht verhindern. Ebenso wenig verbesserten die Medikamente bei Probanden mit MCI oder normalen geistigen Fähigkeiten das Abschneiden in kognitiven Tests.
Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden vor allem von Östrogenen, Östrogen-Gestagen-Kombinationen und von Raloxifen berichtet. Unter Östrogen-Behandlungen traten vermehrt Schlaganfälle auf, unter den Kombinationspräparaten kam es häufiger zu Schlaganfällen, koronaren Herzerkrankungen, Brustkrebs und Lungenembolien. Raloxifen wurde vermehrt mit venösen Thromboembolien in Verbindung gebracht.
Alter der Probanden und die kurze Beobachtungszeit waren Limitationen
„Für die von uns analysierten Studien waren hauptsächlich ältere Probanden rekrutiert worden und die Beobachtungszeiten waren in der Regel nicht sehr lang“, schränkt Butler die Aussagekraft der 3 Übersichtsarbeiten ein wenig ein. „Womöglich hätten Untersuchungen mit jüngeren Teilnehmern und einem längeren Follow-up ganz andere Ergebnisse erzielt.“ Bislang aber fehle es schlicht an Evidenz, um die untersuchten Methoden guten Gewissens zu empfehlen – zumindest wenn es allein darum gehe, dem Abbau der geistigen Kräfte im Alter Einhalt zu gebieten.
REFERENZEN:
1. Brasure M, et al: Ann Intern Med 2018;168(1):30-38
2. Butler M, et al: Ann Intern Med 2018;168(1):52-62
3. Fink H, et al: Ann Intern Med 2018;168(1):39-51
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Diesen Artikel so zitieren: Gegen Demenz ist kein Kraut gewachsen: Nachlassen der Geisteskräfte lässt sich laut Metaanalysen mit nichts aufhalten - Medscape - 16. Feb 2018.
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