Los Angeles – Die Kombination des oralen Antikoagulanz Rivaroxaban (Xarelto®, Bayer) mit ASS halbiert im Vergleich zur alleinigen ASS-Gabe nahezu die Rate an ischämischen Schlaganfällen – dies ohne dass es zu einer signifikanten Zunahme des Risikos für intrazerebrale Hämorrhagien (ICH) kommt. Dies zeigt eine neue Auswertung der COMPASS-Studie mit Patienten mit stabilen arteriosklerotischen Erkrankungen, die bei der International Stroke Conference (ISC) 2018 in Los Angeles vorgestellt worden ist [1].
Als besonders wirksam erwies sich die Kombination in der Sekundärprävention von Schlaganfällen, berichteten die Studienautoren. Einer von ihnen, Prof. Dr. Mike Sharma, Abteilung Neurologie an der McMaster Universität, Hamilton, Ontario, Kanada, sieht in den neuen Daten sogar einen „signifikanten Fortschritt in der Schlaganfall-Prävention“, wie er gegenüber Medscape Medical News sagte.
„Was wir hier sehen, ist ein additiver Benefit on Top zum ASS, was die Wirkung insgesamt in etwa verdoppelt“, betonte Sharma. „Je mehr wir die Wirksamkeit steigern können, umso weniger Schlaganfälle wir haben, umso besser.“
In COMPASS hatten die Patienten (alle mit etablierter kardiovaskulärer Erkrankung) ein relativ hohes Risiko für ein weiteres Ereignis, das zwischen 5 und 10% betrug – trotz moderner präventiver Therapien, so Sharma. ASS gilt bekanntlich seit langer Zeit als Standard für die antithrombotische Prävention.
„Wir bauen seit Dekaden auf ASS, auch wenn es in der Schlaganfall-Prävention nur eine bescheidene Wirkung hat”, sagte Sharma. „Bei denjenigen, die noch kein Ereignis hatten, reduziert es das Risiko um etwa zwölf Prozent, aber auch bei denjenigen, die bereits einen Schlaganfall oder einen Infarkt hinter sich haben, reduziert es das Risiko nur um neunzehn Prozent – da bleibt ein ganz beträchtliches Restrisiko.“
Rivaroxaban ist bekanntlich als selektiver direkter Faktor-Xa-Inhibitor, bereits in vielen Ländern zugelassen, so etwa (in einer Dosis von 15-20 mg) für die Prävention von tiefen Beinvenen-Thrombosen oder zur Schlaganfall-Prävention bei Patienten mit Vorhofflimmern.
COMPASS-Studie mit Patienten aus 32 Ländern
Die COMPASS-Studie hat 27.395 Patienten in 602 Zentren in 32 Ländern eingeschlossen. Die Teilnehmer hatten eine Koronararterien-Erkrankung, einen Herzinfarkt in der Anamnese oder eine Multigefäßerkrankung oder eine periphere arterielle Erkrankung (PAD), eine Claudicatio, manche hatten bereits eine PAD-OP hinter sich, wiesen Karotis-Stenosen auf (davon rund 50% asymptomatisch) oder waren an den Karotiden operiert.
Von der gesamten Studien-Population hatten 1.032 Patienten bereits einen Schlaganfall hinter sich. Patienten mit Vorhofflimmern waren ausgeschlossen.
Die Studie hatte 3 Therapie-Gruppen:
ASS 100 mg/Tag,
Rivaroxaban 5 mg 2 x täglich
und eine Kombination von Rivaroxaban 2,5 mg 2 x täglich plus ASS 100 mg/Tag.
Vorzeitiges Ende wegen „überwältigender Wirksamkeit“
Die Studie war für 4 Jahre geplant, aber wurde früher – nach 23 Monaten – beendet, als eine Interims-Analyse eine „überwältigende Wirksamkeit“ der Kombinationstherapie feststellte, berichtete Sharma.
Die primären Resultate für den kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall und Herzinfarkt sind im August 2017 im New England Journal of Medicine online publiziert und gleichzeitig beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) präsentiert worden.
Die Ergebnisse: Die Ereignisraten unter der Kombination betrugen 4,1%; unter ASS waren es dagegen 5,4% (Hazard Ratio für die Kombination vs ASS, 0,76; 95%-Konfidenz-Intervall: 0,66-0,86; p < 0,0001). Allerdings hatten auch mehr Patienten Blutungsereignisse unter der Kombination (3.1% vs 1.9%; HR: 1,70; 95%-KI: 1,40-2,05; p< 0,001). Intrakranielle oder tödliche Blutungen unterschieden sich in den beiden Gruppen jedoch nicht signifikant. Die alleinige Rivaroxaban-Therapie erwies sich ASS als nicht überlegen.
Die aktuelle Analyse hat nun speziell die Schlaganfälle untersucht und dabei aufgedeckt, dass kombinierte Schlaganfall-Endpunkte (ischämisch oder hämorrhagisch) unter der Kombination signifikant reduziert waren – dies im Vergleich zu ASS allein (HR: 0,58; 95%-KI: 0,44-0,76; p < 0,0001). Die HR mit Rivaroxaban allein betrug 0,82 und war nicht signifikant (95%-KI: 0,65-1,05; p= 0,12).
„Man sieht in den Kaplan-Meier-Kurven eine frühe und konsistente Trennung des Kombinations- und des ASS-Monotherapie-Arms , berichtete Sharma bei einem Media Briefing. „Rivaroxaban allein blieb sehr nah an dem ASS-Arm und trennte sich erst nach etwa 18 Monaten. Wir kennen den Grund nicht, warum sich hier kein signifikanter Nutzen zeigte.“
Beim ischämischen Schlaganfall war das Risiko nahezu halbiert für die Gruppe mit Kombinationstherapie (HR: 0,51), mit einer „robusten frühen Trennung der Kurven“ zwischen der Kombination und ASS allein, berichtete Sharma. „Auch hier blieb Rivaroxaban allein sehr nahe am ASS-Arm und trennte sich erst nach etwa 18 Monaten.“
Zunahme von gastrointestinalen Blutungen unter der Kombi-Therapie
Die Analyse zeigte auch, dass hämorrhagische Transformationen (Blutungen in das Infarktgebiet) seltener waren bei Patienten unter der Kombination im Vergleich zu ASS (HR: 0,35; 95%-KI: 0,13–0,99; p= 0,04). „Wir hätten erwartet, dass dies unter der Antikoagulation häufiger ist“, sagte Sharma.
Es gab statistisch keinen signifikanten Anstieg bei den hämorrhagischen Schlaganfällen unter der Kombination im Vergleich zu ASS allein (p = 0,33), Aber es gab mehr Blutungen insgesamt unter der Kombination (15 vs 10 im Vergleich zu ASS).
„Wenn man bei der Blutkoagulation interveniert, bekommt man automatisch mehr Blutungen“, so Sharma. „So sehen wir z.B. bei allen Faktor-Xa-Inhibitoren eine Zunahme von gastrointestinalen Blutungen. Das gilt auch für diese Studie – es gab einen leichten Anstieg der Blutungen, aber – gottseidank – nicht im Gehirn.“
Die 30-Tages-Mortalität unterschied sich zwischen den Gruppen nicht signifikant.
Was das Risiko anging, nach dem Schlaganfall behindert zu sein – oder ihn nicht zu überleben – auch hier erwies sich nach 7 Tagen – oder zum Zeitpunkt der Klinikentlassung die Kombination als überlegen (HR: 0,58; 95%-KI: 0,37-0,89; p = .01)
„Wir denken, dies lag an insgesamt der geringeren Ereignisrate für Schlaganfälle”, sagte Sharma. Er wies auch darauf hin, dass es eine ähnliche Abnahme im Risiko gab, einen Schlaganfall mit einem mRS Score von 0 bis 2 zu erleiden.
Der wichtigste Prädiktor für einen Schlaganfall war, wenn man bereits zuvor ein solches Ereignis durchgemacht hatte (Ereignisrate 2,6% pro Jahr; p = 0,0001). Dagegen erhöhte ein bereits durchgemachter Herzinfarkt das Schlaganfallrisiko nicht signifikant. Patienten mit Karotis-Stenosen oder solche die bereit eine Karotis-OP oder einen Stent erhalten hatten, hatten ein erhöhtes Risiko für einen ischämischen, aber nicht für einen hämorrhagischen Schlaganfall.
Etwa 77% der Schlaganfälle passierten bei Patienten, die zuvor keinen gehabt hatten. Jedoch analysierten die Autoren diejenigen genauer, die schon einen Schlaganfall hinter sich hatten. In dieser Sekundärpräventions-Population, betrug die Schlaganfallrate unter ASS 3,4% pro Jahr, aber bei denen unter der Kombinationstherapie lag sie nur bei 0,7% pro Jahr (HR: 0,42; 95%-KI: 0,19-0,92; p = 0,03). Das entspricht einer absoluten Risikoreduktion von 2,7 Prozentpunkten pro Jahr und einer Number Needed to Treat von 37.
Kombi-Therapie nicht für alle Patienten
Sharma betonte, dass die Kombinationsbehandlung keine Option für alle Patienten ist. „Für diejengen, die eine KHK haben, einen Infarkt hinter sich, eine PAVK oder Karotisstenos, dann ist die Kombinationsbehandlung auf jeden Fall etwas, was in Betracht zu ziehen ist”, sagte er. „Aber ohne die Konditionen, ist es nicht so klar, ob es ebenfalls nutzt.“ Allerdings ergänzte er, dass auch der Nutzen von ASS in diesen Fällen nicht so eindeutig sei.
Als Kommentator für Medscape Medical News sagte Prof. Dr. Larry B. Goldstein, Neurologe an der Universität von Kentucky, Lexington, USA, er interpretiere die Schlussfolgerungen für die Kombinationstherapie zur Sekundärprävention von Schlaganfällen mit Vorsicht, denn diese Patienten repräsentierten nur eine kleine Subpopulation der Studie: „Es handelte sich in der Mehrzahl um Patienten mit Koronarerkrankung, und die Studie untersuchte einen kombinierten Endpunkt von Schlaganfall, Herzinfarkt und Tod – da ist es schon etwas diffizil, das dann herauszurechnen.“
Die „größte Befürchtung“ sei, so Goldstein, dass ein zusätzliches Antikoagulanz zum ASS das Risiko für Blutungen bei Patienten erhöhen könnte, die schon einen Schlaganfall durchgemacht haben. „Bei fast allen diesen Wirkstoffen ist die Spannbreite zwischen dem Nutzen, erneute ischämische Ereignisse zu reduzieren, thrombotische Ereignisse zu verhindern – oder Blutungen zu verursachen – sehr eng.“
Dieser Artikel wurde von Sonja Böhm aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. International Stroke Conference (ISC), 24. bis 26. Januar 2018, Los Angeles/USA
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Starkes Team: Rivaroxaban plus ASS halbiert Schlaganfallrate – ohne erhöhtes Risiko für Hirnblutungen - Medscape - 16. Feb 2018.
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