Mehr als Ruhestörung – Mainzer Forscher decken auf, wie Flug- und Verkehrslärm Herz und Kreislauf schädigen

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

14. Februar 2018

Menschen, die oft Verkehrslärm ausgesetzt sind, haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Das haben inzwischen mehrere große epidemiologische Untersuchungen gezeigt. Demnach kommt es bei diesen Personen besonders bei nächtlichen Ruhestörungen häufiger zu Bluthochdruck, Herzinfarkt, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen und Schlaganfall als bei Menschen, die in ruhigen Gebieten leben.

Prof. Dr. Thomas Münzel

Wie es zu dem Zusammenhang zwischen Lärm durch Autos, Züge oder Flugzeuge und Herz-Kreislauf-Leiden kommt, untersucht ein Team um Prof. Dr. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, schon seit geraumer Zeit. Einen Überblick ihrer Forschungsergebnisse liefern die Wissenschaftler jetzt in einem Review, der im Fachblatt Journal of the American College of Cardiology (JACC) veröffentlicht ist [1].

Nächtlicher Fluglärm führt zu Störungen der Endothelfunktion

„In einem gemeinsamen Projekt mit Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, DLR, in Köln konnten wir unter anderem zeigen, dass nächtlicher Fluglärm selbst bei jungen, gesunden Menschen zu Störungen der Gefäßfunktion führen kann“, sagt Münzel im Gespräch mit Medscape. Bei 30 bis 60 Überflügen pro Nacht habe man per hochauflösendem Ultraschall bei Medizinstudenten eine Endothel-Funktionsstörung nachweisen können. „Noch deutlicher war dieses Phänomen bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung, also mit bereits vorgeschädigten Gefäßen, zu beobachten“, sagt Münzel.

 
Wir konnten unter anderem zeigen, dass nächtlicher Fluglärm selbst bei jungen, gesunden Menschen zu Störungen der Gefäßfunktion führen kann. Prof. Dr. Thomas Münzel
 

Offenbar werden infolge der nächtlichen Ruhestörung und dem dadurch immer wieder unterbrochenen Schlaf vermehrt Stresshormone ausgeschüttet, die in weiteren Reaktionen im Körper die Bildung von freien Radikalen begünstigen. „Diesen oxidativen Stress der Gefäße haben wir bei unseren Probanden indirekt nachgewiesen“, sagt Münzel: „Durch die Gabe von hochdosiertem Vitamin C, einem Antioxidanz, ließ sich die Gefäßfunktion verbessern.“ Eine geeignete Methode, um Herzproblemen infolge von Lärm vorzubeugen, sei das aber nicht, sagt Münzel. Dazu verpuffe die Wirkung des Vitamins zu schnell.

Schon 50 bis 60 Dezibel können auf Dauer das Herz schädigen

Sein Kollege vom Umweltbundesamt, Dr. Wolfgang Babisch, habe zudem nachweisen können, dass Lärm bereits in einer Stärke von 50 bis 60 Dezibel, wie er beispielsweise von einem vorbeifahrenden Auto verursacht werde, Stress verursachen könne, der über Jahre hinweg zu eigenständigen Risikofaktoren für das Herz-Kreislauf-System führe, berichtet Münzel. Unter anderem seien dies Bluthochdruck, erhöhte Cholesterin- und Blutzuckerwerte sowie eine vermehrte Gerinnungsneigung des Blutes.

Straßenlärm scheint für die meisten Menschen allerdings weniger belastend zu sein als Fluglärm. Im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie, die seit dem Jahr 2007 der Gesundheitszustand von rund 15.000 Probanden aus der Rhein-Main-Region untersucht, wurden die Teilnehmer unter anderem befragt, durch welche Art von Verkehrslärm sie sich am meisten beeinträchtigt fühlen. „An erster Stelle stand hier der Fluglärm, danach folgten Straßen- und Schienenlärm“, berichtet Münzel. Zudem habe sich herausgestellt, dass das Ausmaß der körperlichen Rektionen davon abhängig sei, wie sehr die Menschen sich von dem Lärm in ihrer Umgebung tatsächlich gestört fühlen.

Entscheidend ist nicht die Lautstärke, sondern die Art des Lärms

An Mäusen untersuchten Münzel und seine Kollegen die Auswirkungen von Lärm auf molekularer Ebene. „Wir konnten in Tieren, die Fluglärm ausgesetzt waren, zum Beispiel eine verstärkte Produktion des Enzyms NADPH-Oxidase nachweisen, das zur vermehrten Bildung freier Radikale führt“, erläutert Münzel.

Darüber hinaus konnten er und sein Team beobachten, dass nicht die Lautstärke an sich, sondern die Art des Lärms für die negativen Auswirkungen auf den Organismus entscheidend ist: „Sogenanntes weißes Rauschen hatte auf die Tiere, selbst wenn es genauso laut wie der Fluglärm war, eher einen positiven Effekt“, sagt Münzel.

Auswirkungen von Lärm auch auf die Psyche

Dem Mainzer Kardiologen ist es wichtig, dass die Tatsache, dass Lärm krank macht, endlich als allgemeingültig anerkannt wird. „Wir wissen inzwischen, dass Lärm nicht nur schlecht für das Herz-Kreislauf-System ist“, sagt er. „Auch die Psyche kann in Mitleidenschaft gezogen werden.“ So könne Lärm beispielsweise Depressionen und Angsterkrankungen hervorrufen.

 
Wir wissen inzwischen, dass Lärm nicht nur schlecht für das Herz-Kreislauf-System ist. Auch die Psyche kann in Mitleidenschaft gezogen werden. Prof. Dr. Thomas Münzel
 

Auch die kognitive Entwicklung von Kindern werde durch Lärm verzögert, sagt Münzel: „Studien haben gezeigt, dass Kinder bei einer Erhöhung des sie umgebenden Lärms um 20 Dezibel um bis zu 8 Wochen langsamer lernen.“ Und niemand wisse bislang, wie sich der Lärm langfristig auf die Kinder auswirke oder ob bereits entstandene Defizite bei einem Umzug in ruhigere Gebiete wieder ausgeglichen werden könnten.

Gefragt ist in erster Linie der Gesetzgeber

Münzel zufolge sind vor allem 3 Gruppen von Menschen besonders lärmsensitiv: Kinder, Senioren und Patienten, die im Krankenhaus liegen. „In der Nähe von Kliniken sollten daher keine Start- oder Landebahnen gebaut werden dürfen“, fordert er. Tatsache sei aber, dass beispielsweise Patienten der Mainzer Uniklinik bei Ostwind pro Monat den Lärm von bis zu 5.000 Überflügen ertragen müssten.

 
Die Grenzwerte, die die WHO etwa für Krankenhausgelände vorschreibt, werden bei uns mit bis zu 20 Dezibel massiv überschritten. Prof. Dr. Thomas Münzel
 

Seiner Ansicht nach sind die deutschen Gesetze, die die Bevölkerung vor gesundheitlichen Schäden durch Lärm schützen sollen, völlig unzureichend. „Die Grenzwerte, die die WHO etwa für Krankenhausgelände vorschreibt, werden bei uns mit bis zu 20 Dezibel massiv überschritten“, kritisiert er. Dabei gebe es durchaus geeignete Maßnahmen, mit denen man Fluglärm eindämmen könne. So könnten Flugzeuge GPS-gesteuert vor allem bevölkerungsarme Gebiete überfliegen, kontinuierliche Sinkflüge einlegen beziehungsweise schlicht länger oben bleiben und steiler landen, schlägt Münzel vor.

Lärmgestresste Menschen brauchen einen jährlichen Herz-Kreislauf-Check

Seinen niedergelassenen Kollegen rät Münzel, bei Risiko-Patienten, die häufig Lärm ausgesetzt sind, einen jährlichen Herz-Kreislauf-Check zu machen sowie regelmäßig Langzeitblutdruckmessungen und Stress-Echos vorzunehmen.

 
Insbesondere all jene, die bereits herzkrank sind, sollten nächtlichen Lärm unbedingt vermeiden. Prof. Dr. Thomas Münzel
 

Den lärmgestressten Menschen selbst empfiehlt er, Ohrstöpsel auszuprobieren und eventuell ihre Häuser besser gegen Lärm zu dämmen. „Insbesondere all jene, die bereits herzkrank sind, sollten nächtlichen Lärm unbedingt vermeiden“, sagt er. Im Zweifelsfall sei es sogar besser und womöglich lebensrettend, in eine ruhigere Gegend umzuziehen.

 

REFERENZEN:

1. Münzel T, et al: JACC 2018;71(6):688-697

 

Kommentar

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