Multiresistente Keime in Gewässern in Niedersachsen: Wie riskant für die Gesundheit? Der Forschungsbedarf ist groß

Christian Beneker

Interessenkonflikte

14. Februar 2018

IIn Bächen, Badegewässern und der Kanalisation in Niedersachsen finden sich zum Teil überraschend hohe Konzentrationen von multiresistenten Erregern (MRE). Das haben Recherchen von NDR-Journalisten zur Keimbelastung von Gewässern ergeben. Das Problem: Bisher weiß niemand genau, wie groß die Ausbreitung tatsächlich ist – und was sie bedeutet. Ein Forschungsvorhaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) soll die Wissenslücke nun schließen [1].

An 12 Stellen vor allem im nordwestlichen Niedersachsen nahmen die Journalisten Proben: an Badegewässern, in Bächen und hinter Kläranlagen, sowie an der Kanalisation eines Krankenhauses. In allen Proben fanden sich multiresistente Erreger (MRE).

„Der Aufschrei wundert mich“

Doch eine direkte Infektionsgefahr droht dadurch nicht. Regine Szewzyk, Leiterin des Fachgebiets mikrobiologische Risiken im Umweltbundesamt, schätzt das Risiko einer Infektion mit multiresistenten Bakterien beim Baden als äußerst gering ein. Zudem findet sie die Ergebnisse der NDR-Recherchen nicht erstaunlich. „Es ist doch klar, dass die resistenten Bakterien, die in der Klinik oder der Tierhaltung entstehen, irgendwann in der Umwelt auftauchen“, sagt Szewzyk zu Medscape. „Der Aufschrei wundert mich etwas.“

Dass sich z.B. ein immungeschwächter Patient mit einer Wunde in einem Badegewässer mit multiresistenten Bakterien infiziert, sei aber höchst unwahrscheinlich. „Hinsichtlich der Badegewässer sehen wir deshalb keinen Handlungsbedarf für regelmäßige Untersuchungen“, so Szewzyk.

 
Es ist doch klar, dass die resistenten Bakterien, die in der Klinik oder der Tierhaltung entstehen, irgendwann in der Umwelt auftauchen. Regine Szewzyk
 

Außerdem „haben wir keine Bewertungskriterien für die Ergebnisse aus solchen Untersuchungen. Wir würden sicher sehr viele verschiedene resistente Bakterien finden, wissen aber nicht, bei welchen Ergebnissen wir Maßnahmen fordern müssten.“

Besorgniserregender ist nach ihrer Ansicht der Umstand, dass die steigende Belastung mit antibiotika-resistenten Keimen und Antibiotika in der Umwelt die Bildung neuer Resistenzen begünstigt. „So könnten multiresistente Bakterien entstehen und in Kliniken eingeschleppt werden, Bakterien, gegen die gar keine Antibiotika mehr helfen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Am besten wäre es, wenn sie durch gezielten Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin und in der Tierhaltung gar nicht erst entstehen und in die Umwelt gelangen.“

Nach Angaben des Umweltbundesamtes können auch Kläranlagen Bakterien nur reduzieren – und zwar um den Faktor 100 bis 1.000, so Szewzyk. Dies gilt auch für antibiotika-resistente Bakterien und Antibiotika-Resistenzgene „Das klingt nach viel. Aber bei hohen Konzentrationen im ungereinigten Abwasser reicht das nicht aus, und man findet noch viele resistente Bakterien und andere Krankheitserreger im gereinigten Abwasser.“ Daher empfiehlt das UBA eine weitergehende Abwasserreinigung, vor allem dort, wo das gereinigte Wasser in Badeseen und Trinkwasserreservoirs fließt.

Hoher Forschungsbedarf

Im Jahr 2016 hat das BMBF das Verbundprojekt „Biologische bzw. hygienisch-medizinische Relevanz und Kontrolle Antibiotika-resistenter Krankheitserreger in klinischen, landwirtschaftlichen und kommunalen Abwässern und deren Bedeutung in Rohwässern (HyReKA) auf den Weg gebracht. Die Projektbeteiligten suchen systematisch resistente Erreger – in Abwässern aus Krankenhäusern, kommunalen Bereichen, Tiermast- und Schlachtbetrieben sowie aus Flughäfen.

Besorgnis erregend sei vor allem der Fund (inzwischen bei besiedelten Patienten meldepflichtiger) Colistin-resistenter Erreger sowie ESBL-bildender Bakterien, die unter anderem gegen Penicilline resistent sind, sagt Prof. Dr. Martin Exner, Direktor des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit (IHPH) in Bonn, Leiter der Studie, zu Medscape.

Außerdem suchen die Wissenschaftler des HyReKA-Projekts auch nach der „hygienisch-medizinischen Relevanz resistenter Krankheitserreger in klinischen, landwirtschaftlichen und kommunalen Abwässern und deren Bedeutung für die Trinkwasseraufbereitung“, heißt es auf der Homepage des Projekts.

„Also – wie weit ist die Ausbreitung der Keime voran geschritten?“, konkretisiert Exner, „Woher genau stammen die Keime? Kann man mit belastetem Wasser noch Obst und Gemüse bewässern? Welche Konsequenzen für die Trinkwasser-Aufbereitung sind nötig?“

 
Kann man mit belastetem Wasser noch Obst und Gemüse bewässern? Welche Konsequenzen für die Trinkwasser-Aufbereitung sind nötig? Prof. Dr. Martin Exner
 

So testen die Hyreka-Forscher auch neue Reinigungsverfahren für Klärwerke, zum Beispiel UV- Bestrahlungen, Reinigung durch Ozon oder per Aktivkohlefiltrierung – Verfahren, die auch andere Schadstoffe und Krankheitserreger wie Viren und Parasiten reduzieren können.

Eventuell müsse man auch früher als im Klärwerk in den Wasserkreislauf eingreifen, meint Exner. „Möglicherweise gibt es auch Abwasserreservoire im medizinischen Bereich, die wir berücksichtigen müssen.“

Die Zeit drängt

Im März wollen die Wissenschaftler auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene in Berlin erste Ergebnisse vorstellen. Das Umweltbundesamt werde anhand der Daten entscheiden, ob „regulative Regelungen“ getroffen werden sollen, meint Exner. „Solche Maßnahmen, etwa an Klärwerken, sind teuer und müssen gut begründet sein.“

 
Wer als Tourist in Indien war, kommt mit Antibiotika-Resistenzen zurück … wir müssen uns vorbereiten. Prof. Dr. Martin Exner
 

Die Zeit drängt. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) sieht die weltweite Zunahme antibiotika-resistenter Bakterienstämme als eine der derzeit größten Herausforderungen für die Menschheit. „Wir erleben zum Beispiel die starke Ausbreitung resistenter Keime in Indien“, erinnert Exner. „Wer als Tourist in Indien war, kommt mit Antibiotika-Resistenzen zurück.“ So weit sei es in Europa zwar noch nicht. „Aber wir müssen uns vorbereiten.

 

REFERENZEN:

1. Verbundprojekt „HyReKA“

 

Kommentar

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