Glioblastom: Der Einsatz von Tumortherapiefeldern bedarf weiterer Klärung – meinen deutsche Neurologen

Dr. Ingrid Horn

Interessenkonflikte

13. Februar 2018

Alles, was bei einer unheilbaren Erkrankung das progressionsfreie Überleben bzw. das Gesamtüberleben verlängert, ist zumindest ein Hoffnungsschimmer. Das gilt auch für den Einsatz der in den USA entwickelten Tumortherapie-Felder (TTF) beim Glioblastom, die über Transducer-Arrays appliziert werden.

Prof. Dr. Wolfgang Wick

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat auf die in JAMA publizierten End-Ergebnisse der vom Hersteller Novocure finanzierten klinischen Studie und dessen aggressive Vermarktungsstrategie mit einer deutlichen Stellungnahme reagiert [1]: „Wir können keine eindeutige Empfehlung abgeben, bevor die positiven Resultate der aktuellen Studie durch eine unabhängige Arbeitsgruppe und im Vergleich zu einer Placebo-Behandlung bestätigt werden“, stellt Prof. Dr. Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg, fest [2]. Mit diesem Statement wollen die DGN sowie die Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft (NOA), deren Sprecher Wick ist, auch verhindern, dass bei den schwerkranken Patienten nicht erfüllbare Hoffnungen geweckt werden.

Nicht jeder Patient ist geeignet

Prof. Dr. Peter Hau

Am Zentrum für Hirntumore (ZHT) der Universität Regensburg sieht man das nicht ganz so rigoros. Dort werden nach eigenen Aussagen vergleichsweise viele Patienten betreut, die TTF anwenden. „Prinzipiell finden wir, dass Therapien, die in großen Studien entwickelt wurden und statistisch eindeutig positiv sind, den Patienten grundsätzlich auch angeboten werden sollten – allerdings mit der gebotenen kritischen Kommentierung. Dies ist unsere generelle Richtlinie für alle Behandlungen, also auch für die TTF-Methode“, äußert Prof. Dr. Peter Hau, Leiter der am ZHT angesiedelten Wilhelm-Sander-Therapieeinheit NeuroOnkologie, gegenüber Medscape.

Man beschränke das Angebot daher auf Patienten, die die in der JAMA-Studie festgelegten Auswahlkriterien erfüllten und bei denen es somit um die Erstbehandlung eines Glioblastoms gehe. Ein weiteres wesentliches Auswahlkriterium sei die Compliance: „Es ist extrem wichtig, dass die Patienten die Transducer-Arrays mindestens 18 Stunden am Tag tragen. Patienten, bei denen eine solch hohe Compliance nicht zu erwarten ist, profitieren mit wesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit von der Therapie und bekommen das Angebot folglich auch nicht“, erläutert der Neuroonkologe die Vorgehensweise in Regensburg.

 
Es muss vor allem vermieden werden, dass bei den Patienten der Eindruck erweckt wird, etwas grundsätzlich falsch zu machen, wenn sie sich gegen die TTF-Methode entscheiden. Prof. Dr. Wolfgang Wick
 

Elektrische Felder hemmen die Zellteilung

Die TTF-Methode ist seit Oktober 2015 in den USA für die Behandlung des erstmals diagnostizierten Glioblastoms multiforme(GBM) sowie für rezidivierende GBM zugelassen. In Deutschland steht sie aufgrund einer CE-Zertifizierung durch die EU ebenfalls zur Verfügung. Die Methode basiert auf dem physikalischen Konzept rasch wechselnder schwacher elektrischer Felder, die die Spindelbildung während der Mitose stören. Sie sollen so die Teilung der Tumorzellen zumindest erschweren und letztlich die Apoptose fördern.

Appliziert werden die Felder über Keramik-Gel-Pads (Transducer-Arrays), die dem Patienten auf dem kahlrasierten Kopf geklebt werden. Die Felder werden von einem Gerät erzeugt, das der Patient in einem Rucksack mit sich führen kann und seine Alltagsaktivitäten kaum beeinträchtigen soll.

Eindeutig lebensverlängerndes Potenzial

Die End-Ergebnisse bestätigen die Zwischenergebnisse einer Phase 3-Studie, welche wiederum zur vorzeitigen Zulassung der Methode geführt hatten. In 83 Zentren wurden zwischen den Jahren 2009 und 2014 insgesamt 695 Patienten rekrutiert und bis Dezember 2016 verfolgt. 2 Drittel von ihnen wurden im Anschluss an die Standard-Radiochemotherapie mit TTF parallel zur Erhaltungstherapie mit Temozolomid behandelt, während das restliche Drittel lediglich die Erhaltungs-Chemotherapie erhielt.

Unter der Kombinationsbehandlung blieben die Patienten im Mittel 6,7 Monate progressionsfrei, während es unter der alleinigen Temozolomid-Gabe nur 4,0 Monate waren. Die TTF-behandelten Patienten lebten außerdem im Mittel fast 5 Monate länger (20,9 vs 16,0 Monate). Beide Ergebnisse sind statistisch signifikant.

Wider eines falschen Eindrucks

Das Glioblastom als häufigster und aggressivster Hirntumor hat eine sehr schlechte Prognose. Innerhalb von 2 Jahren nach der Diagnose sterben etwa 75% der Erkrankten, die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei unter 10%. Wie Stupp und Mitautoren schreiben, waren nach 2 Jahren noch 43% der mit TTF plus Temozolomid behandelten Patienten am Leben im Vergleich zu 31% in der reinen Temozolomid-Gruppe. Nach 5 Jahren betrug das Verhältnis 13 zu 5%.

 
Ein potentieller Überlebensvorteil von Monaten ist beim Glioblastom ein recht großer Schritt. Prof. Dr. Peter Hau
 

Dennoch herrscht laut Wick ein breiter Konsens, dass die TTF-Methode kein neuer Therapie-Standard ist, sondern lediglich eine Option bleibt. „Es muss vor allem vermieden werden, dass bei den Patienten der Eindruck erweckt wird, etwas grundsätzlich falsch zu machen, wenn sie sich gegen die TTF-Methode entscheiden“, formuliert der Heidelberger Neurologe das gemeinsame Anliegen von DGN und NOA.

Er sei skeptisch, wenn zu viele nicht wissenschaftliche (kommerzielle) oder nicht patienten-bezogene Argumente Einfluss auf Therapieentscheidungen nehmen, wie es der Hersteller offenbar derzeit versuche. So habe man von Patienten erfahren, dass ihnen geraten werde, die Transducer Arrays auch dann noch zu tragen, wenn die Krankheit weiter fortschreite, obwohl ein Nutzen in dieser Phase nicht nachgewiesen sei.

Deutsche Studie soll Wertigkeit klären

„Ein potentieller Überlebensvorteil von Monaten ist beim Glioblastom ein recht großer Schritt“, urteilt Hau. Das sei auch bei früheren Medikamentenzulassungen nicht anders gewesen. Für ihn hat die TTF-Methode deshalb durchaus ihren Stellenwert. Den Bedenken seiner Kollegen kann er allerdings folgen. „Es ergeben sich einige Fragen, z.B. aus der hohen Zahl der für die Studie vorgesehenen, aber letztlich nicht eingeschlossenen Patienten sowie aus der Tatsache, dass die Therapie aufgrund der aufwändigen Technik personell sehr intensiv begleitet wurde, die Behandlung im Vergleichsarm aber nicht“, erläutert er den Sachverhalt. Hier seien Placebo-Effekte nicht auszuschließen.

Der Regensburger Neuroonkologe begrüßt es deshalb, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nun eine unabhängige Studie in Deutschland initiiert, wie es die DGN fordert. Diese zweite Studie mit fast 1.000 Patienten wird derzeit unter Beteiligung der NOA vorbereitet. „Von ihr erwarte ich mir eine endgültige Klärung der Wertigkeit der TTF-Therapie“, so Hau weiter. Außerdem brächte dieses Vorgehen einen weiteren Vorteil mit sich: Die Behandlungen während der Laufzeit der Studie können über die Studienteilnahme erfolgen und müssen nicht mehr individuell bei den Krankenkassen beantragt werden.

 

REFERENZEN:

1. Stupp R, et al: JAMA 2017;318(23):2306-2316

2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Pressemitteilung, 1. Februar 2018

 

Kommentar

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