Für Männer mit noch nicht metastasierendem, aber kastrationsresistentem Prostatakarzinom (nmCRPC), bei dem man bislang kaum Möglichkeiten hat, könnte bald eine Behandlungsoption zur Verfügung stehen: In der jetzt im New England Journal of Medicine veröffentlichten SPARTAN-Studie verlängerte der Wirkstoff Apalutamid das metastasenfreie Überleben im Vergleich zu Placebo um über 20 Monate [1]. Die Ergebnisse von SPARTAN sind zeitgleich zur Publikation beim Genitourinary Cancers Symposium (GUCS) in San Francisco präsentiert und diskutiert worden. Eine weitere Therapieoption könnte Enzalutamid sein, das in der ebenfalls beim GUCS vorgestellten PROSPER-Studie untersucht worden war – die Studie ist bislang aber nicht veröffentlicht. Bei beiden Wirkstoffen handelt es sich um orale Androgenrezeptor-Inhibitoren.
In SPARTAN randomisierten Dr. Matthew R. Smith vom Massachusetts General Hospital Cancer Center in Boston, USA, und Kollegen Männer (n = 1.207) mit nmCRPC, deren PSA-Wert sich innerhalb von 10 Monaten verdoppelt hatte (dann gilt das Prostatakarzinom als kastrationsresistent), auf Apalutamid (n = 806; 240 mg pro Tag) oder auf Placebo (n = 401). Alle Patienten erhielten weiterhin eine Androgen-Deprivationstherapie (ADT). Unter Apalutamid sank das Risiko für Fernmetastasen und Tod um 72% (Hazard Ratio: 0,28; 95%-Konfidenzintervall: 0,23–0,35; p < 0,001), mit einem medianen metastasen-freien Überleben (MFS) von 40,5 vs 16,2 Monaten in der Placebo-Gruppe (eine Verbesserung um 24,3 Monate).

Prof.Dr. Christian Wülfing
„SPARTAN ist eine beeindruckende Studie. Die primären Endpunkte werden erreicht, das metastasenfreie Überleben ist um 2 Jahre verlängert“, kommentiert Prof. Dr. Christian Wülfing, Chefarzt der Urologie der Asklepios Klinik Altona und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) gegenüber Medscape die Studienergebnisse. „Die Risikoverringerung ist hochsignifikant und der Effekt zeigt sich in allen Subgruppen“, fügt Wülfing hinzu.
Die Behandlung mit Apalutamid verringerte das Risiko einer symptomatischen Progression signifikant um 55% im Vergleich zu Placebo (HR = 0,447; 95%-KI: 0,315–0,634; p < 0,0001), ferner zeigte sich eine Reduktion des Risikos bei der Zeit bis zur PSA-Progression um 94% (HR: 0,06; 95%-KI, 0,05–0,08; p < 0,0001).
Der primäre Endpunkt des metastasenfreien Überlebens wurde definiert als die Zeit von der Randomisierung bis zum ersten radiographischen Nachweis einer Metastase oder des Todes. Patienten, bei denen sich Fernmetastasen zeigten, erhielten Abirateronacetat plus Prednison. Bei der medianen Nachbeobachtung von 20,3 Monaten befanden sich 61% der Patienten, die Apalutamid erhielten, und 30% der Patienten, die Placebo erhielten, noch in Behandlung.
Die Rate der unerwünschten Ereignisse, die zum Abbruch der Behandlung führten, betrug 10,6% in der Apalutamid-Gruppe und 7,0% in der Placebo-Gruppe. Die folgenden unerwünschten Ereignisse traten unter Apalutamid häufiger auf: Ausschlag (23,8% vs 5,5%), Hypothyreose (8,1% vs 2,0) und Arthralgien (15,9 vs 7,5%). „Auffällig ist, dass auch Stürze und Frakturen unter Apalutamid häufiger auftraten“, erinnert Wülfing (Stürze: 15,9% vs 9% und Frakturen 11,7% vs. 6,5 %).
Für Männer mit nmCRPC gibt es derzeit keinen Behandlungsstandard. Bei diesen Patienten steigt nach einer Operation oder Strahlentherapie trotz Androgen-Entzug (ADT) das PSA rapide an. „Beide Studien adressieren einen großen klinischen Bedarf für Patienten mit nmCRPC, die derzeit im Allgemeinen nur beobachtet werden“, sagt Dr. Alexander Kutikov, Leiter der urologischen Onkologie am Fox Chase Cancer Center in Philadelphia, Pennsylvania, der nicht an der Forschung beteiligt war, gegenüber Medscape Medical News .
Apalutamid – Zulassung bei der EMA beantragt
Apalutamid ist ein oraler Androgenrezeptor (AR)-Hemmer der nächsten Generation und wird zur Therapie von Männern mit nicht-metastasierendem Prostatakrebs (CRPC) eingesetzt. Es hemmt die Wirkung von Testosteron in Prostata-Krebszellen und verhindert die Bindung des Androgens an den Androgenrezeptor. Janssen Biotech hat bei der FDA einen Zulassungsantrag für Apalutamid gestellt. Und kurz vor Weihnachten hatte die FDA mitgeteilt, dem Wirkstoff eine vorrangige Prüfung einzuräumen. Derzeit gibt es keine von der FDA zugelassenen Medikamente für Patienten mit nicht-metastasierendem CRPC. Vor wenigen Tagen nun hat Janssen auch bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA einen Antrag auf Zulassung von Apalutamid eingereicht.
„Patienten mit nicht metastasiertem, kastrationsrefraktären Prostatakarzinom und einer kurzen PSA-Verdopplungszeit haben ein hohes Risiko für das Auftreten von Metastasen“, erklärt Wülfing. Im metastasierten Stadium ist das Risiko für den Prostatakarzinom-spezifischen Tod sehr hoch. „Eine Prävention der Metastasen-Bildung ist bislang therapeutisch nicht möglich.“
Das sei nun aber der Fall, meint Prof. Dr. Eric J. Small von der Universität von Kalifornien. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass Apalutamid als neuer Behandlungsstandard für Männer mit Hochrisiko-nmCRPC angesehen werden sollte“, so der Leiter der SPARTAM-Studie zu den Ergebnissen in einem Pressegespräch im Rahmen der GUCS. Im Vergleich der beiden Gruppen bei der Lebensqualität gebe es „keinen Rückgang der Lebensqualität bei Apalutamid“, berichtete Small. Es gebe auch keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen bei schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen, sagte er.
Der klinische Benefit ist noch nicht klar herausgearbeitet
Eine positive Bilanz zieht auch Dr. Philip Kantoff vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York City. „Sowohl Apalutamid als auch Enzalutamid verzögern die Metastasierung bei Männern mit nmCRPC um beeindruckende 2 Jahre. Beide Medikamente sind biologisch sehr aktiv. Die Ergebnisse geben uns potenziell 2 neue Optionen für Männer mit nmCRPC. Die Verzögerung des Auftretens von krankheitsbedingten Symptomen deutet auf Anhaltspunkte für einen klinischen Benefit hin“, kommentierte Kantoff in einer GUCS-Session die SPARTAN-Ergebnisse.
Wie deutlich ist der klinische Benefit? Wülfing erinnert daran, dass für das Gesamtüberleben bislang nur eine Zwischenanalyse vorliegt. Die weist bislang eine Risikoreduktion um 30% auf (HR: 0,70, p = 0,07) und ist nicht signifikant. „Es ist derzeit noch zu früh um das Gesamtüberleben abschließend zu bewerten, aufgrund des zu kurzen Follow-ups ist der Gesamt-Überlebensvorteil noch nicht klar“, so Wülfing. Das verzögerte Auftreten von Metastasen könnte zumindest die Lebensqualität verbessern.
Dass asymptomatische Prostatakarzinom-Patienten ohne Metastasen überhaupt behandelt werden, hat verschiedene Gründe: „Die Angst vor dem PSA-Anstieg, um das Auftreten von Symptomen zu verzögern oder die Notwendigkeit für weitere Therapien (u.a. Chemotherapie) – und nicht zuletzt, kann die frühere Behandlung das Überleben verlängern“, zählte Kantoff auf. „Allerdings“, fügt er hinzu, „erfordert die Behandlung asymptomatischer Patienten, dass der Nutzen das Risiko deutlich überwiegt.“
„Deshalb muss die Behandlung von asymptomatischen, nicht metastasierten Patienten gut abgewogen werden gegen eine längere Behandlungszeit mit Medikamenten und potentiell häufigere Nebenwirkungen“, erklärt Wülfing. Das ginge in Ordnung, wenn ein klarer klinischer Nutzen – z.B. eine Lebensverlängerung oder Verbesserung der Lebensqualität – vorläge. „Der klinische Benefit ist aber noch nicht ganz klar herausgearbeitet“, erinnert Wülfing.
Auch Kantoff weist darauf hin, dass der klinische Nutzen bis dato noch nicht voll ermittelt ist. So müssten einige unerwünschte Effekte besser definiert werden: „Mehr Nebenwirkungen – Stürze und Frakturen unter Apalutamid – müssen besser verstanden werden, um zu bestimmen, wer ein hohes Risiko hat und um das Risiko zu minimieren.“ Kantoff betont auch, dass die Toxizitäten des Wirkstoffs noch genauer unter die Lupe genommen und verstanden werden müssten.
„Die Ergebnisse beider Studien deuten darauf hin, dass es endlich eine Behandlung geben könnte, die ein echtes Versprechen für die Verlängerung von Gesundheit und Leben bietet“, kommentierte Dr. Sumanta K. Pal, urologischer Onkologe bei City of Hope in Duarte, Kalifornien. Er moderierte das Pressegespräch als Experte der American Society of Clinical Oncology (ASCO). Und Kutikov ist sicher: „Die berichteten Ergebnisse werden zweifellos die Behandlungsparadigmen für diese Patienten gravierend verändern, die Zeit bis zur Metastasierung verzögern und hoffentlich das Überleben verlängern.“
Enzalutamid – die PROSPER-Studie
In der ebenfalls beim Kongress vorgestellten, aber noch unpublizierten PROSPER-Studie wurden 1.401 Männer mit nmCRPC auf Enzalutamid (160 mg pro Tag) oder Placebo randomisiert. Enzalutamid, das ebenfalls die Bindung des Androgens an den Rezeptor hemmt, verringerte dabei das Risiko für Fernmetastasen oder den Tod um 71% (HR: 0,29; 95%-KI, 0,24-0,35; p<0,001), mit einem medianen metastasenfreien Überleben von 36,6 vs 14,7 Monaten in der Placebo-Gruppe (eine Verbesserung um 21,9 Monate).
„In der PROSPER-Studie verzögerte die Behandlung mit Enzalutamid plus ADT die Entwicklung von Metastasen im Vergleich zum Standard der ADT allein. Diese Therapie kann, wenn sie genehmigt wird, Männern mit nicht metastasierendem, kastrationsresistentem Prostatakrebs eine wichtige neue Behandlungsoption bieten“, sagt Studienautorin Prof. Dr. Maha Hussain, Northwestern University, Chicago, Illinois, gegenüber Medscape Medical News.
REFERENZEN:
1. Smith MR, et al: NEJM (online) 8. Februar 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Endlich Erfolge beim kastrationsresistenten Prostata-Ca: Neue Therapien verzögern Metastasierung um mehr als 20 Monate - Medscape - 12. Feb 2018.
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