Sollten Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko, etwa einer koronaren Herzkrankheit (KHK) in der Anamnese, Omega-3-Fettsäuren als Nahrungsergänzungsmittel einnehmen? Eine aktuelle Metaanalyse von 10 großen, randomisierten Interventionsstudien spricht dagegen: „Die Ergebnisse unterstützen Empfehlungen nicht, Supplemente mit Omega-3-Fettsäuren zur Prävention von KHK oder anderen kardiovaskulären Erkrankungen bei Personen mit hohem kardiovaskulärem Risiko einzusetzen“, schreiben Dr. Theingi Aung von der Clinical Trial Service Unit der University of Oxford, Großbritannien, und ihre Kollegen von der Omega-3 Treatment Trialists’ Collaboration [1].
Aktuelle Evidenz stützt Supplementierung nicht

Prof. Dr. Harm Wienbergen
Prof. Dr. Harm Wienbergen, Leiter des Bremer Institutes für Herz- und Kreislaufforschung der Stiftung Bremer Herzen am Klinikum Links der Weser, bestätigt gegenüber Medscape: „Im Moment rechtfertigt die Studienlage nicht, unseren Patienten zur Einnahme von Omega-3-Fettsäure-Kapseln zu raten.“ Erledigt sei das Thema Omega-3-Fettsäuren damit aber nicht. „Um mit Sicherheit sagen zu können, dass Omega-3-Fettsäuren als Nahrungsergänzungsmittel keinen Effekt haben, sind genauere Untersuchungen notwendig.“

Prof. Dr. Clemens von Schacky
„Bei den Omega-3-Fettsäuren haben wir das Problem, dass die wissenschaftlichen Daten, die zu den großen Interventionsstudien geführt haben, konkordant zeigen, dass Omega-3-Fettsäuren etwas bringen. Aber die großen Interventionsstudien selbst zeigen keinen Effekt“, erklärt Prof. Dr. Clemens von Schacky, Leiter der Abteilung Präventive Kardiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Studiendesign oft mangelhaft
Gründe für diese Diskrepanz sieht von Schacky vor allem im Studiendesign: „Nahrungsergänzungsmittel mit Omega-3-Fettsäuren müssen zur Hauptmahlzeit eingenommen werden, damit sie vom Körper aufgenommen werden können. Außerdem spielt es für die Effektivität der Supplementation eine Rolle, wie hoch der Ausgangsspiegel an Omega-3-Fettsäuren ist.“ Diese wichtigen Aspekte seien in den großen Interventionsstudien nicht berücksichtigt worden – auch weil sie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Studien entworfen wurden, noch nicht bekannt gewesen seien.
An den 10 in die aktuelle Metaanalyse eingeschlossenen Studien nahmen insgesamt fast 78.000 Patienten teil. Es handelte sich vorwiegend um Männer, die im Schnitt 64 Jahre alt waren. Die Nahrungsergänzung bestand in den meisten Studien aus einer Kombination aus Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA). Die EPA-Dosis lag bei 226 bis 1.800 mg am
Die Studienteilnehmer hatten ein hohes kardiovaskuläres Risiko: Etwa 2 Drittel von ihnen hatten eine KHK in der Vorgeschichte, andere hatten bereits einen Schlaganfall gehabt oder waren an Diabetes erkrankt.
Unter allen Teilnehmern kam es zu insgesamt 12.001 schweren vaskulären Ereignissen, darunter zu 2.276 nicht tödlichen Herzinfarkten, 2.695 KHK-Todesfällen, 1.713 Schlaganfällen und 6.603 Revaskularisierungen.
Kein Schutz, kein Schaden
Patienten, die auf einen Studienarm mit Omega-3-Fettsäuren-Supplementierung randomisiert worden waren, hatten kein niedrigeres (oder höheres) Risiko für KHK-bedingte Ereignisse insgesamt, KHK-bedingten Tod oder nicht tödliche Herzinfarkte. Ebenso wenig gab es eine Assoziation zwischen der Einnahme von Omega-3-Fettsäuren und dem Auftreten von schweren vaskulären Ereignissen insgesamt, Schlaganfällen und Revaskularisierungen. Und auch auf die Gesamtmortalität war kein Einfluss der Supplementierung zu beobachten. In Subgruppenanalysen – etwa bei Patienten mit KHK in der Vorgeschichte, mit Diabetes-Erkrankung oder mit Statin-Therapie – fielen die Ergebnisse ähnlich aus.
Für von Schacky ist klar: „Wir brauchen dringend neue Interventionsstudien in der Kardiologie. Und in diesen Studien müssen die Supplemente nicht nur zur richtigen Zeit eingenommen werden, sie müssen auch Teilnehmer mit niedrigem Omega-3-Fettsäure-Spiegel rekrutieren.“
Die EPA- und DHA-Spiegel sind von Individuum zu Individuum verschieden. „Manche Menschen haben schon von vornherein einen hohen Spiegel, bei ihnen wird sich in einer Interventionsstudie kein Effekt zeigen“, so von Schacky.
Omega-3-Fettsäure-Spiegel bestimmen
„Es ist durchaus nachvollziehbar, dass man die Omega-3-Fettsäure-Spiegel eigentlich messen müsste und dann nur bei den Patienten supplementiert, die niedrige Spiegel haben“, sagt Wienbergen. Allerdings stelle sich die Frage, ob das im Alltag machbar sei.
Die bislang einzige standardisierte Methode zur Bestimmung des Omega-3-Fettsäure-Spiegels ist der von von Schacky mitentwickelte HS-Omega-3-Index. Er gibt den Prozentsatz an EPA und DHA an einer Gesamtzahl von 26 Fettsäuren an – gemessen in den Erythrozyten. „Als optimal gilt ein Wert von 10 Prozent“, berichtet von Schacky.
Eine 2016 in Circulation erschienene Studie zum Effekt von Omega-3-Fettsäuren nach einem Herzinfarkt zeigt: Bei Aufnahme von Patienten mit niedrigem Omega-3-Index – im Schnitt lag er bei knapp über 5% –, die ihre Kapseln zur Hauptmahlzeit schlucken, ist ein signifikanter Benefit der Supplementierung zu beobachten.
Höhere Dosierungen nötig?
Auch die Autoren der Metaanalyse um Aung betonen die Notwendigkeit weiterer Forschungsarbeiten: „Unsere Metaanalyse liefert keine Evidenz für eine Supplementierung mit ca. 1 Gramm Omega-3-Fettsäuren am Tag.“ Aber wie sieht es mit höheren Dosierungen aus? Das werden mehrere große randomisierte Studien mit weiteren 54.000 Studienteilnehmern zeigen, die derzeit noch laufen. „Die Studien STRENGTH und REDUCE-IT werden die Effekte viel höherer Dosierungen von Omega-3-Fettsäuren [3 bis 4 g am Tag] auf vaskuläre Ereignisse überprüfen“, schreiben Aung und ihre Kollegen.
Bis neue, potenziell aufschlussreichere Evidenz zum Nutzen einer Nahrungsergänzung mit Omega-3-Fettsäuren zur Verfügung steht, rät Wienbergen zu einem Vorgehen nach der Leitlinie der European Society of Cardiology. Danach sollten Ärzte ihren Patienten zur kardiovaskulären Prävention zu einer ausgewogenen Ernährung raten, vorzugsweise einer mediterranen Kost, die relativ fischreich ist. Weitere Nahrungsergänzungsmittel seien dann nicht notwendig.
REFERENZEN:
1. Aung T, et al: JAMA Cardiology (online) 31. Januar 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Omega-3-Fettsäuren schützen laut Metaanalyse doch nicht das Herz von Hochrisikopatienten – Experten sind skeptisch - Medscape - 12. Feb 2018.
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