Weltkrebstag: 5 deutsche Projekte, wie sich das „Valley of Death“ auf dem Weg zu neuen Therapien überwinden lässt

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

2. Februar 2018

Heidelberg – Die Wissenschaftler selbst bezeichnen es als „Valley of Death“ – wenn vielversprechende Ansätze für neue Therapien den „Sprung“ von der Präklinik in die klinische Forschung nicht schaffen. So kann es passieren, dass manche Idee, die Leben retten könnte, liegen bleibt und gar nicht oder erst nach Jahrzehnten beim Patienten ankommt.

Um das „Valley of Death“ in der Onkologie zu überwinden, wurde das „Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung“ (DKTK), gegründet. Mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) als Kernzentrum vereint das DKTK deutschlandweit mehr als 20 Forschungseinrichtungen und Unikliniken in 8 „Translationszentren“. Neben Heidelberg sind dies Dresden, Freiburg, München, Essen/Düsseldorf, Tübingen, Frankfurt/Mainz und Berlin.

5 erfolgreiche Beispiele wie mit Hilfe solcher translationaler Strukturen Grundlagenforschung zügig in die klinische Praxis übertragen und damit das „Valley of Death“ übersprungen werden kann, präsentierten Forscher und Mediziner der verschiedenen Zentren bei einer Pressekonferenz am DKFZ in Heidelberg anlässlich des Weltkrebstages 2018, der am 4. Februar stattfindet. Es handelt sich dabei z.B. um vielversprechende Ansätze gegen Hirntumoren und Leukämien, gegen ein bösartiges Haut-Lymphom oder fortgeschrittenen Prostatakrebs.

Prof. Dr. Michael Baumann, Vorstandvorsitzender des DKFZ, forderte bei der Konferenz: „Wir benötigen eine Translations-Kultur. Diese muss Teil des Nationalen Krebsplanes werden!“ Wie aktuelle Umfragen zeigen, ist „Krebs“ nach wie vor die Erkrankung, vor der die Menschen am meisten Angst haben. Zwar sind die Erfolge mit den modernen Therapien erheblich – so haben sich etwa die Chancen, eine Brustkrebsdiagnose zu überleben, in den letzten 3 Jahrzehnten in etwa verdoppelt – doch auch die Erwartungen an die Therapien sind gestiegen – sowie die Erwartung, dass die Erfolge auch zügig bei den Patienten ankommen.

Die IDH1-Mutation – in Kooperation mit der Industrie schneller zum Erfolg

Ein Beispiel einer solch zügigen Entwicklung von ersten Forschungsansätzen bis zu klinischen Studien mit einem neuen Medikament präsentierte Dr. Stefan Pusch von der Klinischen Kooperationseinheit Neuropathologie, DKFZ und Universitätsklinikum Heidelberg.

 
Wir benötigen eine Translations-Kultur. Diese muss Teil des Nationalen Krebsplanes werden! Prof. Dr. Michael Baumann
 

Erst im Jahr 2006 ist die Mutation des Enzyms IDH1 (Isocitrat-Dehydrogenase 1) entdeckt und 2009 das Wirkprinzip als Krebsursache aufgedeckt worden: Ein Austausch an der Aminosäureposition 132 führt dazu, das die Zellen einen krebsfördernden Metaboliten anhäufen. 2013 hatte man erste Inhibitoren, die spezifisch die an Position 132 mutierte IDH1 hemmen.

Die 132-Mutation der IDH1 findet sich bei Hirntumoren wie Oligodendrogliomen, diffusen Astrozytomen und einem kleinen Anteil der Glioblastome, aber auch bei etwa 10% der akuten myeloischen Leukämien (AML) sowie bei Gallengangs-Karzinomen und bestimmten bösartigen Knochentumoren.

Um das Projekt möglichst rasch voranzutreiben, ist das DKFZ eine „strategische Allianz“ mit dem Unternehmen Bayer Healthcare eingegangen, berichtete Pusch. „Eine Entwicklung zum Medikament ist ohne finanzstarken Partner kaum möglich.“ Beide seien gleichberechtigte Partner, „Kosten und finanzielle Rückflüsse werden geteilt“.

Im Jahr 2014 schon gab es mit BAY1436032 den ersten klinischen Kandidaten, einen Inhibitor, der tatsächlich hochselektiv das mutierte Enzym blockiert. Die Substanz wirke bei allen IDH1-Mutationen und gehe auch ins Gehirn, berichtete Pusch. Im Tumormodell von Mäusen, denen menschliche Astrozytom- oder Leukämie-Zellen übertragen worden waren, ließ sich damit die Überlebenszeit verlängern. Dabei werden die Krebszellen nicht abgetötet, sie scheinen zu normalen Zellen auszureifen, berichtete er.

Derzeit laufen bereits klinische Phase-1- und -2-Studien bei Patienten mit Gliomen und anderen soliden Tumoren mit nachgewiesener IDH1-Mutation in Deutschland, Dänemark, USA und Japan. Unter der Leitung von Prof. Dr. Alwin Krämer, Medizinische Klinik V des Universitätsklinikums Heidelberg, ist im vergangenen Jahr auch eine Studie mit AML-Patienten mit IDH1-Mutation gestartet worden. Der neue Wirkstoff scheint gut verträglich zu sein.

„Es ist uns gelungen, den IDH1-Inhibitor innerhalb der erstaunlich kurzen Zeit von 5 Jahren zu entwickeln und in die klinische Prüfung zu bringen“, sagte Pusch. „Dies wäre ohne die Kooperation mit einem Unternehmen nicht zu erreichen gewesen.“ Und falls der Wirkstoff erfolgreich ist, kann auch die weitere Krebsforschung davon profitieren. Denn, wie es vom DKFZ auf Medscape-Nachfrage hieß, seien in solchen Fällen „Rückflüsse im bis zu 2-stelligen Millionenbereich möglich“.

Psoriasis-Wirkstoff gegen tödliches Haut-Lymphom

Doch es gibt auch andere Wege aus dem „Valley of Death“ – etwa wenn sich bereits für andere Indikationen verfügbare Wirkstoffe auch als wirksam gegen Krebserkrankungen erweisen. Einen solchen Fall stellte PD Dr. Karsten Gülow, Abteilung Immungenetik am DKFZ, vor.

 
Es ist uns gelungen, den IDH1-Inhibitor innerhalb der erstaunlich kurzen Zeit von 5 Jahren zu entwickeln und in die klinische Prüfung zu bringen. Dr. Stefan Pusch
 

Es handelt sich um den Wirkstoff Di-Methyl-Fumarat (DMF), der als Fumaderm® gegen Psoriasis eingesetzt wird. Er wirkt unter anderem gegen den Transkriptionsfaktor NFkappaB, dessen konstitutive Aktivierung vor allem bei vielen Leukämien und Lymphomen dazu führt, dass die Krebszellen nicht mehr auf Signale reagieren, die den programmierten Zelltod, die Apoptose, einleiten. Früher erprobte Hemmstoffe von NFkappaB erwiesen sich als zu giftig, um in der Therapie eingesetzt zu werden, berichtete Gülow.

Der Vorteil von DMF ist, dass es sich um ein bereits zugelassenes Medikament handelt. „So können wir die gesamte Toxikologie und Sicherheitsprüfung inklusive der Phase-1-Studien überspringen. Das hat uns einen schnellen Einstieg in klinische Studien ermöglicht.“ In ihren Studien konzentrieren sich die Wissenschaftler auf das Sézary-Syndrom, ein seltenes, aber sehr bösartiges und bislang unheilbares kutanes T-Zell-Lymphom.

Dass DMF ein bereits schon länger eingesetztes Präparat ist, hatte in diesem Fall aber nicht nur Vor- sondern vor allem auch Nachteile für die Translation, berichtete Gülow: „Der Hersteller Biogen hatte bei der Patentierung eine breite Palette möglicher Anwendungen gesichert – auch im Bereich Krebs – ohne dass dies jemals klinisch weiterverfolgt worden wäre.“ Inzwischen sei das Patent zwar ausgelaufen, doch der Einsatz von DMF gegen Krebs sei nun nicht mehr patentierbar – und damit für die Industrie uninteressant.

 
Wir können die gesamte Toxikologie und Sicherheitsprüfung inklusive der Phase-1-Studien überspringen, was uns einen schnellen Einstieg in klinische Studien ermöglicht. PD Dr. Karsten Gülow
 

Trotzdem konnten die Forscher 2016 eine klinische Phase-2a-Studie mit Patienten mit Sézary-Syndrom starten – dank einer Förderung durch die „Helmholtz Alliance for Immunotherapy“. Die Multicenter-Studie, für die etwa 25 Patienten rekrutiert werden sollen (es gibt etwa 200 bis 300 Sézary-Syndrom-Diagnosen jährlich in Deutschland) findet unter der Leitung von Prof. Dr. Sergij Goerdt an der Hautklinik Mannheim statt. Ergebnisse sollen 2019 vorliegen.

Prostatakarzinom: Anker für Krebszellen transportiert „Laternen“ oder auch ein Radiotherapeutikum

Ein weiteres positives Beispiel für gelungene Translation stellte Prof. Dr. Klaus Kopka, Leiter der Abteilung Radiopharmazeutische Chemie am DKFZ und DKTK, für das Prostatakarzinom vor: Der am DKFZ entwickelte Wirkstoff PSMA-617 kann spezifisch an Prostata-Krebszellen andocken. PSMA (Prostata-spezifisches Membran-Antigen) findet sich zwar auch auf der Oberfläche von gesunden Prostata-Zellen, ist aber auf den Krebszellen sehr viel häufiger. „Da das Protein auf anderen Körperzellen kaum vorkommt, ist es ein ideales Zielmolekül für die Diagnostik und für zielgerichtete Therapien“, so Kopka.

So koppelten die Wissenschaftler PSMA-617 mit „einer Laterne“, berichtete der Wissenschaftler – mit dem schwach strahlenden Radionuklid Gallium-68. Bei PET-Untersuchungen lassen sich so selbst kleinste Absiedlungen des Prostatakarzinoms im Körper sichtbar machen.

Doch der Einsatz beschränkt sich nicht nur auf die Diagnostik: Gekoppelt mit einem therapeutischen Radiopharmakon (als Lutetium-177 PSMA 617) lässt sich das Molekül auch für die Therapie der Metastasen nutzen: Das Radiopharmakon wird von den Tumorzellen, die PSMA tragen, aufgenommen und diese werden „von innen“ zerstört. PSMA-617 habe – im Vergleich zu anderen ähnlichen Ansätzen – den Vorteil, dass es sich stark in Tumoren und Metastasen anreichere, gesunde Organe aber wenig schädige, sagte Kopka.

Das US-Unternehmen Endocyte hat nun eine Teil-Lizenz für PSMA-617 erworben und plant eine Studie um das therapeutische Radiopharmakon zuzulassen. In Einzel-Heilversuchen seien zum Teil bereits „bemerkenswerte Erfolge“ bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom erzielt worden, berichtete Kopka. In Heidelberg werde derzeit auch noch die Kopplung eines Alpha-Strahlers mit „besserer biologischer Wirksamkeit“ an PSMA 617 geprüft.

Alte Pillen, neuer Nutzen – und Strukturen für die personalisierte Krebstherapie

Weitere Beispiele translationaler Erkenntnisse präsentierten Dr. Stephanie Heinzlmeir, DKTK an der TU München, und Prof. Dr. Stefan Fröhling, DKTK am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.

Heinzlmeir hat ihre Promotion gerade am Lehrstuhl für Proteomik und Bioanalytik abgeschlossen – und die Präsentation ihrer Arbeit, die in Science publiziert worden ist, unter den Titel „alte Pillen, neuer Nutzen“ gestellt. Sie hat mit Hilfe einer neuen Technologie Kinase-Inhibitoren – eine der derzeit wichtigsten Wirkstoffgruppen in der Krebstherapie – auf neue, bislang unbekannte Wirkweisen hin untersucht.

Das menschliche Genom enthält Verschlüsselungen für rund 500 Kinasen. Bei vielen Tumoren sind solche Kinasen überaktiv. Derzeit sind bereits 37 Kinase-Inhibitoren für die Therapie zugelassen, 350 sind in der klinischen Entwicklung. Im Kontext eines internationalen Teams hat Heinzlmeir nun untersucht und kartiert, welche Kinasen und zellulären Signalwege die einzelnen Kinase-Hemmstoffe abdecken.

Sie fanden dabei neue vielversprechende Zielstrukturen, die man bislang nicht mit Kinase-Inhibitoren in Verbindung brachte oder fanden heraus, dass ein gegen Schilddrüsenkrebs eingesetzter Inhibitor auch eine Kinase hemmt, die bei der Akuten Myeloischen Leukämie (AML) eine Rolle spielt. In einer standort-übergreifenden Plattform „Krebs-Proteom-Analyse“ des DKTK haben Forscher nun Zugang zu den so gewonnen Datensätzen. „Besonders für Patienten mit ungewöhnlichen genetischen Profilen sind diese umfänglichen Datensätze sehr wertvoll“, bestätigt Dr. Florian Bassermann, Oberarzt am Klinikum Rechts der Isar der TU München. „In den molekularen Tumorboards haben wir damit ganz neue Möglichkeiten, für jeden einzelnen Patienten die passende Therapie zu empfehlen.“

Das DKTK baut zudem die notwendigen Strukturen für Studien in der personalisierten Krebstherapie auf, berichtete Fröhling. Denn dank der neuen Möglichkeiten der Genom- und Proteinanalysen, lassen sich Tumoren viel genauer klassifizieren. Und: „Einstmals homogene Tumorentitäten zerfallen in viele kleine Gruppen“, so Fröhling. Andererseits stellt sich heraus, dass Tumore verschiedener Lokalisation eventuell die gleichen Mutationen tragen. Für die Planung und Durchführung von Studien hat dies weitreichende Konsequenzen.

So wurde z.B. das DKTK MASTER-Programm für jüngere Patienten mit seltenen Tumoren aufgelegt, für die es bislang keine Heilungschancen gibt. Bei ihnen wird mit neuen, relativ schnellen Methoden (Ziel ist innerhalb von 28 Tagen) das Tumorgenom sequenziert. Fast 900 Patienten wurden inzwischen aufgenommen. Bei 75% von ihnen konnten nach der Sequenzierung die Empfehlungen für das klinische Management angepasst werden, berichtete Fröhling.

Vielversprechend, aber noch auf Einzelfall-Niveau

Als Beispiele stellte er den Fall eines 30-jährigen Mannes mit Nasennebenhöhlen-Karzinom und Lungen- sowie Hirnmetastasen vor. Er hatte zunächst nach Änderung der Therapie entsprechend der festgestellten Mutation eine Komplettremission, entwickelte dann aber ein Rezidiv im Gehirn, ist jedoch mit nochmals angepasster Therapie zumindest stabilisiert – und hat die Diagnose immerhin schon 4 Jahre überlebt. In einem weiteren Fall eines Mitte 40-Jährigen mit Weichteilsarkom multipler Lokalisationen konnte durch die angepasste Behandlung (in diesem Fall mit Pembrolizumab) eine derzeit schon 2 Jahre anhaltende Komplettremission erreicht werden.

„Wir bewegen uns derzeit noch auf Einzelfall-Niveau“, räumte Fröhling ein. Aufgrund ihrer Tumorgenom-Sequenzierungen haben die Forscher 7 verschiedene „Interventions-Baskets“, also Kategorien gebildet, bei denen jeweils unterschiedliche angepasste therapeutische Strategien Erfolg versprechend scheinen. Fröhling: „Wir versuchen jetzt, für jeden ‚Basket‘ eine klinische Studie zu entwerfen.“

 
Wir versuchen jetzt, für jeden ‚Basket‘ eine klinische Studie zu entwerfen. Prof. Dr. Stefan Fröhling
 

Das DKTK MASTER Programm soll standortübergreifend ermöglichen, dass mehr Krebsgenom-Analysen erfolgen und so größere Kohortenstudien möglich werden, die aussagekräftiger sind. „Gerade bei seltenen Krebserkrankungen können somit größere Patientengruppen in klinische Studien eingeschlossen werden, um neue Therapieansätze zu entwickeln“, ist Fröhling optimistisch.

 

REFERENZEN:

1. DKFZ-Presse-Workshop zum Weltkrebstag 2018, , 24. Januar 2018, Heidelberg

 

Kommentar

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