Die Auswirkungen eines langfristigen Cannabis-Konsums auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und Folgen bleiben den Autoren einer neuen systematischen Analyse zufolge weiter unklar, da die Qualität und Quantität der Daten unzureichend sind [1].
„Viele Artikel in der Laienpresse haben in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass Cannabis-Konsum positive Effekte auf das kardiovaskuläre System habe, den Blutdruck senke, den Blutzuckerspiegel stabilisiere oder das Lipidprofil verbessere“, schreiben die Autoren. „Unser Review konnte keine ausreichende Evidenz für diese Behauptungen finden.“
Die Analyse wurde von Dr. Divya Ravi vom Wright Center for Graduate Medical Education in Scranton, Pennsylvania, und ihren Mitarbeitern von der University of California in San Francisco und dem San Francisco Veterans Affairs Medical Center durchgeführt und in Annals of Internal Medicine veröffentlicht.
„Die Erforschung der Gesundheitsschäden von Cannabis in experimentellen Studien ist unethisch“, schreibt Ravi gegenüber Medscape in einem E-Mail-Kommentar. „Wissenschaftler könnten jedoch groß angelegte Beobachtungsstudien entwerfen, um die gesundheitlichen Folgen besser zu verstehen.“ Und da immer mehr Gesellschaften weltweit den Cannabis-Konsum legalisieren, sei es wichtiger denn je, diese Informationen zu bekommen, argumentiert sie.
„Angesichts der über die Jahrzehnte zunehmenden Zahl von Cannabis-Konsumenten sind aussagekräftige Längsschnittstudien notwendig, die die Cannabis-Exposition angemessen widerspiegeln (angesichts der verschiedenen Konsumformen) – insbesondere unter der alternden Bevölkerung“, sagt Ravi weiter. Solche Studien seien nötig, um mehr über die gesundheitlichen Auswirkungen des chronischen Cannabis-Konsums zu erfahren.
24 Beobachtungsstudien analysiert
Der aktuelle Review basiert auf einer Recherche in der englischsprachigen Literatur von Januar 1975 bis September 2017. Einbezogen wurden 24 Beobachtungsstudien, von denen nur 2 interventionelle und 9 prospektive Studien waren. Jede Form der pflanzlichen oder pharmazeutischen Cannabis-Exposition wurde berücksichtigt.
In den 13 Studien, die sich mit vaskulären Risikofaktoren befassten (Hyperglykämie, Diabetes, Dyslipidämie, Adipositas), reichte die Evidenz zur Wirkung des Cannabis-Konsums auf Diabetes und Dyslipidämie nicht aus, um eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen.
So waren z.B. die 6 Studien, die einen gewissen positiven Effekt durch Cannabis-Konsum auf den Stoffwechsel nahelegten, allesamt Querschnittstudien. Bei den meisten war die Stichprobengröße klein, und es gab nur eine einmalige Bewertung der Cannabis-Exposition, oder es wurden Patienten aufgenommen, die nur begrenzt Cannabis-haltige Produkten konsumiert hatten.
In den beiden experimentellen Studien zum Thema aus dem Jahr 1976 mit 7 Teilnehmern bzw. von 2015 mit 13 Teilnehmern ließ sich kein messbarer Effekt auf Stoffwechselparameter nachweisen, wie den Kohlenhydrat-Metabolismus oder die Lipidwerte.
Erhöhtes Myokardinfarkt-Risiko?
11 Arbeiten befassten sich mit kardiovaskulären Endpunkten – wie Schlaganfall, Herzinfarkt, kardiovaskulärer Mortalität und Gesamtmortalität. Die einzige Studie, die sich mit Cannabis-Konsum als potenziellem Auslöser für einen Myokardinfarkt befasste, war eine Fall-Cross-Over-Studie, die 2001 von Murray Mittleman und seinen Kollegen veröffentlicht worden ist: Die Studie hatte ein erhöhtes Myokardinfarkt-Risiko in der ersten Stunde nach dem Rauchen von Cannabis gezeigt.
Nach Ansicht von Ravi ist diese Studie an 3.882 Patienten zwar „gut konzipiert“, doch könnte ihre Aussagekraft durch Erinnerungsverzerrung beeinträchtigt sein.
„Die Untersuchung von Mittleman et al. ist immer noch eine sehr gute Studie, und es gibt Hinweise, die wir nicht ignorieren können“, meint dazu Dr. Robert A. Kloner in einem Interview. Er ist Direktor des Cardiovascular Research Institute der Huntington Medical Research Institutes und in den letzten 15 Jahren Autor mehrerer Artikel zum Thema.
„Wir wissen, dass Cannabis die Herzfrequenz und den Blutdruck erhöhen und Ischämie-induzierende Effekte auf das Gefäßsystem haben kann, was für manche Patienten ein Problem darstellen könnte“, so Kloner. Insgesamt teilt er jedoch die Auffassung, dass das gegenwärtige Verständnis der gesundheitlichen Auswirkungen von Cannabis sehr lückenhaft ist.
Auch ältere Patienten in prospektive Studien einbeziehen
„Cannabis kann in der Medizin eine Rolle spielen und den Menschen helfen, aber wir müssen auch wissen, welche Effekte es auf das kardiovaskuläre System hat“, sagt Kloner. „Es kostet etwa 1 Milliarde Dollar, in den USA einen neuen Wirkstoff auf den Markt zu bringen. Ich denke nicht, dass eine solche Summe zur Erforschung der Auswirkungen des Cannabis-Konsums auf den menschlichen Organismus ausgegeben wurde.“
Er stimmte der Forderung der Untersucher nach einer prospektiven klinischen Studie zu. „Am wichtigsten dabei ist, dass ältere Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren einbezogen werden, bei denen die Nutzung über einen bestimmten Zeitraum verfolgt wird. Außerdem sollten klar definierte Endpunkte verwendet werden, wie Myokardinfarkt, Schlaganfall und Herzerkrankungen.“
„Entscheidend ist, dass Cannabis nicht verschwinden wird. Wir müssen nur seine Auswirkungen auf den Organismus besser verstehen. Ich hoffe, dass diese Arbeit die Debatte und Diskussionen darum weiter befeuern wird“, sagt Kloner.
Dieser Artikel wurde von Dr. Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Ravi D, et al: Ann Intern Med (online) 23. Januar 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Cannabis-Konsum: Günstig oder ungünstig für Herz und Gefäße? Ein Review versucht Licht ins Dunkel zu bringen - Medscape - 1. Feb 2018.
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