Diagnose per Porträtfoto – Computergestützte Bildanalyse verbessert Erkennung seltener genetischer Erkrankungen

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

31. Januar 2018

Bei seltenen genetischen Erkrankungen dauert es oft viele Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Eine computergestützte Analyse von Porträtaufnahmen der Patienten könnte das ändern. Wissenschaftler aus Bonn und Berlin haben das neue Diagnosesystem bei GPI-Ankerstörungen erprobt – mit vielversprechenden Ergebnissen [1].

Prof. Dr. Peter Krawitz

„Die Computeranalyse der Porträtbilder erreichte eine hohe Genauigkeit, die weit über dem Zufall lag“, berichtet Seniorautor Prof. Dr. Peter Krawitz vom Institut für Genomische Statistik und Bioinformatik am Universitätsklinikum Bonn im Gespräch mit Medscape. „Ergänzt man die Analyse dann noch um eine molekulargenetische Untersuchung, kann man die Diagnose bestätigen.“

Mangelnde Verankerung

GPI-Ankerstörungen sind rezessive Erkrankungen, die ausgelöst werden können durch Mutationen in Genen, die an der Synthese des Glycosyl-Phosphatidyl-Inositol (GPI)-Ankers beteiligt sind. Durch die mangelnde Verankerung von Glykoproteinen an der Zelloberfläche kommt es zu Störungen der intra- und interzellulären Signaltransduktion.

 
Die Computeranalyse der Porträtbilder erreichte eine hohe Genauigkeit, die weit über dem Zufall lag. Prof. Dr. Peter Krawitz
 

Die Patienten zeigen neben einer mentalen Retardierung auch Auffälligkeiten im Gesicht: Beim Mabry-Syndrom, einem Subtyp der GPI-Ankerstörungen, z.B. eine schmale, manchmal zeltförmige Oberlippe, eine breite Nasenwurzel und ein großer Augenabstand mit langen Lidspalten. Abhängig von der Mutation und dem Gen sind diese Auffälligkeiten stärker oder schwächer ausgeprägt. Das erschwert die Diagnose.

Eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase im Blut gilt als Schlüsselbefund beim Mabry-Syndroms. Da das Enzym nicht mehr auf der Zelloberfläche verankert werden kann, häuft es sich im Blut an. Doch diese Laborwert-Erhöhung lässt sich nicht bei jedem Patienten nachweisen.

Unbekannte Mutationen in der Exomsequenzierung

Besteht der Verdacht auf eine GPI-Ankerstörung, kann eine Exom-Sequenzierung durchgeführt werden, doch „viele der Mutationen, die man bei einer Exom-Sequenzierung detektiert, finden sich nicht in Datenbanken“, so Krawitz. „Dann ist es hilfreich, auch von der phänotypischen Ebene noch Informationen zu haben, um die möglicherweise krankheitsverursachende Mutation besser einstufen zu können.“

 
Kein Syndrom lässt sich fehlerfrei nur anhand eines Fotos diagnostizieren, deshalb wird die computergestützte Bildanalyse auch nie die Molekulargenetik ersetzen. Prof. Dr. Peter Krawitz
 

Die von der US-Firma FDNA entwickelte Bildanalyse-Software Face2Gene wurde mit mehr als 30.000 Bildern von Patienten mit GPI-Ankerstörungen trainiert. Das Forscherteam um Krawitz und Erstautor Alexej Knaus vom Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik an der Charité Universitätsmedizin Berlin haben sie bei 91 Patienten erprobt, bei denen der Mutationsstatus bekannt war. Ergebnis: Im Durchschnitt ordnete die Software über die Hälfte der Bilder dem richtigen Gen zu.

„Beachtliche Genauigkeit“

Wie gut die Software Porträt-Aufnahmen von Patienten klassifiziere, hänge entscheidend davon ab, wie der Test aufgebaut ist, erklärt Krawitz. „Mit maschinellem Lernen kommen wir bei dem weitaus schwierigeren Problem, 280 Syndrome zu differenzieren, derzeit schon auf eine Genauigkeit von ca. 80 Prozent. Dieser Wert ist bereits recht beachtlich, lässt sich aber wahrscheinlich noch deutlich steigern, indem weitere bereits diagnostizierte Fälle für das Lernen verwendet werden.“

Allerdings: „Kein Syndrom lässt sich fehlerfrei nur anhand eines Fotos diagnostizieren, deshalb wird die computergestützte Bildanalyse auch nie die Molekulargenetik ersetzen“, ergänzt Krawitz, „aber Face2Gene kann in der Diagnostik sehr effektiv als zusätzliche Informationsquelle genutzt werden“. Tatsächlich kann die computergestützte Bildanalyse mittlerweile bereits in der Praxis eingesetzt werden. Die Software ist für Ärzte kostenlos erhältlich.

 
Hinsichtlich der Diagnose seltener genetischer Erkrankungen bedeutet dies einen großen Sprung nach vorne. Prof. Dr. Peter Krawitz
 

Innovative Diagnostik für die Regelversorgung

Vor wenigen Monaten startete außerdem das deutschlandweite Versorgungsprojekt TRANSLATE-NAMSE, welches die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen verbessern soll. „Zum einen soll im Rahmen dieses Projektes die Exom-Sequenzierung als innovative Diagnostik in der Regelversorgung eingesetzt werden. Zum anderen werden wir in dem begleitenden Forschungsprojekt „Priorization of Exome Data by Image Analysis (PEDIA) auch den Mehrwert der computergestützten Bildanalyse in der Auswertung von Exom-Sequenzen untersuchen“, sagt Krawitz.

„Wenn ein Arzt bei einem Patienten, zum Beispiel auch aufgrund der Bildanalyse, den Verdacht auf eine GPI-Ankerstörung hat, dann ist eine Exom-Sequenzierung indiziert“, so Krawitz – dann kann er ein Porträtfoto und eine Blutprobe an das Versorgungsprojekt senden und erhält einen Befund.

Einsatz bei 280 syndromalen Erkrankungen

Während sich die aktuell publizierte Studie auf die GPI-Ankerstörungen konzentriere, funktioniere Face2Gene schon für über 280 syndromale Erkrankungen, wie Krawitz berichtet. „FDNA hat in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit Genetikern weltweit einen sehr großen Datensatz angesammelt und damit die Bildanalyse-Software trainiert. Hinsichtlich der Diagnose seltener genetischer Erkrankungen bedeutet dies einen großen Sprung nach vorne.“

 

REFERENZEN:

1. Knaus A, et al: Genome Medicine (online) 9. Januar 2018

 

Kommentar

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