Ob Menschen je verstehen, dass Wattestäbchen nicht ins Ohr gehören? Zweifel daran weckt auch die neueste Studie zum Thema, die in JAMA Otolaryngology Head & Neck Surgery veröffentlicht worden ist [1]. Denn von allen 949 Trommelfell-Verletzungen, die in US-Notaufnahmen behandelt und für die Studie ausgewertet worden sind, war jede Vierte (261 bzw. 27,5%) von solch einem Stäbchen verursacht.
Bemerkenswert zudem: Verletzungen durch die Einführung von Fremdkörpern – darunter unter anderem Strohhalme, Haarnadeln und Zahnstocher – passieren durchaus nicht nur Kindern: 85 dieser Patienten waren 19 bis 36 Jahre, 48 waren 37 bis 54 Jahre alt und 22 sogar 55 Jahre oder älter.

Dr. Michael E. Deeg
„Die Details, die vermittelt werden, sind aus meiner Sicht sehr gut, und die große Zahl der Teilnehmer macht die Studie sehr aussagekräftig“, kommentiert Dr. Michael E. Deeg aus Freiburg, Sprecher des Deutschen Berufsverbandes für Hals-Nasen-Ohren-Ärzte e.V..
Er bedauert: „Obwohl wir Ärzte in der Praxis und über die Medien seit etlichen Jahren verbreiten, dass Wattestäbchen die Gehörgänge ja gar nicht reinigen, ist dieses Verhalten nicht aus den Menschen rauszukriegen.“ Da seien die Senioren, die betonen, „doch immer ganz vorsichtig mit dem Stäbchen“ umzugehen, und jene Hörgeräte-Träger, die „sich ohne diese Dinger einfach nicht wohl fühlen“. Immerhin unter jungen Eltern, so Deeg, sei inzwischen hierzulande eine Lernkurve zu verzeichnen.
Risikogruppe männlich und minderjährig
In den USA mag das noch anders aussehen, vermittelt die gerade publizierte Studie eines Teams um Dr. Eric T. Carniol von der Universität von Toronto. Bei ihrer Analyse der Daten aus dem National Electronic Injury Surveillance System der Consumer Product Safety Commission (NEISS) der Jahre 2010 bis 2014 konnten die Ärzte auf alle traumatischen Tympano-Perforationen zugreifen, die in 100 Notaufnahmen in den USA erfasst worden waren.
Ein Kernergebnis: Bei 85,8% der Kinder unter 6 Jahren, deren Trommelfell-Verletzungen in die Studie eingingen – in 284 von 331 Fällen insgesamt – war die Verletzungsursache das Einführen eines Fremdkörpers. In diesem Alter liegt nahe, dass die Körperpflege durch Eltern und andere erwachsene Betreuer übernommen wird.
Aber auch sonst waren Minderjährige oder junge Erwachsene unter den Patienten in der Überzahl: 602 (63,4%) aller 949 Studienteilnehmer hatten ein Alter von 18 Jahren oder darunter. Das Gros der Verletzten waren übrigens Jungen bzw. Männer (568 bzw. 59,8%).
Zweithäufigste Ursache aller erfassten Verletzungen waren Wassertraumata – mit diesem Begriff fassen Carniol und seine Kollegen beim Tauchen erlittene Barotraumata und weitere beim Wassersport, vor allem Wasserski oder Wakeboard, erworbene Verletzungen des Trommelfells zusammen. 172 (18,1%) der analysierten Vorfälle fielen in diese Kategorie. In der Altersgruppe 13 bis 18 Jahre waren Wassertraumata sogar für jede dritte Trommelfell-Perforation verantwortlich und somit die häufigste Verletzungsursache.
Ansonsten erwiesen sich Fremdkörper als die häufigsten Auslöser von Tympano-Perforationen auch bei den Kindern zwischen 6 und 12 Jahren, bei den Erwachsenen ab 19 Jahren – und natürlich insgesamt (581 Vorfälle, 61,2%). Platz 3 aller Verletzungsursachen belegten Schläge auf den Kopf, Platz 4 Explosionstraumata, Platz 5 Stürze.
Abschließend erneuern Carniol und sein Team die Warnung vor Wattestäbchen: „Schon seit den 70er-Jahren ist klar, dass otologische Komplikationen mit der Entfernung von Cerumen mithilfe von Wattestäbchen assoziiert sind“, geben sie zu bedenken. „Es bleibt also wichtig, dass HNO-Ärzte sowie andere Ärzte in der Erstversorgung Patienten zu deren sachgemäßem Gebrauch beraten.“ Statt im Gehörgang seien Wattestäbchen im Rahmen der dekorativen Körperpflege, z.B. beim Lackieren von Nägeln, gut aufgehoben – oder auch, um die Ohrmuschel zu pflegen.
Gegen die Wand geredet? Tipps für Ärzte
Für die Reinigung der Gehörgänge braucht es bei den meisten Menschen keinerlei Hilfsmittel von außen, betont Deeg seinen Patienten gegenüber. Das gesunde Ohr reinigt sich von selbst.
Kollegen verrät er jene Informationen, mit denen er manche Patienten zum Umdenken bewegen kann:
„Erstens wird mit Wattestäbchen kein Reinigungseffekt erreicht: Sie schieben das Cerumen nur noch tiefer in den Gehörgang hinein.
Zweitens können Sie sich damit schwer verletzen – wie die neueste Studie einmal mehr bestätigt.
Drittens machen Sie mit Fremdkörpern den Selbstreinigungseffekt des Ohrs zunichte, denn Sie entfernen pflegendes Fett und die Haut im Gehörgang trocknet aus.“
Das gelte gleichermaßen für die herkömmlichen Wattestäbchen und die sogenannten Sicherheitsstäbchen, die nicht allzu tief ins Ohr eingeführt werden können.
„Leider sind nur etwa 10 Prozent der Patienten, die ich so berate, davon zu überzeugen“, bedauert Deeg. Darunter viele junge Eltern – und Menschen, die sich bereits einmal selbst mit Fremdkörpern verletzt hatten. Und wer sich ohne Manipulation von außen partout nicht sauber im Ohr fühlt? „Wer unbedingt etwas von außen einführen will, dem empfehle ich weiche Kosmetiktücher“, rät Deeg.
REFERENZEN:
1. Carniol ET, et al: JAMA Otolaryngol Head Neck Surg (online) 21. Dezember 2017
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Immer diese Wattestäbchen! US-Studie analysiert Ursachen von Trommelfell-Verletzungen – wie Ärzte beraten können - Medscape - 31. Jan 2018.
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