EMA: Neue Therapien für Hemmkörper-Hämophilie und Alpha-Mannosidose – und ein neuer SGLT2-Inhibitor für Typ-2-Diabetiker

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

26. Januar 2018

Das erste Meeting des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) im neuen Jahr bringt Hoffnung für Menschen mit der extrem seltenen lysosomalen Speicherkrankheit Alpha-Mannosidose, für die bisher keine Therapie existierte. Auch Patienten mit Hemmkörper-Hämophilie können aufatmen. Geht es nach der Empfehlung des CHMP, kommt bald eine Alternative zu der aufwendigen Therapie mit Bypass-Präparaten auf den Markt. Und auch für die Diabetologen war etwas dabei: Ihnen könnte bald ein dritter SGLT2-Inhibitor zur Verschreibung zur Verfügung stehen [1].

Alternative bei Hemmstoff-Hämophilie

Das Faktor-VIII-Mimetikum Hemlibra® (Emicizumab, Roche Registration Limited) ist der erste Vertreter einer neuen Klasse von Medikamenten, die bei Hämophilie-A-Patienten mit Faktor-VIII-Inhibitoren (Hemmkörper-Hämophilie A) Blutungen verhindern können.

Entwickeln Patienten Inhibitoren gegen den substituierten Faktor VIII, erschwert dies das Management der Erkrankung. Patienten mit Hemmkörper-Hämophilie werden mit Faktor VII oder Prothrombin-Komplexen behandelt, die den Faktor VIII „umgehen“. Die Wirksamkeit dieser Bypass-Präparate ist jedoch suboptimal und erfordert häufige Infusionen.

Emicizumab ist der erste monoklonale Antikörper, der für den Einsatz bei Patienten aller Altersstufen mit Hemmkörper-Hämophilie A empfohlen wird. Er ersetzt durch Bindung der Gerinnungsfaktoren IX und X die Funktion des fehlenden Gerinnungsfaktors VIII und schützt so vor Blutungen. Emicizumab muss im Gegensatz zu den Bypass-Präparaten nur einmal wöchentlich gespritzt werden.

Effektiver als Bypass-Präparate

Sicherheit und Wirksamkeit des monoklonalen Antikörpers wurden in 2 Phase-3-Studien untersucht: eine randomisierte Open-Label-Studie mit 109 Patienten im Alter über 12 Jahren und eine noch laufende, einarmige Open-Label-Studie mit Kindern unter 12 Jahren. Aus dieser Studie flossen Resultate von 60 Patienten in den Zulassungsantrag ein.

Die prophylaktische Gabe von Emicizumab führte bei den Patienten mit Hemmkörper-Hämophilie A zu einer Reduktion von Blutungskomplikationen, die eine Behandlung mit Koagulationsfaktoren erforderlich machten, um 80 bis 90% – dies im Vergleich zum Bedarfseinsatz von Bypass-Präparaten ohne Prophylaxe.

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Hautreaktionen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, thrombotische Mikroangiopathien, Fieber, Diarrhoe sowie Gelenk- und Muskelschmerzen.

Erste Therapieoption für seltene lysosomale Speicherkrankheit

Eine weitere Zulassungsempfehlung sprach der CHMP für eine neue Enzym-Ersatztherapie zur Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit Alpha-Mannosidose aus. Lamzede® (Velmanase alfa, Chiesi Farmaceutici S.p.A.) ist das erste Arzneimittel zur Behandlung dieser sehr seltenen, autosomal-rezessiv vererbten lysosomalen Speicherkrankheit, das zur Zulassung empfohlen wird.

Bislang gibt es keine kurative Therapieoption für Alpha-Mannosidose. Patienten mit weniger schweren Formen der Erkrankung – Patienten mit schweren Formen überleben meist nicht ins Erwachsenenalter – werden symptomatisch behandelt. Charakteristisch für Alpha-Mannosidose sind Immunschwäche, intellektuelle Defizite, Vergrößerung von Leber und Milz, Anomalien im Gesicht und Veränderungen am Skelett.

Velmanase alfa ist eine rekombinante humane Alpha-Mannosidase in Form einer intravenös applizierten Enzym-Ersatztherapie. Das Ziel der Therapie ist, die Konzentration an Mannose-reichen Oligosacchariden zu verringern, um so das Fortschreiten der Erkrankung und die Entstehung von Anomalien zu verhindern. Allerdings überschreitet Velmanase alfa die Blut-Hirn-Schranke nicht, weshalb keine Effekte auf die neurologischen Aspekte der Krankheit zu erwarten sind.

Die Enzym-Ersatztherapie wurde in einer doppelblinden, randomisierten, Placebo-kontrollierten Parallelgruppenstudie mit 25 Patienten untersucht. Nach 52 Wochen waren die Oligosaccharid-Konzentrationen im Serum fast auf normale Level gesunken, bei einigen Patienten hatten sich die Belastungsfähigkeit und die Lungenfunktion verbessert.

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Diarrhoe, Fieber und Gewichtszunahme.

Zulassung unter Ausnahmebedingungen

Der Beobachtungszeitraum von einem Jahr wird als nicht ausreichend erachtet, um das Ausmaß der Veränderungen zu beurteilen. Doch da Alpha-Mannosidose so selten ist, räumte der CHMP ein, dass bei normaler Anwendung kaum umfassende Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit erhebbar sind.

Deshalb empfiehlt der Ausschuss die Zulassung unter Ausnahmebedingungen. Der Hersteller muss noch eine Open-Label-Studie zur Wirksamkeit bei Patienten unter 6 Jahren nachliefern und außerdem ein Krankheitsregister aufbauen, um die Langzeitwirksamkeit und -sicherheit der Therapie nachzuverfolgen.

Ein neuer SGLT2-Inhibitor

Weitere Zulassungsempfehlungen des CHMP bei seinem Meeting im Januar gab es für folgende Präparate:

  • Shingrix® (GlaxoSmithkline Biologicals SA), ein rekombinanter, adjuvanter Herpes-zoster-Impfstoff zur Prävention von Herpes zoster und postherpetischer Neuralgie bei Erwachsenen ab 50 Jahren;

  • Semglee® (Mylan S.A.S), ein Insulin-glargin-Biosimilar für die Diabetestherapie und

  • 3 Antidiabetika mit dem neuen SGLT2-Inhibitor Ertugliflozin.

Ertugliflozin soll als Monotherapie (Steglatro®, Merck Sharp & Dohme Limited) oder in Kombination mit Metformin (Segluromet®, Merck Sharp & Dohme Limited) oder mit Sitagliptin (Steglujan®, Merck Sharp & Dohme Limited) auf den Markt kommen.

Ertugliflozin wird der 4. Vertreter der Klasse der SGLT2-Inhibitoren sein, die eine Zulassung für den europäischen Markt erhalten haben. Von den anderen 3 sind in Deutschland allerdings nur Dapagliflozin und Empagliflozin erhältlich. Der Vertrieb von Canagliflozin wurde hierzulande Ende 2014 eingestellt, nachdem das IOWiG dem Wirkstoff einen Zusatznutzen abgesprochen hatte.

Neubewertungen, negative Empfehlungen und Indikationserweiterungen

Eine neue Chance auf eine baldige Markteinführung erhält das zur Behandlung von Hyperkaliämie entwickelte Lokelma® (Natriumzirkonium-Cyclosilikonat, AstraZeneca AB). Es hatte eigentlich schon im Februar 2017 eine positive Empfehlung vom CHMP bekommen. Doch aufgrund angeblicher GMP-Verstöße im Produktionsbetrieb war die endgültige Zulassung durch die Europäische Kommission ausgeblieben. Nachdem eine Inspektion diese Bedenken nun ausgeräumt hat, hat sich der CHMP erneut für die Zulassung des Präparats ausgesprochen.

Auch eine negative Empfehlung gab der Ausschuss bei seinem Januar-Meeting ab: EnCyzix® (Enclomifen, Renable Pharma Limited) wird nicht zur Zulassung empfohlen. Es sollte zur Behandlung von Männern mit hypogonadotropem Hypogonadismus eingesetzt werden.

Grund für die Ablehnung: Studien zeigten zwar einen Testosteronanstieg bei den mit Enclomifen behandelten Männern. Sie untersuchten aber nicht, ob der Wirkstoff auch einen Effekt auf Knochenstärke, Gewichtszunahme, Impotenz und Libido hat. Außerdem ist das Medikament offenbar mit einem Risiko für venöse Thrombembolien verbunden.

Auch Indikationserweiterungen hat der CHMP bei seinem Treffen im Januar empfohlen:

  • Hizentra® (Normales Immunglobulin vom Menschen, CSL Behring GmbH) soll auch zur immunmodulatorischen Therapie von Patienten mit chronischer inflammatorischer demyelinisierender Polyneuropathie eingesetzt werden können, als Erhaltungstherapie nach Stabilisierung mit IVIg.

  • Relvar Ellipta® (Fluticasonfuroat/Vilanterol, Glaxo Group Ltd) und Revinty Ellipta® (Fluticasonfuroat/Vilanterol, Glaxo Group Ltd) sollen auch bei Patienten eingesetzt werden können, deren Asthma schon durch inhalative Kortikosteroide und langwirksame Beta-Agonisten unter Kontrolle ist.

Zurückgezogene Anträge

Von den Herstellern zurückgezogen wurden nach Information des CHMP die Zulassungsanträge für Balimek® (Binimetinib, Pierre Fabre Médicament) und Rotigotin Mylan® (Rotigotin, Mylan S.A.S). Binimetinib sollte zur Behandlung metastasierter Melanome eingesetzt werden, Rotigotin bei Morbus Parkinson und Restless Leg-Syndrom. Ebenfalls zurückgezogen wurde ein Antrag auf Indikationserweiterung für Opdivo® (Nivolumab, Bristol-Myers Squibb Pharma EEIG) zur Behandlung des Kolorektalkarzinoms.

 

REFERENZEN:

1. Meeting Hghlights vom Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP), 22. bis 25. Januar 2018

 

Kommentar

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