Achtsamkeitstraining gegen Prüfungs-Stress im Studium: Bewährt sich bei Studierenden in Cambridge

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

24. Januar 2018

Stress, Burnout bis hin zu Suizidversuchen sind nicht nur unter Medizinstudierenden ein zunehmendes Problem (wie Medscape berichtete). Einen neuen Präventionsansatz haben nun Wissenschaftler an der Universität Cambridge erfolgreich erprobt: Achtsamkeitstraining kann Studierende in der Prüfungsphase vor Stress schützen. Das ist das Ergebnis der Mindful Student Study (MSS), die Dr. Julieta Galante und ihre Kollegen jetzt in Lancet Public Health veröffentlicht haben [1].

Im Vergleich mit Studierenden, die nur eine psychologische Beratung in Anspruch nehmen konnten, war das Risiko, während der Prüfungsphase unter Stress zu geraten, für Teilnehmer des Achtsamkeitstrainings um ein Drittel geringer: Ihr CORE-OM-Score zu psychischem Stress lag bei 0,87 versus 1,11.

Doch die Studie zeigt nicht nur, dass Achtsamkeitstraining Stress verringern kann, sie verbessert auch die Evidenz zur Effektivität der Methode deutlich, bestätigt Prof. Dr. Martin Keck, Direktor und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München.

Denn wie Studienautorin Galante, Psychiaterin an der University of Cambridge, erklärt, wiesen bisherige Studien zur Effektivität des Achtsamkeitstrainings häufig zu geringe Fallzahlen auf, waren nicht randomisiert, oft fehlte ein schlüssiges Studienprotokoll, ein klar definierter primärer Endpunkt, oder es zeigten sich Probleme beim Testen der Methode.

In ihre randomisiert-kontrollierte Untersuchung nahmen Galante und ihr Team über 600 Probanden auf und liefern so mit der MSS die bislang größte Studie zur Effektivität von Achtsamkeitstraining.

Geprüft wurde, ob Studierende von zusätzlichem Achtsamkeitstraining profitieren – im Vergleich zu alleinigen Beratungsangeboten bei psychischen Problemen. Zwischen Ende September 2015 und Mitte Januar 2016 nahmen 616 Studierende an der Untersuchung teil und wurden auf die MSS-Gruppe (n = 309; 61% Frauen) oder auf alleinige Beratung (n = 307; 65% Frauen) randomisiert.

Sorgfältig durchgeführte Studie mit guter statistischer Aussagekraft

„Es handelt sich um eine sehr sorgfältig und intelligent durchgeführte Studie mit hohen Fallzahlen. Aufgenommen wurden über 600 Studierende. Das ist eine Zahl, die eine gute statistische Aussagekraft erlaubt“, kommentiert Keck. Teilnehmen konnten Studierende ab 18 Jahren oder älter, die keine schwere psychische Erkrankung oder Krise aufwiesen. Das Achtsamkeitstraining fand einmal pro Woche (Dauer jeweils 70 bis 90 min) über einen Zeitraum von 8 Wochen statt.

„Achtsamkeitstraining – im Grunde genommen eine einfache Form der Meditation – ist eine sehr effektive Methode gegen Stress. Es muss allerdings zum Anwender passen. Manche Menschen sprechen eher auf Biofeedback an oder auf die progressive Muskelentspannung nach Jacobson, andere auf Sport“, erklärt Keck.

 
Achtsamkeitstraining – im Grunde genommen eine einfache Form der Meditation – ist eine sehr effektive Methode gegen Stress. Prof. Dr. Martin Keck
 

In der Studie konnten sich die an der Methode interessierten Studierenden melden. „Das sind gute Voraussetzungen für das Gelingen, denn man kann davon ausgehen, dass diejenigen, die sich dazu melden, etwas mit dem Ansatz der Methode anfangen können.“ Doch Achtsamkeitstraining wirke nicht nur gut, es habe auch den Vorteil, dass man es schnell lernen könne, so Keck. Einmal pro Woche über einen Zeitraum von 8 Wochen, parallel dazu musste man selbstständig üben: „Das ist umsetzbar und praktikabel.“

Nach Angabe der Studienautoren variierte die empfohlene Übungszeit zu Hause zwischen 8 und 25 Minuten. Zu den Übungen für zuhause gehörten Meditationen aus den Audiodateien des Kursbuchs und Achtsamkeitsübungen – wie Achtsamkeit beim Spazieren gehen oder beim Essen – und auch Anleitungen, sich ungesunde Gewohnheiten bewusst zu machen.

Die Number Needed to Treat liegt bei 6 Probanden

Den Studierenden und dem Studienmanagement-Team war die Gruppenzuordnung bewusst, den Forschern, den Ärzten, die die Ergebnisse bewerteten, und dem Statistiker der Studie wurde sie vorenthalten, um eine möglichst objektive Auswertung zu gewährleisten. Primärer Endpunkt war die selbstberichtete psychische Belastung während des Untersuchungszeitraums. Gemessen wurde diese mit dem CORE-OM-Fragebogen (Clinical Outcomes in Routine Evaluation Outcome Measure), höhere Werte deuten hier auf eine höhere Belastung hin.

453 (74%) Teilnehmer schlossen den CORE-OM-Fragebogen während des Prüfungszeitraums ab und 182 (59%) MSS-Teilnehmer absolvierten mindestens die Hälfte des Achtsamkeits-Kurses.

Die Meditation reduzierte Stress während des Untersuchungszeitraums im Vergleich zu den üblichen Beratungsangeboten: Die CORE-OM-Scores der 237 MSS-Teilnehmer lagen bei 0,87 (SD 0-50), die der Referenzgruppe (216 Teilnehmer) dagegen bei 1,11 (0-57). Die bereinigte Mittelwertdifferenz war -0,14 (95%-KI: -0,22 bis -0,06; p = 0,001), die Autoren bezeichnen das als moderate Effektgröße.

Die Teilnehmer der Referenzgruppe litten nicht nur häufiger an klinisch relevantem Stress, bei 57% lagen die Stresslevel auch oberhalb der akzeptierten klinischen Toleranzgrenze. Unter den Teilnehmern des Achtsamkeitstrainings war das nur bei 37% (88 von 235 Teilnehmern) der Fall. Unter den Studierenden der MSS-Gruppen zeigten sich keine Nebenwirkungen wie Selbstverletzungen, erhöhte Suizidalität oder Aggression gegenüber anderen.

Galante stellt auch klar, dass sich Belege für die Effekte des Achtsamkeitstrainings bereits in der Literatur fänden. Und fasst zusammen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Angebot von Achtsamkeitstraining ein wirksamer Bestandteil einer breiteren Strategie der Förderung der psychischen Gesundheit bei Studierenden sein könnte.“

Von den 30 Studenten in jedem MSS-Kurs (insgesamt 10 Kurse) wurden im Durchschnitt 5 Studierende davor bewahrt, während der Prüfungszeit klinisch relevanten Disstress zu entwickeln. Die Number Needed to Treat liegt damit bei 6 Probanden. „Das ist eine sehr gute Zahl, man sieht das auch im Vergleich mit ASS zur Infarktprävention, da liegt die Number Needed to Treat bei 40, und das ist schon ein guter Wert“, betont Keck.

Achtsamkeitstraining kostengünstig im Hochschulsport integrieren?

Im begleitenden Editorial weist Nicola J. Reavley von der Melbourne School of Population and Global Health der Universität von Melbourne darauf hin, dass das Achtsamkeitstraining auch nachhaltig ist [2]. Denn während des Untersuchungszeitraums verschlechterten sich in der Referenzgruppe die Stresslevel, während sich die Werte in der MSS-Gruppe nach dem Kurs verbesserten und stabil blieben.

„Aber wie bei anderen verhaltensorientierten Interventionen auch hängt die Wirkung von der Skalierbarkeit und Nachhaltigkeit auf individueller und organisatorischer Ebene ab.“ Künftige Forschung sollte sich deshalb den längerfristigen Auswirkungen widmen, regt Reavley an.

„Untersucht werden sollte beispielsweise, ob die Studierenden auch weiterhin meditieren; entweder präventiv als tägliche Gewohnheit oder als Bewältigungsstrategie in akuten Stressphasen. Und geprüft werden sollte auch, wie sich das auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt“.

Reavley schlägt auch vor, die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse auf andere Universitäten zu untersuchen: „Es wäre ja schon interessant zu wissen, ob die Akzeptanz bei Studierenden anderer Universitäten ähnlich hoch ist, beispielsweise bei Studierenden, die nicht so hohe akademische Leistungen erreichen oder die weniger motiviert sein könnten als Studenten der Universität von Cambridge.“

Reavley erinnert auch an die durch Achtsamkeitstraining entstehenden Kosten und warnt: „Das Ziel, die individuelle Belastbarkeit unserer Studierenden zu verbessern, darf nicht zu Lasten von Beratungs-und Hilfsangeboten gehen“.

 
Ich glaube, dass es sich lohnen würde, über ein Angebot von Achtsamkeitstraining zur Stressprävention an Universitäten nachzudenken. Prof. Dr. Martin Keck
 

Keck sieht durchaus Chancen, Achtsamkeitstraining zur Stressprävention an den Universitäten zu etablieren. „Ich glaube, dass es sich lohnen würde, über ein Angebot von Achtsamkeitstraining zur Stressprävention an Universitäten nachzudenken. Man muss dabei natürlich das Budget der Universitäten berücksichtigen, Beratungsangebote für Studierende mit psychischen Problemen gibt es ja bereits. Aber ich denke, man könnte Achtsamkeitstraining beispielsweise im Rahmen von Hochschulsport anbieten; vielleicht ließe es sich in Yoga- oder Pilates-Kurse integrieren, die ja schon häufig angeboten werden.“ Dies als niederschwelliges Angebot, das gleichzeitig kaum Kosten verursachen würde.

 

REFERENZEN:

1. Galante J, et al: Lancet Public Health (online) 18. Dezember 2017

2. Reavley NJ: Lancet Public Health (online) 18. Dezember 2017

 

Kommentar

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