Durch eine gesunde Ernährung lässt sich eine genetische Prädisposition für Übergewicht teilweise ausgleichen. Und Menschen mit besonders hohem genetischem Risiko für eine Gewichtszunahme im Laufe des Lebens sprechen sogar stärker auf eine Ernährungsumstellung an als Menschen mit weniger stark ausgeprägter genetischer Disposition. Dies zeigt eine kürzlich im British Medical Journal (BMJ) veröffentlichte Studie von US-Wissenschaftlern [1].

Prof. Dr. Anke Hinney
Eine durchaus „überraschende Erkenntnis“, wie Prof. Dr. Anke Hinney, Leiterin der Forschungsabteilung Molekulargenetik an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, LVR-Klinikum Essen, Universitätsklinikum Essen, auf Nachfrage von Medscape betont. Dass eine Umstellung auf gesündere Ernährungsgewohnheiten mit Gewichtsverlust assoziiert ist, haben bereits mehrere Studien gezeigt. Doch „dies ist die erste und noch dazu große Studie, die so systematisch die Interaktion zwischen Veränderungen der Ernährungsweise, genetischer Prädisposition für Übergewicht und der langfristigen Entwicklung von BMI und Gewicht untersucht hat“.
Essgewohnheiten und Genetik
„Unsere Daten zeigen erstmals, dass eine verbesserte Adhärenz gegenüber gesunden Ernährungsmustern die genetische Assoziation mit Gewichtszunahme abschwächen kann“, berichten die Autoren um Dr. Tiange Wang von der Abteilung für Epidemiologie der Tulane Universität in New Orleans, USA.
Wang und ihre Kollegen analysierten Daten der Nurses‘ Health Study und der Health Professionals Follow-up Study. Insgesamt bestand die untersuchte Population aus 8.828 Frauen und 5.218 Männern. Alle 4 Jahre erhoben sie das Körpergewicht und den Body-Mass-Index (BMI) der Studienteilnehmer sowie die Ernährungsgewohnheiten anhand detaillierter Ernährungsfragebögen.
Wie gesund sich die Teilnehmer ernährten, wurde danach beurteilt, wie gut sie sich an 3 verschiedene gesunde Ernährungsweisen hielten: den Alternate Healthy Eating Index 2010 (AHEI-2010), den Dietary Approach to Stop Hypertension (DASH) und die Alternate Mediterranean Diet (AMED). All diese Ernährungsweisen sind reich an Obst und Gemüse, Nüssen und Vollkornprodukten sowie enthalten nur wenig Salz, zuckerhaltige Getränke, Alkohol und rotes und verarbeitetes Fleisch.
Zusätzlich erstellten die Wissenschaftler um Wang für alle Probanden anhand von 77 Einzelnukleotid-Polymorphismen, die mit dem BMI assoziiert sind, ein genetisches Risikoprofil für Übergewicht.
Die Auswertung aller über 20 Jahre gesammelten Daten zeigte: Frauen und Männer, deren Ernährungsgewohnheiten sich im Laufe der Zeit stärker den gesunden Ernährungsweisen annäherten, nahmen weniger an Gewicht zu als diejenigen, die sich ungesünder ernährten. Einen besonders großen Vorteil hatte die gesunde Ernährung für die Studienteilnehmer, die eine starke genetische Prädisposition für Übergewicht hatten.
Zu Studienbeginn im Jahr 1986 hatten die Frauen im Schnitt 68 kg und die Männer 82 kg gewogen. Der BMI hatte in beiden Gruppen bei 26 kg/m2 gelegen.
Gesündere Ernährung – weniger Gewichtszunahme
Je stärker sich die Ernährung der Studienteilnehmer im Laufe der 20 Jahre dem AHEI-2010 annäherte, desto mehr schwächte dies die genetische Assoziation mit der Veränderung des BMI ab. Bei denjenigen, die sich weniger gut an den AHEI-2010 hielten, nahm der BMI alle 4 Jahre pro 10 zusätzlichen Risikoallelen um 0,07 kg/m2 zu. Bei denjenigen mit besserer AHEI-2010-Adhärenz nahm er dagegen alle 4 Jahre pro 10 zusätzliche Risikoallele um 0,01 kg/m2 ab. Umgerechnet auf das Gewicht waren dies 0,16 kg mehr oder 0,02 kg weniger alle 4 Jahre. Die gleichen Interaktionen fanden die Wissenschaftler mit DASH, aber nicht mit AMED.
„Einer mit einer genetischen Prädisposition assoziierte Gewichtszunahme kann zumindest teilweise entgegengewirkt werden, indem man seine Ernährungsgewohnheiten umstellt“, schlussfolgern die Autoren um Wang aus ihren Ergebnissen.
„Genetische Prädisposition ist kein Hindernis für ein erfolgreiches Gewichtsmanagement und keine Entschuldigung für ein mangelndes Engagement der politisch Verantwortlichen“, betonen Dr. Louisa J. Ells, Dozentin für Public Health und Adipositas an der Teesside Universität, Middlesbrough, Großbritannien, und ihre Koautoren in einem Editorial [2].
Hoffnungsfrohe Botschaft
Ob eine genetische Prädisposition für Übergewicht besteht, ist in der klinischen Praxis selten bekannt. Doch „genetische Analysen werden immer preisgünstiger, es ist vorstellbar, dass sie in einigen Jahren ebenso zur Routinediagnostik gehören wie die Messung des Cholesterinspiegels im Serum“, sagt Hinney, Expertin für die Genetik der Adipositas der Deutschen-Adipositas Gesellschaft.
Und „die Erkenntnisse der aktuellen Studie sind auch psychologisch von großer Bedeutung“, betont Hinney weiter. „Wir hatten bisher selten eine so hoffnungsfrohe Botschaft für Adipöse oder diejenigen mit erhöhtem Risiko für Übergewicht. Wem es gelingt, seine Ernährungsgewohnheiten umzustellen, der profitiert sogar mehr davon als Leute mit eigentlich ‚vorteilhafterer‘ genetischer Ausstattung.“
REFERENZEN:
1. Wang T, et al: BMJ 2018;360:j5644
2. Ells LJ, et al: BMJ 2018;360:k7
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: XXL ist kein Schicksal – neue Studie belegt: Wer sich gesund ernährt, kann Adipositas trotz genetischem Risiko vermeiden - Medscape - 24. Jan 2018.
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