Plötzlicher Herztod bei (Freizeit)-Sportlern: Plädoyer für mehr Screening inklusive genetischer Tests

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

22. Januar 2018

Wenn Sportler, oft noch in jungen Jahren, am plötzlichen Herztod sterben, ist das tragisch – und wäre in vielen Fällen auch vermeidbar, meint Dr. Michael S. Emery, der aktuell eine Übersichtsarbeit zu dem Thema erstellt hat [1]. Er forscht an der Indiana University School of Medicine, Urban, USA. Der Rat von ihm und seinen Kollegen: Nicht nur eine systematische kardiologische Basisdiagnostik ist wichtig, sie empfehlen auch genetische Tests in jungen Jahren, um Risiken im Erbgut zu entdecken.

Es trifft auch immer wieder Profisportler: So ist am 5. Juni 2017 etwa Cheik Tioté, Fußballprofi beim Zweitligisten Beijing Enterprise, während eines Spiels tot zusammengebrochen. „Sterben Sportler beim Wettkampf am plötzlichen Herztod, berichten zwar Medien intensiv über die Ereignisse“, schreibt Emery. Aus den tragischen Einzelfällen seien aber kaum weitere Schlussfolgerungen zur Inzidenz, zu Risikofaktoren und zur Prävention möglich. Mit seiner Literaturarbeit wollte er diese Lücke schließen.

Inzidenz schwankt stark

Daten aus Krankheitsregistern, aus der systematischen Analyse von Medienberichten oder von Versicherungen liefern Anhaltspunkte zur Inzidenz. Emery zitiert Werte zwischen 1 Fall pro 54.000 Athleten und 1 Fall pro 281.000 Athleten. „Bei allen Studien war jedoch konsistent, dass das Risiko bei Sportlern 3- bis 5-fach höher war als bei Sportlerinnen“, fasst er zusammen.

Auf die gesamte Bevölkerung bezogen, erhöhte körperliche Aktivität das Risiko eines plötzlichen Herztods um den Faktor 2,4 bis 4,5. Ein Patientenregister aus dem US-Bundesstaat Oregon erfasste innerhalb von 10 Jahren 63 Fälle, die in Zusammenhang mit körperlicher Aktivität standen. Im gleichen Zeitraum traten 1.184 Fälle ohne Bezug zu Sport auf. Für die gesamte US-Bevölkerung gibt Emery etwa 200.000 Personen mit plötzlichem Herzstillstand pro Jahr an.

Zahlen für Deutschland

Seine Zahlen spiegeln in erster Linie die US-amerikanische Situation wider. Prof. Dr. Tim Meyer. Forscher am Institut für Sport und Präventivmedizin, Universität des Saarlandes, und DFB-Mannschaftsarzt, hat 2012 das Sudden Cardiac Death (SCD)-Register Deutschland initiiert. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor. Im bisherigen Zeitraum erfassten Wissenschaftler hier 265 Fälle.

 
Unsere Daten zeigen, dass der plötzliche Herztod beim Sport fast ausschließlich ambitionierte Freizeitsportler betrifft. Dr. Philipp Bohm
 

„Unsere Daten zeigen, dass der plötzliche Herztod beim Sport fast ausschließlich ambitionierte Freizeitsportler betrifft“, sagt Dr. Philipp Bohm vom Universitären Herzzentrum Zürich. „Fast ausschließlich waren es Männer, das Durchschnittsalter lag bei 47 Jahren.“ Besonders häufig seien Fußballspieler und Läufer unter den Opfern gewesen.

Meist koronare Herzkrankheit ursächlich

Wie es zum plötzlichen Herztod kommen kann, zeigt Emery anhand der wissenschaftlichen Literatur. Er findet er vor allem Assoziationen mit strukturellen Ursachen beziehungsweise erworbenen Erkrankungen.

Demnach lassen sich 80% aller Fälle auf die koronare Herzkrankheit zurückführen. Hier sind vor allem Personen über 35 Jahren betroffen. Nicht-ischämische Kardiomyopathien erklären ca. 10% bis 15% aller Ereignisse. Andere Erkrankungen, etwa eine arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVCM), eine Myokarditis oder ein Long-QT-Syndrom, treten deutlich seltener auf (insgesamt < 5%).

In seiner Übersicht vergleicht Emery verschiedene Empfehlungen zur Primärprävention. Demnach beträgt die Sensitivität und Spezifität von EKG-Untersuchungen 94% bzw. 93%, die von Gesprächen zur Vorgeschichte 20% bzw. 94% und die von körperlichen Untersuchungen 9% bzw. 97%. Diese Punkte bilden aktuelle US-Empfehlungen wie die AHA Recommendations beziehungsweise die Pre-Participation Physical Evaluation mehr oder minder ausführlich ab.

Wie ist die Situation in Europa? „Daten aus Italien zeigen, dass durch die gesetzliche Einführung einer Sporttauglichkeits-Untersuchung für Wettkampfsportler aller Leistungsklassen die jährliche Rate des plötzlichen Herztodes beim Sport von 3,6 auf 0,4 pro 100.000 Personenjahre gesenkt werden konnte“, weiß Bohm.

 
Die medizinische Aufklärung eines jungen Herztodesfalles ist oft sekundär, obwohl andere Personen in der Familie genauso bedroht sein können. Prof. Dr. Eric Schulze-Bahr
 

Kollegen arbeiten ähnlich wie in den USA mit einem Gespräch, einer körperlichen Untersuchung sowie der Ableitung eines Ruhe-EKGs. Bei Sportlern über 35 Jahren sollte in regelmäßigen Abständen Belastungs-EKGs durchgeführt werden, um Minderdurchblutungen oder Rhythmusstörungen des Herzens zu erkennen.

Genetische Anomalien oft übersehen

Prof. Dr. Eric Schulze-Bahr, Direktor des Institutes für Genetik von Herzerkrankungen, Universitätsklinikum Münster, sieht jedoch durchaus noch Defizite bei der Ursachenermittlung. So würden beim plötzlichen Herztod oft keine detaillierten kardiopathologischen Untersuchungen inklusive DNA-Analyse durchgeführt, sagt der Experte.

„Die medizinische Aufklärung eines jungen Herztodesfalles ist oft sekundär, obwohl andere Personen in der Familie genauso bedroht sein können. Viele Herzrhythmusstörungen und Herzmuskelerkrankungen können genetisch schon im Kindesalter festgestellt werden.“

Dazu zählen u.a. das Long-QT-Syndrom, das Short-QT-Syndrom, die stressinduzierte polymorphe Kammerherzrhythmusstörung, das Brugada-Syndrom und das idiopathische Kammerflimmern. Entsprechende Prävalenzen schwanken zwischen 1:2.000 und 1:10.000. Nur die Hypertrophe Kardiomyopathie ist mit 1:500 deutlich häufiger.

„Es braucht jedoch Jahre oder Jahrzehnte, bis sich die Erkrankung klinisch zeigt“, so Schulze-Bahr. Aus seiner Praxis weiß er, genetische Diagnosen könnten in vielen Fällen Informationen liefern, wie sich der klinische Verlauf bei Herzrhythmusstörungen entwickeln. Auf dieser Basis lassen sich nicht nur maßgeschneiderte Pharmakotherapien einleiten, sondern auch Empfehlungen zum Sport geben.

 

REFERENZEN:

1. Emery MS, et al: JACC: Herat Failure 2018;6(1):30-40

 

Kommentar

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