Wieder enttäuscht ein Hoffnungsträger bei Alzheimer-Demenz – 20 Jahre Forschung für die Katz?

Dr. Thomas Meißner

Interessenkonflikte

19. Januar 2018

Erneut gibt es einen Rückschlag in der symptomatischen Behandlung bei Alzheimer-Demenz: 3 Phase-3-Studien mit dem Serotoninrezeptor-Antagonisten Idalopirdin sind negativ verlaufen.

Prof. Dr. Lutz Frölich

Zusätzlich zu einem Cholinesterase-Hemmer gegeben, können mit Idalopirdin weder kognitive Funktionen noch Alltagsaktivitäten verbessert werden, berichtet ein internationales Wissenschaftlerteam um Dr. Alireza Atri vom Ray Dolby Brain Health Center in San Francisco, USA, und Prof. Dr. Lutz Frölich vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim in JAMA [1].

„Der fehlende Fortschritt bei der Behandlung und Prävention der Alzheimer-Krankheit ist frustrierend“, kommentiert Dr. David Bennett vom Rush Alzheimer’s Disease Center in Chicago, Ilinois, die Veröffentlichung der Ergebnisse aus STARSHINE, STARBEAM und STARBRIGHT. Strategisch müsse man sich nun verstärkt der Prävention der Alzheimer-Demenz widmen, meint Bennett im Editorial [2].

Anfänge waren vielversprechend

Zunächst hatte es nicht schlecht für Idalopirdin ausgesehen: Tierversuche sowie eine Phase-2-Studie waren vielversprechend verlaufen. „Ich fand das Konzept des 5-HT6-Antagonismus recht überzeugend“, sagt Frölich gegenüber Medscape.

 
Der fehlende Fortschritt bei der Behandlung und Prävention der Alzheimer-Krankheit ist frustrierend. Dr. David Bennett
 

Der Serotonin-Rezeptortyp 5-HT6 (5-Hydroxytryptamin-6) befindet sich fast ausschließlich im Zentralnervensystem und beeinflusst Lernen und Gedächtnis. Der aktivierte 5-HT6-Rezeptor bremst die glutamaterge und cholinerge Signalübertragung – wird er medikamentös blockiert, verstärkt sich dementsprechend die Neurotransmission. Die Hoffnung war, dass die nachgewiesene Wirkung von Cholinesterase-Hemmern bei Alzheimer-Demenz mit der 5-HT6-Hemmung verstärkt werden könne. „Die Rationale für diese Substanz klang plausibel“, meint Bennett. Klinisch allerdings trat der Effekt nicht ein.

Versuch einer Add-on-Therapie

Atri, Frölich und Kollegen aus weltweit 34 Ländern hatten 2.525 Patienten mit milder bis moderater Alzheimer-Demenz in die 3 randomisierten und doppelblinden, Placebo-kontrollierten Parallelgruppenstudien eingeschlossen.

Die Teilnehmer waren im Mittel 74 Jahre alt. Die Diagnose war bei ihnen seit anderthalb bis 2 Jahren bekannt und sie waren bereits auf Cholinesterase-Hemmer eingestellt. In den einzelnen Studien erhielten sie nun zusätzlich zu einem Cholinesterase-Hemmer (Donepezil, Rivastigmin, Galantamin) 10 bis 60 mg Idalopirdin pro Tag oder Placebo.

Zur Prüfung des Effekts waren die üblichen Skalen wie ADAS-Cog (Alzheimer’s Disease Assessment Scale), ADCS-ADL23 (Alzheimer’s Disease Cooperative Study Activities of Dialy Living Inventory) und andere angewendet worden. Doch nach 24 Wochen gab es weder beim primären Studienendpunkt noch bei den sekundären Endpunkten einen Unterschied zwischen den Gruppen – in keiner der 3 Einzelstudien. Die Verträglichkeit erwies sich als meist gut, jeweils 9 bis 10% der Teilnehmer in den Verumgruppen beendeten die Studien vorzeitig.

Dagegen waren in der Phase-2-Studie LADDER bei fast 300 Alzheimer-Patienten noch signifikante Verbesserungen der kognitiven Funktion unter Donepezil/Idalopirdin im Vergleich zu Donepezil allein gemessen worden. „Allerdings gab es Veränderungen im Vergleich zu dieser Phase-2-Studie, sowohl hinsichtlich des Schweregrades der Demenz in der Studienpopulation als auch hinsichtlich der Dosierung“, erklärt Frölich.

Deutliche Dosierungsunterschiede zwischen Phase-2- und Phase-3-Studie

In LADDER hatten die Verumpatienten 90 mg Idalopirdin täglich erhalten, verteilt auf 3 Tagesdosen, also deutlich mehr als in den Phase-3-Studien mit einmal täglich 10, 30 oder 60 mg. Die hohe Dosis in LADDER war mit häufigen Leberwert-Erhöhungen und mit einer mehr als doppelt so hohen Abbruchrate im Vergleich zu Placebo einhergegangen (12,4% versus 5,3%).

Die Entscheidung, die Dosis substantiell zu senken war nach Bennetts Angaben in Absprache mit der US-Zulassungsbehörde FDA getroffen worden. Denn Untersuchungen hatten ergeben, dass 80% der 5-HT6-Rezeptoren auch mit niedrigen Dosen Idalopirdin besetzt werden und dass die einmal tägliche Dosis ausreicht, um die Rezeptorsättigung aufrechtzuerhalten.

Ein weiterer Unterschied: Die Studienpopulation in der Phase-2-Studie sei insgesamt milder an Demenz erkrankt und vergleichsweise homogener zusammengesetzt gewesen als in den 3 Phase-3-Studien, so Frölich.

Hat man zu viel auf einmal gewollt – gleiche Wirkung bei niedrigerer Dosis und weniger Nebenwirkungen? Der Leiter des Alzheimer-Forschungszentrums an der University of Southern California in Los Angeles, USA, Dr. Lon Schneider, hatte bereits bei der Veröffentlichung von LADDER zu bedenken gegeben, dass lediglich in Kombination mit Cholinesterasehemmern günstige Effekte zu beobachten gewesen seien, nicht aber in der Monotherapie.

Über eine Interaktion am Cytochrom-P450-System könnte der Metabolismus von Donepezil durch Idalopirdin gehemmt worden sein. Damit sei nicht auszuschließen, so Schneider, dass der gemessene Effekt auf interaktionsbedingt erhöhte Donepezil-Spiegel zurückgeführt werden müsse. „Ein etwa um 10 Prozent erhöhter Donepezil-Spiegel ließ sich tatsächlich nachweisen“, bestätigt Frölich, „aber das entspricht nicht dem Wirksamkeitseffekt, den wir in der Phase-2-Studie gesehen hatten.“

 
In den vergangenen 15 Jahren sind mehr als 400 klinische Studien mit Therapeutika für Alzheimer-Patienten registriert worden, die Versagerrate liegt bei fast 100 Prozent ... Dr. David Bennett
 

Dennoch geht der Mannheimer Psychiater davon aus, dass das Wirkprinzip der selektiven Serotoninrezeptor-Hemmung zur Behandlung bei Alzheimer-Demenz nun nicht weiter verfolgt werden wird – nach etwa 20 Jahren Forschung! Denn Ende 2017 war bekannt geworden, dass eine weitere randomisierte Studie mit einem anderen 5-HT6-Antagonisten, Intepirdin, ebenfalls negativ ausgegangen ist.

Bedarf an symptomatischen Behandlungsoptionen bleibt bestehen

„In den vergangenen 15 Jahren sind mehr als 400 klinische Studien mit Therapeutika für Alzheimer-Patienten registriert worden, die Versagerrate liegt bei fast 100 Prozent für jene Studien, deren Resultate berichtet worden sind“, so Bennetts Fazit. Geschuldet sei dies unter anderem der Komplexität der Erkrankung.

Am meisten vielversprechend sind seiner Meinung nach Ansätze, mit denen der Ausbruch der Alzheimer-Demenz verzögert würde. Dies setzt eine frühe, präklinische Diagnose voraus und erfordert entsprechende Biomarker. Und es bleibt das methodische und finanzielle Problem, dass die Prüfung einer krankheitsmodifizierenden Substanz 5 oder gar 10 Jahre in Anspruch nehmen könnte, bis ein Unterschied zwischen Patientengruppen sichtbar würde.

 
Der Bedarf an effektiven symptomatischen Behandlungsoptionen bei Alzheimer-Demenz bleibt also bestehen. Prof. Dr. Lutz Frölich
 

Frölich meint: „Selbst wenn wir irgendwann eine krankheitsmodifizierende Therapie hätten, würden die Menschen doch früher oder später erkranken. Der Bedarf an effektiven symptomatischen Behandlungsoptionen bei Alzheimer-Demenz bleibt also bestehen.“

Aus seiner Sicht werden in Zukunft 2 Faktoren die klinische Prognose von Alzheimer-Patienten maßgeblich mitbestimmen: der Zeitpunkt der Diagnosestellung und des Therapiebeginns sowie die differenzierte Behandlung der Patienten. Denn es wird immer deutlicher, dass unterschiedliche pathophysiologische Stränge zu dem führen, was heute als Alzheimer-Phänotyp bekannt ist.



REFERENZEN:

1. Atri A, et al: JAMA 2018;319 (2):130-142

2. Bennett DA: JAMA 2018;319 (2):123-125

Kommentar

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