Eine Kombination aus einem Antidepressivum und einer neuartigen, intranasal angewendeten Therapie führt bei Patienten mit therapieresistenter Depression offenbar zu einer raschen und anhaltenden Symptomlinderung. In einer randomisierten, multizentrischen Phase-2-Studie mit knapp 70 Patienten mit therapieresistenter Depression zeigten diejenigen, die zusätzlich zu einem oralen Antidepressivum mit einem Esketaminhydrochlorid-Nasenspray (Janssen) behandelt wurden, signifikant größere Verbesserungen auf einer Depressionsskala als diejenigen, die nur Placebo erhielten. Die Ergebnisse der Studie sind in JAMA Psychiatry erschienen. [1].
Insgesamt „stimmen uns diese Ergebnisse zuversichtlich für die weitere Erforschung dieser Therapie in der Phase 3, was wir momentan gerade tun“, sagt Dr. Ella J. Daly vom Department of Neuroscience bei Janssen Research and Development im Gespräch mit Medscape. „Das wird uns ermöglichen, die Wirksamkeit und Sicherheit in einer viel größeren Gruppe von Patienten zu klären“, auch die Nebenwirkungen.
Leichtere Anwendung, höhere Affinität
Etwa 30% der Patienten mit schwerer Depression sprechen nicht auf eine Behandlung an, schreiben die Autoren. Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass der N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptorantagonist Ketamin eine antidepressive Wirkung hat. Doch Ketamin muss üblicherweise intravenös verabreicht werden, „ was seine Anwendung im ambulanten Bereich einschränkt“, so die Wissenschaftler. Esketamin lässt sich dagegen in Form eines Nasensprays anwenden und hat außerdem eine „höhere Affinität für den NMDA-Rezeptor als das R-Enantiomer.“
Daly und ihre Kollegen schlossen in ihre Studie 67 Patienten mit schwerer Depression ein, die auf mindestens 2 verschiedene Antidepressiva nicht angesprochen hatten. Sie erhielten 1 Woche lang entweder ein Placebo oder eine Kombination aus oralem Antidepressivum und intranasalem Esketamin – in den Dosierungen 28, 56 oder 84 mg. Zur Verblindung bekam auch die Placebogruppe ein Nasenspray, das allerdings nur Wasser und einen Bitterstoff enthielt.
In der Folgewoche wurden die Patienten in der Placebogruppe, die laut 16-Item Quick Inventory of Depressive Symptomatology Self-Report moderate bis schwere Symptome zeigten, einer der Therapiegruppen zugeteilt. Die 6 Placebopatienten mit leichten bis keinen Symptomen blieben bei der Placebo-Einnahme. „Dieses Design erlaubt es, Wirksamkeit, Dosisansprechen und Sicherheit mit einer kleineren Stichprobe zu untersuchen als ein Standard-Parallelgruppendesign“, schreiben die Autoren.
Signifikante Verbesserung
Von Tag 15 bis Tag 74 folgte eine optionale Open-Label-Phase, an der noch 57 Patienten teilnahmen. In dieser Zeit wurde die Dosierungsfrequenz von 2-mal in der Woche auf 1-mal in der Woche und dann auf 1-mal alle 2 Wochen heruntertitriert. Für alle Teilnehmer dieser Studienphase betrug die Startdosis 56 mg. Nach der Behandlung wurden die Patienten noch bis zu 8 Wochen nachbeobachtet. Insgesamt nahmen 51 Patienten an der Nachbeobachtung teil, 41 blieben bis zum Schluss dabei.
Von Studienbeginn bis Tag 8 sank der MADRS-Score in der Esketamin 56 mg-Gruppe um 7,6 Punkte und in der Esketamin 84 mg-Gruppe um 10,5 Punkte. Beide Verbesserungen waren signifikant im Vergleich zur Placebogruppe. Auch die 28 mg-Gruppe verbesserte sich – um 5,0 Punkte – , aber der Unterschied zur Placebogruppe war nicht signifikant.
Interessanterweise waren die Verbesserungen vom Ausgangsscore bei der 2-Stunden-Messung am ersten Therapietag in der 28 mg-Gruppe (-6,7 Punkte) und in der 84 mg-Gruppe (-7,9 Punkte) signifikant im Vergleich zur Placebogruppe. Die Verbesserungen nach 24 Stunden waren signifikant in der 56 mg-Gruppe (-10,0) und in der 84 mg-Gruppe (-10,7).
Nach Ende der Studienphase 2, in der die Patienten untersucht wurden, die von der Placebogruppe in eine Therapiegruppe gewechselt hatten, unterschied sich die Veränderung des Scores noch signifikant zwischen der 84 mg-Gruppe und der Placebogruppe; die Differenz betrug -6,9 Punkte.
Wurden die Daten aus den beiden einwöchigen Studienphasen kombiniert, war die durchschnittliche Differenz für alle 3 Dosierungsgruppen im Vergleich zur Placebogruppe signifikant.
Veränderungen des MADRS-Scores in den Dosierungs- versus Placebogruppe
Esketamindosis |
Mittlere Differenz |
95%-Konfidenzintervall |
p-Wert |
28 mg |
-4,2 |
-7,67 bis -0,79 |
0,02 |
56 mg |
-6,3 |
-9,71 bis -2,88 |
0,001 |
84 mg |
-9,0 |
-12,53 bis -5,52 |
< 0,001 |
Darüber hinaus zeigte sich bei denjenigen, die eine Therapie mit Esketamin erhielten, eine Verbesserung des MADRS-Scores um 7,2 Punkte von Studienbeginn bis Tag 74, dem Ende der Open-Label-Phase – und dies „trotz reduzierter Dosierungsfrequenz“, schreiben die Autoren. Die Verbesserung der durchschnittlichen MADRS-Scores blieb über die 8-wöchige Nachbeobachtungsphase erhalten – ohne weitere Esketamindosen.
Therapieabbrüche und Nebenwirkungen
In den 3 Gruppen, die eine Therapie mit Esketamin erhielten, brachen 3 Patienten in der doppelblinden Phase und 1 Patient in der Open-Label-Phase die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen ab. Es gab jeweils einen Bericht über Kopfschmerzen, Synkope, dissoziatives Syndrom und ektopische Schwangerschaft. In der Placebogruppe gab es keine nebenwirkungsbedingten Therapieabbrüche.
Zu den therapiebedingten Nebenwirkungen zählten Schwindel, Kopfschmerzen, dissoziative Symptome, Übelkeit und Sedierung. „Die meisten … traten an den Tagen auf, an denen das Nasenspray angewendet wurde, und waren vorübergehend und von der Ausprägung entweder leicht oder mittelschwer. Es gab keine Berichte über Todesfälle“, schreiben die Wissenschaftler.
An den Tagen, an denen das Nasenspray angewendet wurde, waren außerdem vorübergehende Blutdruckerhöhungen zu beobachten. Der systolische Blutdruck stieg um maximal 19,0 mmHg, der diastolische Blutdruck um maximal 10,3 mmHg. Auch die Herzfrequenz stieg an diesen Tagen bei einigen Patienten an – um maximal 9,4 Schläge pro Minute.
Vielversprechende Kombination
Obwohl alle 3 Dosen im Vergleich zu Placebo einen substanziellen Vorteil boten, „halten die 56-mg- und die 84-mg-Dosis das Ansprechen offenbar länger aufrecht als die niedrigere Dosis“, berichtet Daly. „Deshalb werden diese beiden Dosierungen nun in Phase-3-Studien untersucht.“ An den Phase-3-Studien nehmen insgesamt zwischen 1.500 und 2.000 Patienten teil. „Wir arbeiten daran, diese Studien zu Ende zu führen und hoffen, noch 2018 einen Zulassungsantrag (bei der FDA) einreichen zu können“, sagt sie.
Dr. Daniel S. Quintana vom Universitätsklinikum Oslo, Norwegen, und seine Kollegen schreiben in einem begleitenden Editorial, dass diese Studie mit „dem potenteren S-Enantiomer von Ketamin“ faszinierende Ergebnisse liefere – speziell in 2 Bereichen [2]. Zum einen seien signifikante Resultate schon nach 1 Woche zu sehen gewesen. Das sei viel früher als bei den anderen derzeit eingesetzten Therapien. Außerdem sei die Symptomverbesserung über bis zu 2 Monate erhalten geblieben, „zumindest in der Open-Label-Phase der Studie“, schreiben sie. „Wie auch die Autoren schlussfolgern, sind die Ergebnisse ermutigend und sollten zu Untersuchungen in größeren Studien führen.“
Der zweite interessante Aspekt der Studie ist den Autoren des Editorials zufolge das Verabreichungsverfahren selbst. „Esketamin ist ein guter Kandidat für die intranasale Anwendung, da es ein relativ geringes Molekulargewicht (238 Dalton) hat, was die Absorption über die Nasenschleimhaut begünstigt“, schreiben sie. „Es ist zwar nur Spekulation, aber es ist auch ein direkter Transport des Wirkstoffes von der Nase ins Gehirn denkbar, unter Umgehung der Blut-Hirn-Schranke, direkt über olfaktorische und trigeminale Nervenfasern“, ergänzen sie.
Doch eben jenes Verabreichungsverfahren könnte auch ein Problem darstellen, wenn die Absorption über die Nasenschleimhaut eingeschränkt ist, etwa durch Polypen oder Entzündungen. Hinzu kommt die Gefahr einer inadäquaten Anwendung des Nasensprays durch den Patienten. Durch übermäßiges Schnüffeln könnte sich außerdem die Nasenklappe verengen.
„Unabhängig von der Anwendungsmethode sollte Esketamin bei psychiatrischen Patienten mit Vorsicht eingesetzt werden, da es psychotische Symptome verursachen kann“, geben Quintana und seine Kollegen zu bedenken. In der aktuellen Studie habe es zwar keine Berichte über psychotische Symptome gegeben, doch die Berichte über dissoziative Symptome müssten abgeklärt werden, so die Autoren des Editorials. Trotzdem, insgesamt „zeigen die Ergebnisse, dass es vielversprechend ist, einen Wirkstoff mit schneller antidepressiver Wirkung mit einer intranasalen Anwendung zu kombinieren“.
Der Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und angepasst.
REFERENZEN:
1. Daly EJ, et al: JAMA Psychiatry (online) 27. Dezember 2017
2. Quintana DS, et al : JAMA Psychiatry (online) 27. Dezember 2017
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Düstere Stimmung weggesprüht: Bei therapieresistenter Depression hilft ein neues Ketamin-Nasenspray - Medscape - 18. Jan 2018.
Kommentar